Claire Winter, Die Erbin, Roman, 589 Seiten, Heyne, 2025
Cosima Liefenstein, designierte Erbin eines großen Industrieunternehmens, gründet 1957 eine Stiftung für bedürftige Frauen und Mütter. Unmittelbar nach der Gründungsversammlung hat sie einen Autounfall und lernt den Journalisten Leo Winter kennen, der den gewaltsamen Tod eines Bekannten untersucht und Nachforschungen zu den Liefensteins anstellt. Das erweist sich als nicht ganz ungefährlich. Auch Cosimas Fragen nach der Familienvergangenheit – mit offensichtlichen Geheimnissen – werden nur ausweichend beantwortet. Außerdem fühlt sich die taffe junge Frau mit ihren Ambitionen von ihrem Verlobten nicht ernst genommen und befürchtet, nach der Eheschließung von seinem Wohlwollen abhängig zu sein. C. Winter beschreibt die Wirtschaftswunderjahre mit vielen Facetten damaliger gesellschaftlicher Zwänge, die männerdominierten Strukturen und dem Weiterbestehen ehemaliger Seilschaften aus der Nazizeit. Das alles ist gut recherchiert und von der Autorin in eine spannende Geschichte verpackt, die man nicht aus der Hand legen möchte.
Ralf Westhoff, Niemals nichts, Roman, 221 Seiten, Rowohlt, 2025
Anfang des 19. Jahrhunderts will Andres seinem Dasein als Bauer entfliehen, hat den eigenen Hof mit einem Kredit belastet, damit die Reise in Richtung Neue Welt bezahlt. Ein düsteres Los für seinen von Krankheit gezeichneten Sohn und dessen junger Ehe mit Liza, der Tochter vom Nachbarhof. Doch sie nutzt die existenzbedrohende Situation, um die Konventionen der bäuerlichen Gesellschaft zu überwinden und alles zu tun, um die Familie von den Schulden zu befreien. Mit der in gekonnter Parallelmontage inszenierten Erzählung, die sowohl Andres' Reise als auch den von Rückschlägen gezeichneten Kampf um die Erhaltung des Hofes schildert, legt der deutsche Filmregisseur Westhoff seinen durchweg gelungenen Debütroman vor: Zur einen Hälfte tragischer Schelmenroman, zur anderen eine Emanzipationsgeschichte in überraschendem Setting, die vor allem durch ihren angemessen bescheidenen Stil besticht.
Joel Dicker, Ein ungezähmtes Tier, Roman, 425 Seiten, Piper, 2025
Eine privilegierte Wohngegend in Genf: Dort wohnt das vermögende Ehepaar Braun; Sophie ist Anwältin, Arpad ist Banker und in dunkle Machenschaften verwickelt. Befreundet sind sie mit einem weniger betuchten Paar, der Verkäuferin Karine und dem Polizisten Greg, die beide vom Reichtum der Brauns fasziniert sind. Als es zu einem spektakulären Raubüberfall auf einen Luxus-Juwelier kommt, stellt sich die Frage, woher der Reichtum der Brauns gekommen ist ... Raffinierte Story mit verschiedenen Zeitebenen und Rückblenden, kunstvoll verwoben in einem Beziehungsgeflecht rund um Neid, Begehren und Leidenschaft. Der bestens durchdachte Plot überzeugt mit zahlreichen Twists und ausdrucksstarken Charakteren, so dass sich ein stimmiger Krimi entrollt, der laut einhelliger Meinung der Kritik eines von Dickers besten Büchern geworden ist. In Frankreich ein Bestseller!
Tamara Böhm, Büchereimitarbeiterin