Der Grünen-Ortsverband hatte zu einer besonderen Veranstaltung eingeladen, die unter dem Titel „Bereichernde Migration“ stand. Neben Herausforderungen ging es auch um Chancen und Hilfsangebote.
In der Jakobsgasse, wo das Ehepaar Hermino und Henriette Katzenstein einen Raum für Veranstaltungen zur Verfügung stellt, fand die Gesprächsrunde im Rahmen eines Frühstücks an einem langen Tisch statt. Der kleine Raum war bis auf den letzten Platz gefüllt. Unter den Gästen befanden sich auch engagierte Personen aus dem Integrationsmanagement der Stadt und dem Asylkreis.
Henriette Katzenstein eröffnete die Veranstaltung und begrüßte die beiden Hauptgäste des Vormittags: Daline Raphael und Ahmad Douba. In ihrer Einführung sprach sie über den Begriff „Einwanderungshintergrund“ und erklärte, dass dieser dann zutreffe, wenn jemand selbst oder ein Elternteil nach Deutschland eingewandert sei. Sie betonte, dass Einwanderung häufig mit Flucht gleichgesetzt werde, obwohl sie vielfältige Gesichter habe. Dabei erinnerte sie an die Einwanderungswellen der 1950er bis 1970er Jahre, als Spätaussiedler und Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Die Wohnungssituation war damals angespannt, und Wohnungsbauprogramme wurden aufgelegt, um dem Bedarf gerecht zu werden. In Neckargemünd erinnert der Waltscher Platz an die Heimatvertriebenen aus Waltsch im Egerland, dem heutigen Tschechien, die nach dem Zweiten Weltkrieg hier eine neue Heimat fanden.
Ein Satz, der ihr in einem Gespräch mit einem hier ansässigen Obst- und Gemüsehändler mit Einwanderungshintergrund begegnete, beschäftigte Henriette Katzenstein besonders: „Nicht alle Ausländer sind schlecht.“ Diese simplifizierende Aussage verdeutliche, wie dringend notwendig differenzierte Diskussionen über Migration seien. Dabei wolle man jedoch auch die Herausforderungen nicht verschweigen: „Sich in eine Gesellschaft einzupassen, ist nicht einfach.“
Anhand von Zu- und Abwanderungszahlen seit 1950, die 60 Millionen Menschen nach Deutschland und 43 Millionen ins Ausland führten, machte sie deutlich, wie viel Bewegung das Land prägt. Ein Viertel der 83 Millionen Einwohner Deutschlands habe heute einen Migrationshintergrund. „Wenn man die Hauptstraße hoch- und runtergeht, sieht man zahlreiche Läden, die von Menschen mit Migrationsgeschichte betrieben werden. Ohne sie wäre das Stadtbild ziemlich trostlos.“ Dem oft geäußerten Argument, Migranten würden überwiegend Sozialleistungen beziehen, stellte sie die große Zahl selbständiger und leistungsbereiter Migranten gegenüber. Danach wandte sie sich den Gästen der Gesprächsrunde zu.
Daline Raphael lebt seit ihrem dritten Lebensjahr in Deutschland. Gemeinsam mit ihrer Schwester kam sie aus Haiti, nachdem ihre Mutter beschlossen hatte, den Mädchen hier bessere Bildungschancen zu ermöglichen. Daline Raphael durchlief 13 Pflegefamilien und war zeitweise in Heimen untergebracht. Der Kontakt zu Henriette Katzenstein, bei der sie eine Zeit lang lebte, führte sie nun nach Neckargemünd. Heute, mit 28 Jahren, studiert sie Sozialpädagogik und plant, über den von ihr gegründeten Verein „Lebensbrücke Haiti e. V.“ ihr Herkunftsland zu unterstützen. Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie zudem einen gastronomischen Betrieb in Bayern, der deutsche Speisen anbietet.
Trotz ihrer Liebe zu Deutschland und Traditionen wie dem Tragen eines Dirndls erlebt sie immer wieder Anfeindungen, vor allem aufgrund ihrer Hautfarbe. „Ich fühle mich als Deutsche, aber in der Gesellschaft werde ich nicht vollständig angenommen“, berichtete sie. Hassnachrichten über soziale Medien, verunglimpfende Symbole und Angriffe auf die Website ihres Vereins belasten sie zusätzlich.
Ahmad Douba kam 2016 nach Deutschland, nachdem er aus Syrien vor dem Assad-Regime geflohen war. Sein Ziel war von Anfang an Deutschland, insbesondere Baden-Württemberg, das er als Industriestandort mit Marken wie Mercedes-Benz und Porsche kannte. In Aleppo führte er einen kleinen Betrieb als Meister-Schneider mit elf Angestellten. Die ersten Erfahrungen in Deutschland waren jedoch enttäuschend: Er wurde in einem großen Flüchtlingsheim im Raum Sigmaringen untergebracht, gemeinsam mit Menschen unterschiedlichster Herkunft.
Die Sprachbarriere war anfangs eine große Herausforderung. „Ohne Sprache kann man nichts machen“, war ihm schnell klar. Nach einem Umzug nach Leimen verbesserte er seine Deutschkenntnisse kontinuierlich. Die Coronazeit stellte jedoch eine erneute Hürde dar und verzögerte seine Pläne, sich eine Existenz aufzubauen. Mit der Hilfe eines Freundes gelang es ihm schließlich: Seit 2021 betreibt er eine Änderungsschneiderei und erzählte mit Stolz: „Es läuft immer besser.“
In der anschließenden Diskussion kamen auch die Besucher der Veranstaltung zu Wort. Viele von ihnen hatten selbst einen Einwanderungshintergrund. Es wurde darüber gesprochen, dass Flüchtlinge, die der Asylkreis betreut, oft das vorrangige Ziel haben, schnell Geld zu verdienen, um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen, anstatt sich auf das Erlernen der Sprache zu konzentrieren. Der Kontakt zu neu ankommenden Flüchtlingen sei zudem nicht mehr so intensiv wie direkt nach 2015.
Ein geplantes Projekt, das in der Runde auf Resonanz stieß, ist eine Fotoausstellung mit dem Titel „Ankommen in Neckargemünd“. Großformatig sollen Porträtfotos von Migranten und ihre Lebensgeschichten präsentiert werden.
Auch schwierige Themen wurden nicht ausgespart. Die Teilnehmer machten sich Gedanken über die Gefahr, die von psychisch kranken Tätern mit Migrationshintergrund ausgehen könnte. Die Erfassung und psychotherapeutische Betreuung von traumatisierten Menschen scheitere oft an fehlenden Ressourcen und Sprachbarrieren. Ein weiteres Problem sei die begrenzte Anzahl von Psychotherapeuten mit Kassenzulassung. Hier wurde angeregt, dieses Angebot auszubauen.
Die Frage „Was können wir vor Ort tun?“ wurde intensiv diskutiert. Wichtig sei es, eine Tagesstruktur zu schaffen, die Arbeit und Sprachkurse kombiniert, sowie Orte des Zusammentreffens, an denen Migranten Resonanz und Austausch finden können. Die Erfahrungen derjenigen, die im direkten Kontakt mit Migranten stehen, seien dabei von unschätzbarem Wert.
Die Veranstaltung endete mit der Erkenntnis, dass Migration nicht nur Herausforderungen, sondern auch wertvolle Bereicherungen mit sich bringt – für die Gesellschaft ebenso wie für die einzelnen Menschen, die hier ihr neues Zuhause finden. (du)