Barbara Bosch, amtierende Präsidentin des DRK Landesverbands Baden-Württemberg und seit 2021 Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung der Landesregierung Baden-Württemberg, war zu Gast beim Forum für Gesellschaftlichen Zusammenhalt 2024 im Kongresszentrum Liederhalle Stuttgart am 12. Oktober 2024. Nach dem Symposium 4 zum Thema Bürgerbeteiligung, bei dem sie auf der Bühne stand, konnte die Redaktion von nussbaum.de mit ihr ins Gespräch kommen über Engagement und soziale Teilnahme.
nussbaum.de: Wie sehen Sie den momentanen Status der Bürgerbeteiligung? Befindet sie sich in einer Krise?
Barbara Bosch: Die Bürgerbeteiligung steckt nicht in einer Krise, aber es gibt krisenhafte Anzeichen, was die Stabilität unserer Demokratie betrifft. Ich sage ausdrücklich krisenhaft, weil bei all den Lautsprechern und Echokammern in den sozialen Medien manche den Eindruck haben, dass unsere Demokratie schon auf dem Kipppunkt ist. Das ist sie nicht: Wir haben eine starke Zivilgesellschaft, die in grundsätzlichen Werten beieinandersteht, aber sich nicht laut äußert. Es ist Aufgabe der Bürgerbeteiligung: diese stille Mitte zu Gehör zu bringen und zu ermöglichen, wieder sachlich, zivilisiert, kontrovers über ein Thema zu reden und nicht nur aufgeregt.
nussbaum.de: Welche Ziele sollte die Politik diesbezüglich stärker verfolgen? Wie könnte man Bürgerbeteiligung stärker fördern?
Bosch: In Baden-Württemberg sind wir Vorreiter. Es braucht Strukturen, der gute Wille oder der Aufruf reichen nicht. Wir haben diese Strukturen in Baden-Württemberg geschaffen, haben verschiedene Instrumente eingeführt, die für die Bürgerschaft in unserem Land auch nachvollziehbar sind, wo sie sich informieren, aber auch ihre Meinung abgeben können. Und wir haben ein Gesetz geschaffen, als bislang einziges Bundesland, das eine dialogische, informelle Bürgerbeteiligung auf feste Füße setzt. Wir haben eine Servicestelle, die alle Behörden unterstützt, sowie eine Allianz für Beteiligung, die in der Zivilgesellschaft auch kleine Initiativen unterstützt.
Ich wünsche mir von der Politik, dass man auch als Abgeordneter zulässt, die Bürger und Bürgerinnen zu befragen und nicht nur dazu verdonnert, alle fünf Jahre ihre Stimme abzugeben, aber sonst still zu sein. Da müssen wir uns noch weiterentwickeln.
nussbaum.de: Manche Bürger haben weder die Möglichkeiten noch die Motivation, sich zu beteiligen: Wie kann man diese Menschen erreichen?
Bosch: Erstens: Es gibt keinen Zwang und keine Pflicht zur Beteiligung. Wer sich nicht für ein Thema interessiert, den kann und soll man nicht zwingen, sich damit zu befassen. Er darf nur nicht schimpfen, dass er nicht beteiligt worden ist.
Zweitens: Unsere wissenschaftliche Begleitforschung zeigt, wir erreichen dieses Hineinhören in die stille Mitte. Wir erreichen, dass wir politikferne Menschen heranführen können an Debatten und sie über diese Teilnahme in den Bürgerforen ein Verständnis entwickeln können, wie Politik funktioniert. Und die empirischen Befragungen zeigen, dass die Einstellungen zur Demokratie in Baden-Württemberg neun Prozent besser sind als im Bundesdurchschnitt. Das ist eine Auswirkung davon, dass wir seit Jahren die Politik des Gehörtwerdens praktizieren.
nussbaum.de: Wie ist es zum Beispiel mit Gruppen, die im politischen Diskurs kontrovers diskutiert werden, zum Beispiel die Letzte Generation? Denken Sie, dass die Eigeninitiative der Bürger vielleicht auch in problematische Richtungen gehen kann?
Bosch: Jede Eigeninitiative der Bürger ist begrüßenswert, auch wenn sie meiner Meinung nicht entspricht, solange sie sich an Rechte, Gesetze und unsere Verfassung hält. Wenn diese Vorgaben verletzt werden, dann verliert eine Gruppierung nach meiner und der Überzeugung vieler anderer ihr Recht, sich zu engagieren. Aber ich würde nicht sagen, nur weil jemand kontrovers ist, soll er sich nicht äußern – am liebsten hole ich diejenigen sogar an den Tisch, damit wir miteinander diskutieren können.
nussbaum.de: Sie sind amtierende Präsidentin des DRK-Landesverbands in Baden-Württemberg, seit 2021 Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, waren zudem Oberbürgermeisterin von Reutlingen: Was motivierte Sie dazu, sich zu engagieren und damit auch weiterzumachen?
Bosch: Bis zu meinem Amtsende 2019 gab es das Gesetz zur dialogischen Bürgerbeteiligung noch nicht. Als Oberbürgermeisterin habe ich es oft als problematisch empfunden, dass ich bei allen Beteiligungsformaten immer auf die gleichen Menschen gestoßen bin, die, wie ich sie nenne, „Bürgerbeteiligungselite“, oftmals ältere Herren, die die Debatte dominiert haben, egal um welches Thema es ging. Und ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht: Wie schaffen wir es, die anderen dazuzuholen, die eben nicht eloquent sind, die auch mit bestimmten Begrifflichkeiten nichts anfangen können – dann kam dieses Gesetz, leider nach meiner Amtszeit. Ich dachte, das ist wunderbar, genau das, was ich immer gesucht habe, als mich Ministerpräsident Kretschmann fragte, ob ich dieses Ehrenamt als Staatsrätin übernehmen möchte.
Was mich jetzt noch mehr motiviert, sind die Sorgen für unsere Demokratie und das, was mit Rechtspopulismus, Extremismus, auch auf dem linken Rand, passiert – dem müssen wir uns entgegenstellen. Die Weimarer Republik ist nicht daran gescheitert, dass sie Gegner hatte, sondern, weil die Demokraten nicht aufgestanden sind und sich für die Demokratie eingesetzt haben. An dem Punkt will ich meinen Beitrag als Bürgerin und überzeugte Demokratin in diesem Land leisten.
nussbaum.de: Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellten Justin Schick und Jonny Diep.