Berührend, erschütternd, unvorstellbar: Worte, die in etwa die Inhalte der derzeitigen Ausstellung im Rathaus Waldbronn beschreiben. Worte, die dem Besucher in den Sinn kommen, und die dennoch nur unzureichend die Verbrechen der NS-Diktatur im Rahmen der sogenannten „Euthanasie-Morde“ beschreiben.
Doch der Reihe nach: Gezeigt wird die Wanderausstellung der Gedenkstätte Grafeneck, die an die Ermordung von über 216 000 Menschen mit Behinderung erinnert, an einen „systematischen, staatlich organisierten Massenmord“, so Thomas Stöckle, Leiter der Gedenkstätte, eine Dokumentations- und Forschungsstätte, die 2005 geschaffen worden ist. Die Ausstellung „NS-Krankenmorde“ zeigt neben der Wanderausstellung der Gedenkstätte fünf Biographien von Opfern unserer Gemeinde, von denen vier in Grafeneck ermordet worden sind. Gemeindearchivar Frank Heinrich hat die Ausstellung initiiert, zusammengestellt und die Biographien recherchiert. Ergänzend zur Ausstellung zeigt der Hort der Albert-Schweitzer-Schule auf zwei Schautafeln sein Projekt über Inklusion und gutes Miteinander.
„Wir werden hier mit einem schweren und berührenden Thema konfrontiert“, begrüßt Bürgermeister Christian Stalf die rund 50 Besucherinnen und Besucher zur Eröffnung der Ausstellung. Gleichzeitig sei es aber auch ein „hochpolitisches Thema, das uns in die Geschichte, aber auch in die Gegenwart führt. Denn wie gehen wir heute mit Menschen mit Beeinträchtigungen um, wie mit Inklusion und Integration?“, fragte Stalf und verweist auf die Säule mit aktuellen Zitaten, die während der Ausstellung vor dem Rathaus steht.
Dass die Begriffe „Euthanasie“ und „Krankenmorde“ nicht ganz unproblematisch seien, darauf wies Thomas Stöckle in seiner Einführung hin. Schließlich sei der „Massenmord“ keine Sterbehilfe gewesen und Menschen mit Behinderung sind auch nicht krank. „Es war ein staatlicher und bürokratisch organsierter Massenmord, an dem etliche Einrichtungen beteiligt“ gewesen seien. "Neben Ministerien und Verwaltungen eben auch Grafeneck“, so Stöckle. In Grafeneck, das etwa 30 Kilometer von Reutlingen liegt, wurden zwischen Januar und Dezember 1940 mindestens 10.654 Menschen aus stationären Einrichtungen in Baden und Württemberg umgebracht. Menschen, die in den Augen der Täter „keinen Nutzen für das Deutsche Reich hatten“ (so ein Täter-Zitat). Die Ausstellung soll an die unbenannten und die namentlich benannten Opfer erinnern. Denn „wir wollen den Opfern allen einen Namen geben“, beschreibt Stöckle seine Aufgabe. Rund 9800 Namen sind in einem Namensbuch, das in der Gedenkstätte ausliegt, aufgelistet. Rund 800 Opfer seien bisher noch unbenannt. Kinder, Jugendliche, Frauen wie Männer – sie alle sind in grauen Bussen aus den Einrichtungen abgeholt und „ohne jegliche staatliche Legitimität, ohne Gesetz“ umgebracht worden.
Mit den fünf Biographien von Opfern unserer Gemeinde möchte Gemeindearchivar Frank Heinrich, „weg von der abstrakten Zahl hin zu fünf Einzelschicksalen“. Die fünf ermordeten Menschen sind Karl Anderer, Pius Becker, Theresia Becker, Anna Grimm und Konstantin Merz.
Übrigens: Nach der Schließung im Dezember 1940 zog der gesamte Ärzte- und Verwaltungsstab weiter, an einen anderen Ort, in eine andere Einrichtung – und organsierte ohne jegliche Legitimität weitere tausende brutale Morde. Unvorstellbar.
INFO: Die Ausstellung ist noch bis zum 12. Juni im Rathaus zu sehen. Öffnungszeiten: montags bis freitags von 7 bis 12 Uhr, donnerstags von 7 bis 18 Uhr.
Gleichzeitig möchten wir auf die Aufstellung eines Denkmals für die Opfer der NS-Krankenmorde hinweisen. Dieses wird am 4. Juni um 17 Uhr an der Ecke Garten-/Busenbacher Straße eingeweiht.
Kontaktdaten Gedenkstätte Grafeneck, Grafeneck 3, 72532 Gomadingen, www.gedenkstaette-grafeneck, Telefon 07385 966206