Heimat- und Geschichtsverein Baltmannsweiler und Hohengehren
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Beinahe ein Hohengehrener Nobelpreisträger?

Wem in Hohengehren ist der Name Gerhard Elwert ein Begriff? Am ehesten hat man den Familiennamen vielleicht auf der verzierten Holztafel im Innenraum der...
Gerhard Elwert. Gemälde, wohl 1993
Gerhard Elwert. Gemälde, wohl 1993Foto: Universität Tübingen. Theoretische Astrophysik

Wem in Hohengehren ist der Name Gerhard Elwert ein Begriff? Am ehesten hat man den Familiennamen vielleicht auf der verzierten Holztafel im Innenraum der Cyriakuskirche gelesen, denn der Vater Gotthilf Elwert hatte Ende Juli 1910 mit 31 Jahren die Pfarrstelle in der kleinen Schurwaldgemeinde angetreten. Elwert hatte dann am 4. Oktober 1910 in der Esslinger Stadtkirche die Pfarrerstochter Maria Schimpf geheiratet. Die Ehefrau brachte am Nachmittag des 15. Mai 1912, gut eineinhalb Jahre nach der Hochzeit und einen Tag vor ihrem 37. Geburtstag, in Hohengehren ihr erstes und auch einziges Kind zur Welt. Der Säugling wurde am 9. Juni von seinem Vater auf den Namen Gerhard Walter Eduard Johannes getauft. Als Taufzeugen wurden im Kirchenbuch vermerkt: seitens der Familie zwei Pfarrer, ein Finanzamtmann mit seiner Gattin und die Ehefrau eines Präzeptors. Dazu kam noch die Tochter des Esslinger Stadtpfarrers - alle typische Mitglieder des damaligen Besitz- und Bildungsbürgertums. Im Oktober 1920 zog die kleine dreiköpfige Familie aus Hohengehren fort, denn der Vater trat eine neue Stelle in Lichtel (heute ein kleiner Ortsteil von Creglingen) an. Sein Nachfolger in Hohengehren wurde im Mai 1921 für nur kurze Zeit der bereits in einem anderen Bericht vorgestellte Johannes Daimelhuber. Gerhard besuchte zunächst die Realschule in Creglingen und wechselte dann Ende April 1923 auf das Realgymnasium in Esslingen (das heutige Georgii-Gymnasium). Von Jahr zu Jahr wurde er in der jeweiligen Klasse bzw. dem jeweiligen Zug ein leistungs- und notenmäßig besserer Schüler, in den letzten vier Jahren war er sogar der Klassenprimus. Vom Turnen war der Heranwachsende in den zwei Schuljahren 1929 bis 1931 gesundheitsbedingt befreit. Er wohnte während seines gesamten Aufenthalts in Esslingen bei einer Verwandten mütterlicherseits in der Schillerstraße 6. Sein großer Jugendwunsch soll der Schauspielerberuf gewesen sein, das pietistische, engherzige Reglement des Vaterhauses aber einen solchen Weg nicht zugelassen haben. Stattdessen studierte der junge Mann nach der 1932 abgelegten Reifeprüfung Physik, Mathematik und Astronomie, zunächst drei Semester lang ab Herbst 1932 in Tübingen und dann bis zum Studiumsende in München. Seine Eltern wohnten inzwischen in Deufringen (Oberamt Böblingen), wo der Vater seit 1928 Seelsorger war. An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität promovierte der Sohn 1938 mit einer Arbeit über die Röntgen-Bremsstrahlung „mit Auszeichnung“. Das Thema der Dissertation lautete „Das kontinuierliche Spektrum der Röntgenstrahlen bei beliebiger Kernladung“. Im Frühjahr des darauffolgenden Jahres legte er die wissenschaftliche Prüfung für das Lehramt an Gymnasien ab und arbeitete während der gesamten Kriegsjahre als Physiker bei der Telefunken GmbH in Berlin an Problemen der Nieder- und Hochfrequenztechnik. Nach Kriegsende kehrte Elwert nach Tübingen zurück, von der Entnazifizierungsbehörde lediglich als „Mitläufer“ eingestuft. Er ging zunächst in den höheren Schuldienst und unterrichtete ab Oktober 1945 nacheinander als Aushilfslehrer an drei höheren Tübinger Bildungsanstalten, aber auch an den Oberschulen in Hechingen und Rottenburg. Ende 1949 verließ er als Studienassessor den Schuldienst und wurde zum 1. Januar 1950 wissenschaftlicher Assistent am Astronomischen Institut der Eberhard Karls Universität. Die Habilitation für das Fach Theoretische Astrophysik erfolgte im Jahr 1953, und bei seinen wissenschaftlichen Forschungen widmete sich Elwert hauptsächlich Problemen aus diesem Bereich. Bahnbrechend waren seine Arbeiten zur Theorie der Röntgen- und Ultraviolettstrahlung der Sonnenkorona, der heißen und nicht direkt sichtbaren äußeren Hülle der Sonne. Seine theoretischen Vorhersagen auf diesem Gebiet wurden später durch Beobachtungen mittels Raketen und Forschungssatelliten bestätigt. Elwert erwarb sich weltweites Ansehen, das ihm viele Einladungen an in- und ausländische Forschungsstätten einbrachte, in den 60er Jahren vor allem zu Vorträgen in den USA. In jener Zeit galt er als einer der bedeutendsten deutschen theoretischen Astrophysiker. Aufgrund der Entdeckung der Röntgenstrahlen auf der Sonne soll er sogar für den Nobelpreis vorgeschlagen worden sein. Eine Anerkennung seiner Leistungen war dann 1967 die Berufung auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Theoretische Astrophysik an der Universität Tübingen. Im Jahr 1980 emeritiert, war Elwert weiterhin wissenschaftlich tätig, bis sein Gesundheitszustand dies nicht mehr zuließ. Das Interesse Elwerts galt aber nicht nur der Astrophysik, sondern der gesamten Natur. Er soll dazu ausgedehnte Wanderungen, bevorzugt in die Tübinger Umgebung, unternommen, aber auch auf seinen vielen Auslandsreisen die jeweilige Naturschönheit genossen haben. Elwert war zudem musisch begabt und interessiert, er soll gut zeichnen, malen und basteln gekonnt haben. Hervorzuheben ist seine große Hilfsbereitschaft, die sich beispielsweise darin zeigte, dass er notleidende Studierende kostenlos bei sich wohnen ließ. Ein großer Wunsch blieb jedoch unerfüllt - die totale Sonnenfinsternis im Jahr 1999 beobachten und erleben zu können. Der gebürtige Hohengehrener hatte nämlich seit Anfang der 90er Jahre gesundheitliche Probleme und verstarb am 25. Juni 1998 im Alter von 86 Jahren. Seine letzte Ruhe fand er im schlichten Elterngrab auf dem Tübinger Stadtfriedhof. (auh)

Stadtfriedhof Tübingen. Grabstätte Elwert
Stadtfriedhof Tübingen. Grabstätte Elwert.Foto: Alfred Hottenträger, 15.04.2025
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Ausgabe 18/2025

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