Ein letztes Mal in diesem Jahr hatte der Schwäbische Albverein Mittelstadt, diesmal zusammen mit der Evangelischen Kirchengemeinde, zu einem gemeinsamen Ausflug eingeladen. Nach dem verregneten aber dennoch stimmungsvollen Besuch des Weihnachtsmarktes im mittelalterlichen Vellberg ging es am 29.12. bei strahlender Wintersonne nach Hechingen, wo die Gruppe von der ehemaligen Mittelstädter Pfarrerin, Gerlinde Henrichsmeyer, begrüßt wurde. Uli Gänzle hatte zwei Kleinode von Weihnachtskrippen ausfindig gemacht, die alle Teilnehmenden zu Recht staunen ließen: die Osterrieder Weihnachtskrippe im ehemaligen Dominikanerinnenkloster Stetten, einem Hechinger Stadtteil und die einzigartige Barockkrippe im ehemaligen Franziskanerinnenkloster und heutigem Bildungshaus St. Luzen.
Der Weg vom Bahnhof Hechingen nach Stetten wurde zu einem unterhaltsamen Sonntagsspaziergang, abseits von lauten Verkehrsstraßen, aber reich an immer neuen Ausblicken auf die Hechinger Alb und die Burg Hohenzollern. Am Zusammenfluss der kleinen Starzel mit dem noch kleineren Reichenbach berichtete Gerlinde Henrichsmeyer von dem verheerenden Hochwasser, das im Juni 2008 das ganze Killertal zerstört und die Brücke über die Starzel wie ein Streichholz mit sich gerissen hatte.
Vom ehemaligen Kloster Stetten ist die frühgotische Kirche im schlichten, aber soliden Stil der Bettelordenarchitektur errichtet worden und zeigt sich den Besuchern heute in eindrucksvoller Schönheit. Die nur sparsamen Schmuckelemente, wie z. B. das Stettener Gnadenbild oder die barocke Kanzel, lenken nicht ab von der Erhabenheit des weit in die Höhe ragenden Kreuzrippengewölbes über dem Kirchenschiff. Völlig unscheinbar führt eine schmale Tür ein paar Stufen hinunter in einen kleinen Kellerraum, in dem sich eine der berühmten und weltweit verbreiteten Weihnachtskrippen von Sebastian Osterrieder (1864 - 1932) befindet. Der ehemalige Bäckermeister begann sein Kunsthandwerk mit dem Kneten und Formen von Brotteig, ehe er nach einem Studium an der Kunstakademie eine eigene Technik erfand, die als Französischer Hartguss bekannt wurde. Sie erlaubte Serienanfertigungen, die auch nötig waren, da der Meister zahlreiche Aufträge von namhaften Persönlichkeiten erhielt, u. a. von Konrad Adenauer. Das Besondere an den Osterrieder Krippen ist, dass sie die ganz und gar lebensnahen Figuren in einer ebenso naturgetreuen Umgebung zeigen. Der Künstler war sogar nach Palästina und Ägypten gereist, um seine Studien an den Originalschauplätzen zu vervollkommnen. So wird die Weihnachtsgeschichte als Lebens- und Zeitgeschichte eindrucksvoll dargestellt.
In eine ganz andere Welt wurde die Gruppe in St. Luzen, der ehemaligen Pfarrkirche von Hechingen versetzt. Diese kunsthistorische Sehenswürdigkeit präsentiert ihren Innenraum im farbenprächtigen Stil der Spätrenaissance. Man kann sich der Ehrfurcht erzeugenden, an Verzierungen reichen Darstellung der vielen Heiligen nicht entziehen. Diesmal jedoch dominierte die Weihnachtskrippe, die den ganzen Chorraum ausfüllte. Ihre Herkunft ist zwar nicht bekannt, aber man nimmt an, dass sie vom Rottenburger Jesuitenkolleg nach Hechingen kam. Eine Besonderheit ist, dass die 37 bunten Krippenfiguren ungewöhnlich groß sind und mit bis zu 90 cm Höhe beachtliche Ausmaße erreichen. Es handelt sich um prachtvoll ausstaffierte Holzfiguren, die die Weihnachtsgeschichte in farbenfrohen Bildern erzählen und Phantasien aus 1000 und 1 Nacht heraufbeschwören. Es muss ein beachtlicher Kraftakt sein, eine so große Krippe auf- und abzubauen, denn nicht nur die schweren Figuren müssen platziert werden, sondern auch die gesamte Dekoration mit Moos und Zweigen muss aus dem Wald herbeigeschleppt werden. So kann man nur staunen und danken, dass sich jedes Jahr genügend Freiwillige finden, die diese Arbeit verrichten und damit vielen Besuchern große Freude bereiten.
Vor dem Verlassen des heiligen Ortes entschloss sich die Mittelstädter Besuchergruppe zu einem spontanen Dank mit dem Lied: Ich stehe an deiner Grippe hier. Das war ein würdiger und festlicher Abschluss. Den Segen durch Pfarrerin Henrichsmeyer nahmen alle mit auf den Weg und ins neue Jahr.
Mit der pünktlichen (!) Bahn ging es zurück nach Tübingen und per Fahrgemeinschaft nach Mittelstadt. Es war ein rundum gelungener, erlebnisreicher Ausflug, der neben dem Sehenswerten auch gute Begegnungen und Gespräche brachte. Den Organisatoren sei von Herzen Dank gesagt für diesen schönen Tag am Ende eines turbulenten Jahres. Die besten Wünsche für 2025 gingen gut gelaunt und frohgemut in 27-facher Variation von Mund zu Mund.
Gertraude Ralle