Bundestagswahl 2025

Bundestagswahl 2025: Interview mit Horst Berger (Grüne)

Horst Berger (Grüne) tritt im Wahlkreis Odenwald-Tauber zur Bundestagswahl 2025 an. Der Redaktion vom Mosbacher Stadtanzeiger beantwortete er Fragen.
Horst Berger (Grüne) tritt im Wahlkreis Odenwald-Tauber zur Bundestagswahl 2025 an. Der Redaktion vom Mosbacher Stadtanzeiger beantwortete er Fragen.
Horst Berger (Grüne) tritt im Wahlkreis Odenwald-Tauber zur Bundestagswahl 2025 an. Der Redaktion vom Mosbacher Stadtanzeiger beantwortete er Fragen.Foto: pvh

Horst Berger ist 1971 geboren und tritt als Bundestagskandidat für die Grünen im Wahlkreis Odenwald-Tauber an. Im Zuge der Vorberichterstattung zur Bundestagswahl konnte die Redaktion des Mosbacher Stadtanzeigers mit ihm ins Gespräch kommen.

Mosbacher Stadtanzeiger (MS): Was sind Ihrer Meinung nach die größten Sorgen der Menschen in Ihrem Wahlkreis?

Horst Berger: In den zwei Landkreisen, dem Neckar-Odenwald-Kreis und dem Main-Tauber-Kreis, haben die größten Städte unter 25.000 Einwohner. Uns fehlen Ballungszentren und damit ist die Gesundheitsversorgung in Gefahr. Das ist zu Recht das Aufregerthema, von den Krankenhäusern bis hin zur kinderärztlichen Notfallversorgung. Ich bin selbst bin Vater von drei Kindern, die jetzt mittlerweile volljährig sind, aber ich möchte mir nicht vorstellen, wenn man nachts mit einem Kind in
Fieberkrämpfen noch unzählige Kilometer fahren muss.

Jetzt strebe ich natürlich ein bundespolitisches Amt an. Aber von den Wurzeln bin ich Kommunalpolitiker, Kind dieser Region. Was ich hier so toll finde, ist das Engagement und die Bereitschaft zum Ehrenamt. Das möchte ich erhalten, und dafür müssen die Menschen auskömmlich leben können. Das fängt dazu an mit dem Heizthema. Wir müssen die Menschen gerade hier auf dem Land unterstützen von kommunaler oder politischer Seite, Bundesseite. In der Gebäudesanierung und im Tausch von Heizungsanlagen, wenn sie kaputt gehen, wie es jetzt auch im aktuellen Gesetz so vorgesehen ist. Z.B. Geothermie hat kaum jemand auf dem Schirm. Es gibt eine Landesseite vom Bergbau, die ist öffentlich einsehbar. Aber um diese immensen Potenziale, die schon jetzt vorhanden sind zu nutzen, muss man zügig investieren.

MS: Was würden Sie im Rückblick auf die vergangenen vier Jahre als bisher größten erzielten Erfolg für die Region bezeichnen und wo sehen Sie aktuell den dringendsten Handlungsbedarf?

Berger: Eine geniale Geschichte ist die Buslinie 999, die zwei Landkreise verbindet. Von Buchen nach Tauberbischofsheim, die wird stark genutzt.

Und wir sind sehr gut beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Was noch viel zu wenig bekannt ist, ist die gesetzlich festgelegte Akzeptanzabgabe. Darin ist festgelegt, dass 0,1 Cent pro erzeugter Kilowattstunde an die Kommune gehen können. Selbst im Worst Case, falls die Kommune keine Pacht- oder Gewerbesteuereinnahmen hat, kann immer noch die Akzeptanzabgabe fließen. Das sieht man zum Beispiel gerade in Buchen, wo ich Gemeinderat bin. Hier setzen wir Grüne uns dafür ein, dass die Einnahmen auch zu einem klar ersichtlichen Anteil zu den Teilorten fließen, in denen die Anlagen stehen.
Der dringendste Handlungsbedarf liegt darin, die Stromnetze so hoch zu fahren, dass die Erneuerbaren Energien dann auch genutzt werden können. Speicherkapazitäten: Auch die Wirtschaft hat mittlerweile erkannt, dass es ein super Geschäftsmodell ist, überschüssigen Strom zu speichern und später gewinnbringend abzugeben, wenn einmal eine Mangellage ist. Und auch der überschüssige Strom von Menschen, die eine eigene PV-Anlage haben, muss ins Netz aufgenommen werden können. Auch hier muss dringend investiert werden, dass unsere Netze gerüstet sind für diese moderne, und despotenunabhängige
Energieversorgung.

MS: Die (Neu-)Verschuldung der Kommunen steigt rasant an. Gerade kleinere Kommunen haben es immer schwerer. Braucht es neue Finanzierungsmodelle für die Kommunen?

Berger: Je ländlicher, desto mehr Potenzial gibt es natürlich, was die erneuerbaren Energien angeht.
Wir müssen wieder zum Verursacherprinzip kommen: Wer etwas bestellt, der muss es auch bezahlen! Leider werden viele Gesetze, vor allem auf Bundes- und auf Landesebene gemacht, bei denen den Kommunen nichts anderes übrig bleibt, als Geld auszugeben. Wenn die Kommunen das so nicht stemmen können, dann muss man andere Gesetze machen.

MS: Mieten, Lebensmittel, Energiekosten – die Preise in diesen Bereichen bleiben nach wie vor auf hohem Niveau. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Preise wieder zu senken?

Berger: Der CO2-Preis wird nach oben schießen. Und das Einzige ist, jetzt konsequent im Gebäudesektor umzustellen und die Menschen, die privates Eigentum haben - und keine Multimillionäre sind - zu unterstützen. Und wir setzen uns massiv für sozialen Wohnungsbau ein.

Die Merkel-Regierung hat beschlossen, 2045 klimaneutral zu sein. Das sind unsere eigenen Versprechen, die wir als Staat, als Deutschland gegeben haben, auch wenn wir Grüne damals nicht in der Regierungsverantwortung waren. Nehmen wir die internationalen Verträge ernst, dann sollten wir alles tun, um uns daran zu halten. Es macht keinen Sinn, jetzt in Öl- und Gas Heizungen zu investieren, die dann in 20 Jahren hinfällig sind.

Zu den Lebensmitteln müssen wir unsere Bauern und Bäuerinnen im Blick haben, die oftmals unter einem immensen Preisdruck produzieren müssen. Große Lebensmittelkonzerne können sehr viel Macht ausüben. Wir brauchen einen Gegenpol, auch in der EU- Gesetzgebung. Gleichzeitig müssen wir unseren europäischen Binnenmarkt nutzen und schützen.

MS: Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen, ob in Pflege, Handwerksbetrieben oder an Schulen und Kitas - Tendenz steigend. Wie wollen Sie hier gegensteuern?

Berger: Diese Berufe müssen attraktiver werden, auch vom gesellschaftlichen Standing her. Im Idealfall können gerade hier Arbeitskräfte einen kreativen Ausdruck finden und das neue Arbeitsfeld mitbestimmen, was auch dem Wert entsprechend entlohnt werden muss. Meine Frau ist beispielsweise Erzieherin und hat sich nun selbständig gemacht mit einer Kindertagespflegeeinrichtung direkt zu Hause bei uns, in unserem Lebenszentrum.

Außerdem bietet es Chancen, wenn wir Deutschland als Einwanderungsland begreifen. Menschen, die Schutz und Asyl bei uns suchen, erhalten erstmal keine Arbeitserlaubnis. Sie müssen mitunter ein halbes Jahr oder noch mehr warten, bis sie überhaupt mal den ersten Deutschkurs belegen können, um unserem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen dürfen. Da wäre die Vision, dass das schneller geht. Es sollte die Möglichkeit geben Menschen einzustellen, auch wenn es noch Sprachbarrieren gibt, um über die Integration in der Tätigkeit und damit der Gesellschaft die Sprache erwerben.

MS: Was der Wirtschaft zudem zu schaffen macht, ist die überbordende Bürokratie. Gleichzeitig haben viele Versuche, Bürokratie abzubauen, das Gegenteil bewirkt. Was schlagen Sie vor?

Berger: Genau das, was die Grünen schon machen. Zum Beispiel bei den Balkon-Solar-Kraftwerken haben wir schon erreicht, dass der Prozess völlig unbürokratisch ist.

Und wir setzen auf Digitalisierung, Stichwort Deutschland-App. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass man von zu Hause auch Behördenangelegenheiten erledigen kann.

MS: Der Deutschen Rentenversicherung zufolge gibt es nach 2030 keine Untergrenze mehr für das Rentenniveau. Gleichzeitig werden junge Menschen historisch hohe Beiträge zahlen müssen. Wie kann die Politik dem begegnen?

Berger: Da haben sie das Spannungsfeld aufgerissen, das auf die mittlere und junge Generation zukommt. Sie müssen Beiträge in die Rentenkasse zahlen und am Ende bleibt ihnen nicht mehr viel übrig. Deswegen ist es wichtig, das Rententhema entschieden anzupacken. Ein Bereich ist das Thema Einwanderungsland, ich brauche das jetzt nicht noch einmal ausführen. Und das andere ist, die Multimillionäre, deren Geld nur noch für sich arbeitet, auch an den Sozialabgaben zu beteiligen.

MS: Deutschland hinkt vor allem im Verkehrssektor seinen Klimazielen hinterher. Welche Schritte sind Ihrer Meinung nach zielführend?

Berger: Es wurde noch nie so viel in Bahninfrastruktur investiert wie 2024. Und auch weiterhin muss investiert werden. Brücken stürzen ein. Es hat sich vieles aufgestaut.

Wichtig ist auch: Wie kriegen wir die Mobilität hier auf dem Land hin? Ich fahre viel mit dem Fahrrad. Da kann man noch vieles besser machen. Wenn man das nach der Vision Zero ausrichtet, also keine Verkehrstote, dann ändert das die Art, wie man Kreuzungen designt, damit es möglichst keine Konfliktpunkte zwischen Fahrzeugen und Radfahrenden und Fußgänger:innen gibt. Und für Kinder, da braucht es echte Campuslösungen. Wo kann ich ein achtjähriges Kind beruhigt hin gehen lassen? Kann ich es durch ein ganzes Wohngebiet, meinetwegen durch die Innenstadt bis ins Schulzentrum auf der anderen Seite der Stadt mit dem Fahrrad fahren lassen?

Ich glaube nicht, dass die Lösung ist, bei uns auf dem Land in jeder noch so kleine Ortschaft Tag und Nacht große ÖPNV-Busse kreisen zu lassen. Stattdessen braucht man kombinierte Lösungen, was natürlich auch den Privat-Pkw beinhaltet. Klar stehen wir zum Verbrenner-Aus, das ist das EU-Recht. Nochmal dieses Fass aufzumachen bringt Verunsicherung in die Industrie. Selbst die deutschen Autokonzerne wollen Planungssicherheit haben. Was aber auch bedeutet: Ladesäulen-Infrastruktur hochfahren. Die Nutzung von E-Autos muss praktikabel sein.

Was ich selbst auch gerne nutze, sind die bestehenden Ruftaxilinien. Gerade jetzt mit dem Deutschlandticket - das muss wieder 49 Euro sein - kann man kostenlos Ruftaxi fahren.

Der eigentliche Kern der Sache ist aber das Carsharing. Ein Grund, warum meine Frau und ich vor zwei Jahren bereit waren, das eigene Auto aufzugeben. Es gibt Anbieter, da kann das Fahrzeug an Punkt A abholen und nach Punkt B bringen und dort abgeben. Wenn man das jetzt auch mal versucht, auf unseren Raum herunter zu brechen, dass in jeder auch noch so kleinen Ortschaft mindestens ein Fahrzeug stünde - und dann auch nicht nur Kleinwagen sondern eben auch mal ein Transporter oder Bus. Und die Vision ist, dass die verschiedenen Anbieter auch miteinander kooperieren, so wie es bei den Verkehrsverbünden. Nach und nach müsste man durch solche Angebote auf die Hälfte aller Privat-PKWs verzichten können.

MS: Populistische Forderungen, Tendenzen zu extremistischen Positionen und Verrohung der politischen Debatte sind in Deutschland immer häufiger zu beobachten – mit welchen konkreten Maßnahmen wollen die Grünen diesem Umstand entgegenwirken?

Berger: Wir müssen reden können miteinander. Und zwar so, dass es nicht nur darum geht, den anderen zu überzeugen, um dann als Sieger davon zu gehen, sondern in einem wirklichen Austausch. Damit beide Parteien aus dem Gespräch herausgehen können und sagen, das hat mir etwas gebracht, ich habe was dazugelernt. Leider gibt es Kreise, wo das zunehmend verroht und Menschen angegriffen und bedroht werden.

Also ich habe schon zwei Kommentare auf meine Posts melden müssen. “Es wird Zeit, dass die Grünen an den Windrädern hängen.” Das ist nicht lustig. Da gilt es, klare Kante zu zeigen. Der digitale Raum ist kein rechtsfreier Raum.

Ich glaube nicht, dass man diesen letztendlichen Rechtsaußenbodensatz wegbringt. Der ist halt in jeder Gesellschaft leider irgendwo immer da. Aber wir müssen zunehmend aufpassen, dass diese Art nicht mehrheitsfähig wird. Durch deren Einschüchterungen trauen sich manche Menschen nicht mehr, sich zu engagieren.

MS: Worin sehen Sie das Scheitern der bisherigen Regierung und was kann die Politik daraus lernen?

Berger: Das Scheitern der Regierung lag daran, was auch im Strategiepapier der FDP offensichtlich wurde:
dass eine Partei zunehmend nur noch blockiert hat. Das Ampel-Aus war der Tag, an dem klar war,
dass Trump die Wahlen in Amerika gewinnt. In dem Moment war klar, wir können uns perspektivisch
auf Amerika nicht mehr verlassen, auch was jetzt Verteidigung und so weiter angeht. Auf Putin
schon dreimal nicht mehr. China agiert zunehmend aggressiv Richtung Taiwan. Wir haben einen Krieg
in Europa und der Haushalt war zu diesem Zeitpunkt noch nicht verabschiedet. Das Mantra der FDP,
nicht an die Schuldenbremse zu gehen, das war leider dann das Aus.

Meine Position ist, dass wir in einer Phase sind, in der man investieren muss. Natürlich nicht Geld
verschleudern, aber jede sinnvolle Investition bringt ja auch dann einen Vorteil für die Gesellschaft.
Es geht darum, die Möglichkeiten, die die jetzige Schuldenbremse bietet, zu nutzen. Wir haben eine
europäische Sicherheitskrise, von der Klimakrise ganz zu schweigen.

Ein weiterer wichtiger Punkt, warum die Ampel gescheitert ist: Die fest eingeplanten Gelder aus dem
Klima- und Transformationsfond waren Ende 2023 nicht mehr nutzbar. Danach musste man “mal
schnell” den Haushalt neu zusammenzimmern. Das hat die Gesellschaft aufgewiegelt.

Was können wir daraus lernen? Es geht um ein klares Miteinander in den demokratischen Parteien.
Darum, an einem echten Konsens und einer Lösung orientiert zu sein. Da möchte ich Özdemir
zitieren: Wenn man ein politisches Amt hat, dann sollte man den Staat, das Bundesland, die
Kommune, in der man das Mandat hat, über alles stellen, dann erst die Partei und dann die Person.

Die Fragen stellte Pia von Hülsen

Zum Kandidaten

Horst Berger ist 1971 geboren und in Buchen-Hainstadt aufgewachsen, verheiratet und Vater von drei Kindern. Studiert hat er an der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart. Seit 1999 ist er Kirchenmusiker in St. Oswald in Buchen, seit 2019 zusätzlich Angestellter der Stadt Buchen. In Buchen ist er zudem Fraktionsvorsitzender der Grünen.

Er bezeichnet sich als "Kind der Region", er liebt seine Heimat. Deshalb möchte er sich für das Handwerk, eine vielfältige Landwirtschaft und den Mittelstand, für eine gute Gesundheitsversorgung, eine funktionierende Infrastruktur, verlässlichen ÖPNV und sichere Schulwege einsetzen. Die Interessen der Familien habe er stets im Blick.

Erscheinung
Stadtanzeiger Mosbach
Ausgabe 06/2025

Orte

Ahorn
Assamstadt
Bad Mergentheim
Boxberg
Creglingen

Kategorien

Politik
von Redaktion NUSSBAUMPia von Hülsen
05.02.2025