Mariesa Dulak, Rebecca Cobb, Ein Tiger im Zug, Bilderbuch 3, Jumbo, 2024
Es beginnt ganz unspektakulär: Ein Junge und sein Vater steigen in den Zug, um gemeinsam ans Meer zu fahren. Doch während der Vater nur auf sein Handy schaut, passiert etwas absolut Unglaubliches: Ein Tiger mit Zylinder steigt ein. Als Nächstes folgt eine Schar von Krokodilen mit Schwimmreifen, drei Nilpferde mit einer Box voller Bonbons, eine Horde Schweinchen sowie zwei feine Mopsdamen. Ein riesiges, buntes, lautes und fröhliches Durcheinander entsteht. Aber der Vater bekommt absolut nichts mit, da er von seinem Handy-Bildschirm vollkommen eingenommen ist. Doch als der Tiger kurzerhand das Smartphone mit einem Happs verspeist und mit dem Jungen auf dem Rücken Richtung Meer davonläuft, wird der Vater plötzlich hellwach. Gemeinsam kommen sie am Strand an und ... sind im Hier und Jetzt. Aufmerksam. Gemeinsam. Zusammen. Ein unglaublich berührendes Buch, das humor- und liebevoll einen mahnenden Zeigefinger Richtung Eltern und ihrem intensiven Bildschirmkonsum zeigt. Der Text ist kindgerecht, lustig, kreativ geschrieben und die bunten Zeichnungen runden die Geschichte wunderbar ab.
Christiane Wünsche, Schwestern in einem anderen Leben, Roman, 411 Seiten, Krüger, 2024
Rosalie Meyer lebt allein mit ihrer Katze in Neuss. Nur selten lässt die ältere Frau jemanden in ihre kleine Wohnung mit der Fotosammlung voller Erinnerungen. Rosi ist zufrieden mit ihrem ruhigen Alltag, bis eine Meldung in den Abendnachrichten mit einem Schlag alte Wunden aufreißt. Im Juli 1976: Europa stöhnt unter einer Hitzewelle, in Niederbroich genießen Rebecca und ihre Schwestern die freie Zeit. Rebecca feiert mit ihrer Clique am See und ist verliebt in ihren Freund – doch nach den Sommerferien verändert sich ihr Leben für immer. Mit viel psychologischem Gespür erzählt Christiane Wünsche eine spannende Familiengeschichte, die besonders ist und doch vertraut anmutet.
Sanaka Hiiragi, Die Erinnerungsfotografen, Roman, 174 Seiten, Hoffmann und Campe, 2023
Hirasakas Fotostudio ist ein Zwischenstopp, ein Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Die Menschen, die er fotografiert, sind gerade erst verstorben und er soll ihren Schock darüber mildern. Bevor die Menschen ins Reich der Toten eintreten, dürfen sie sich aus jedem Jahr ihres Lebens ein Foto aussuchen und einen eindrücklichen Tag noch mal miterleben. Drei Menschen begleitet Hirasaka auf dem Weg dahin: eine Frau über 90, einen Kleinkriminellen und ein kleines Mädchen. Sie erzählen ihm ihre (teils tragische) Lebensgeschichte und teilen ihre Erinnerungen. Sie erkennen im Rückblick, dass jedes Leben Augenblicke des Glücks bereithält, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, und können ihren Frieden schließen. Hirasaka selbst hat die Erinnerung an sein Leben verloren und hofft, irgendwann jemanden in seinem Fotostudio zu treffen, der ihn wiedererkennt. Die Einzelschicksale sind zart miteinander verknüpft, die Zusammenhänge werden aber erst zum Schluss sichtbar.
Tamara Böhm, Büchereimitarbeiterin