Horst Berger ist 1971 geboren und tritt als Bundestagskandidat für die Grünen im Wahlkreis Odenwald-Tauber an. Im Zuge der Vorberichterstattung zur Bundestagswahl konnte die Redaktion des Mosbacher Stadtanzeigers mit ihm ins Gespräch kommen.
Mosbacher Stadtanzeiger (MS): Was sind Ihrer Meinung nach die größten Sorgen der Menschen in Ihrem Wahlkreis?
Philipp Hensinger: Das ist einmal in der medizinische Versorgung. Wir wissen noch nicht, wie sich die Krankenhausreform darauf auswirkt und wie die finanzielle Lage bleiben wird. Generell ist dazu aber zu sagen, dass die Krankenhausreform die gesundheitliche Versorgung deutlich verbessern wird. Auch, weil dadurch spezialisierte Operationen durchgeführt werden können, wo sie auch wirklich gebraucht werden. Nicht jedes Krankenhaus muss jede Leistung abdecken, das kann nun besser strukturiert werden.
Das andere Thema ist die Wirtschaft. In viele Kommunen, wie man gerade in den Haushaltsverhandlungen sieht, sind die Gewerbesteuern stark eingebrochen. Viele fragen sich, wie es jetzt mit der Wirtschaft weitergeht, mit ihrem Arbeitsplatz.
Auch der Tourismus ist so ein Problem, was wir in dieser Region erfahren, weil wir eher Wochenendes- oder Einmaltourismus haben, anstatt größeren Orten und Städten, die oft länger oder mehrfach besucht werden.
Migration ist ein Thema, das bewegt generell alle Menschen. Integration in unserem Land ist wichtig. Wenn sich Menschen aber nicht an unsere Regeln halten können, da bin ich auch klar bei unserem SPD-Wahlprogramm, dann haben sie ihren Schutz hier nicht verdient und müssen dementsprechend die Konsequenzen tragen. Dennoch dürfen wir niemals vergessen, dass Fachkräftemangel auch unsere Region betrifft. Das müssen wir begreifen, dass Migration und Integration unsere Chance für künftige Erfolge in unserem Landkreis und Wahlkreis ist.
MS: Was würden Sie im Rückblick auf die vergangenen vier Jahre als bisher größten erzielten Erfolg für die Region bezeichnen und wo sehen Sie aktuell den dringendsten Handlungsbedarf?
Hensinger: Die vielen sozialen Sicherungssysteme, wie einen höheren Mindestlohn, ein besseres Bürgergeld, aber auch der verbesserte Ausbau der erneuerbaren Energien ist für unseren Landkreis enorm wichtig. Und der Mindestlohn zeigt Wirkung, vor allem was Gastronomie und Landwirte angeht. Oft wird zwar beklagt, dass die sich das nicht leisten können, aber am Ende spiegelt es sich wieder, denn werden die Leute nicht gut bezahlt, dann gehen sie woanders hin und dann fehlen Arbeitskräfte für die Erntehilfe oder gastronomische Betriebe.
Ein besseres Bürgergeld, das fördert und fordert, entlastet den Haushalt des Kreises ist und unterstützt uns, Leute weniger zu stigmatisieren. Vor allem, weil da viele Kinder, Studierende, Aufstocker und Alleinerziehende drin sind, die eventuell gar nicht arbeiten können. Und zum Ausbau der erneuerbaren Energien, da haben wir schon einiges, aber brauchen immer noch mehr und wir profitieren als Region viel davon.
Das größte Problem, was unsere Region betrifft, ist die wirtschaftliche Lähmung. Was sich auch im Programm der SPD widerspiegelt, dass man das durch einen Investitionsbonus angehen möchte. Dass man Steuerpolitik anders gestalten möchte und dadurch den Konsum wieder ankurbeln möchte. Den Mindestlohn weiter erhöhen. Wenn wir diese Punkte angehen, können wir das wirtschaftliche Hemmnis, das unsere Landkreise beide spüren, angehen.
MS: Die (Neu-)Verschuldung der Kommunen steigt rasant an. Gerade kleinere Kommunen haben es immer schwerer. Braucht es neue Finanzierungsmodelle für die Kommunen?
Hensinger: Es gibt ja die Grundsteuerreform, die gerade ihre Auswirkungen zeigt. An einer Grundsteuer ist festzuhalten, weil sie eine sichere Einnahmequelle für unsere Kommunen ist. Die Gewerbesteuer halte ich auch für durchaus sinnvoll. Ein neues Konzept braucht es deswegen nicht.
Es wäre aber generell nötig, die wirtschaftlichen Komponenten wieder stärker anzuführen, um die Gewerbesteuereinnahmen aufzustocken, Kommunen aber auch gleichzeitig in der bürokratischen Arbeit zu entlasten. Ich möchte nicht etwa das Personal abbauen, aber wenn wir den Kommunen wieder mehr Freiraum in bürokratischen Wegen geben, damit sie mehr Spielraum haben und ihr Personal effizienter einsetzen können, dann ist das von Vorteil.
MS: Mieten, Lebensmittel, Energiekosten – die Preise in diesen Bereichen bleiben nach wie vor auf hohem Niveau. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Preise wieder zu senken?
Hensinger: Mieten sind ein wichtiges Thema und da haben wir in der Regierung ein wichtiges Ziel gesetzt, indem wir mehr bauen. Es ist zwar nicht erreicht worden, aber wir sind es bereits angegangen.
Wohnungen zu bauen und das Angebot zu erhöhen ist bei einer derart hohen Nachfrage ist wichtig. Es geht aber auch darum, zu prüfen, welche bürokratischen Regelungen Sinn ergeben, welche vielleicht zu viel sind. Es wäre auch denkbar, für unseren Wahlkreis eine kommunale Baugesellschaft aufzubauen, an der sich die Bürger beteiligen können, dass sie davon profitieren und sozialeren Wohnungsbau besser steuern können.
Bei den Lebensmitteln ist es so, dass wir als SPD eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel von 2% fordern. Ein weiterer Punkt ist es, die Löhne weiterhin anzugleichen. Wir hatten in den letzten Jahren einen starken Reallohnverlust, den es wieder auszugleichen gilt. Und da sind ein starker Mindestlohn und stärkere Tarifbindungen wichtige Elemente.
Und Energiekosten, da ist es wichtig, die erneuerbaren Energien auszubauen und die Netzentgelte zu fördern und auszubauen. Wir haben bereits gesehen, dass die Energiepreise dank der Regierung wieder gesunken sind. Man muss sich klar machen, wie schnell wir von russischem Gas weggekommen sind und wie viele erneuerbare Energien wir jetzt ausgebaut haben.
Unser Energiehaushalt besteht mittlerweile bis zu zwei Drittel aus erneuerbaren Energien. Da hat diese Regierung viel getan.
MS: Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen, ob in Pflege, Handwerksbetrieben oder an Schulen und Kitas - Tendenz steigend. Wie wollen Sie hier gegensteuern?
Hensinger: Das ist eine sehr interessante Frage. Ich war am Samstag im Pflegeheim Tannenhof in Mosbach - die haben nämlich Personalüberschuss. In einem Bereich wie der Pflege ist sowas ja extrem selten, vor allem wenn man dann hört, dass in Boxberg ein neues Pflegeheim gebaut wurde und seit eineinhalb Jahren nicht aufmachen konnte, weil sie kein Personal haben. Wie kommt es also zum Überschuss? Zum einen die richtige Bezahlung mit Tarifbeträgen. Was aber das Wichtigste für die Mitarbeiter war, waren die Arbeitsbedingungen. Eine klare Arbeitsteilung, anstatt das „Mädchen für alles“ zu sein. Es ist wichtig in den systemrelevanten Berufen, unsere Leute nicht zu überfordern und sich nicht überarbeiten zu lassen. Daher ist es so wichtig, unsere Träger dazu ermutigen, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Des Weiteren ist es wichtig, dass wir Integration als Chance sehen. Wir haben viele Leute, die sind willig hier zu arbeiten, denen fehlt aber eine Wohnung, der nötige Integrationskurs oder die Firmen wollen die Leute einfach nicht nehmen. Deutschland ist da immens nach hinten gefallen, was die Attraktivität als Einwanderungsland angeht. Daran müssen wir gesellschaftlich und politisch arbeiten.
MS: Was der Wirtschaft zudem zu schaffen macht, ist die überbordende Bürokratie. Gleichzeitig haben viele Versuche, Bürokratie abzubauen, das Gegenteil bewirkt. Was schlagen Sie vor?
Hensinger: Teilweise stimmt es, dass wir bürokratische Gesetze geschaffen haben, die das Gegenteil bewirkt haben. Aber wir sehen auch, dass unsere Bemühungen etwas bewirken. Einer der großen Punkte ist aber beispielsweise immer noch die Zulassung von Schwertransporten auf der Autobahn: Wie lange man da auf eine Genehmigung warten muss, das ist wirklich enorm und dabei muss man wirklich Bürokratie abbauen. Wir haben auch beispielsweise das duale Finanzprüfungsgesetz, wo wir unseren Kommunen und unserer EU oder anderen übergeordneten Behörden Subventionen und Zuschüsse ausgeben. Die könnte man deutlich verkürzen.
Gleichzeitig schützt Bürokratie uns in unserem Leben auch. Wir sollten sie effizient gestalten und auch gleichzeitig unsere Bürgerinnen und Bürger, und Leistungsträgerinnen und Leistungsträger auch sichern.
MS: Der Deutschen Rentenversicherung zufolge gibt es nach 2030 keine Untergrenze mehr für das Rentenniveau. Gleichzeitig werden junge Menschen historisch hohe Beiträge zahlen müssen. Wie kann die Politik dem begegnen?
Hensinger: Rente ist ein komplexes Thema. Es ist wichtig, den Leuten eine Perspektive zu bieten. Alleine mit mehr Beitragszahlern kriegen wir das Thema nicht geregelt, sondern schieben das Problem nur noch weiter nach hinten.
Viel nachhaltiger wäre es, wie in den Niederlanden oder in Schweden, eine Aktienrente einzuführen, die breit gestreut ist und mit deren Dividenden wir unser Rentensystem füttern können.
Uns muss aber auch klar sein, dabei haben wir mit den Reformen viel zu spät angefangen, dass die Effekte sich nicht von heute auf morgen verändern werden. Rente ist ein Problem, dass wir das langfristig angehen müssen und auch nur langfristig Früchte zeigen wird. Von einem höheren Renteneintrittsalter bin ich nicht überzeugt, denn viele Menschen arbeiten 45 Jahre lang und haben dann auch ihre Rente verdient und die sollen sie auch bekommen. Also attraktiver müssten wir es dann eher für die Menschen machen, die noch länger arbeiten wollen, zum Beispiel durch mehr Lohn oder Steuervorteile bekommen.
MS: Deutschland hinkt vor allem im Verkehrssektor seinen Klimazielen hinterher. Welche Schritte sind Ihrer Meinung nach zielführend?
Hensinger: Da kommen wir wieder auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zurück, weil wir viel Strom brauchen werden für unsere Elektroautos. E-Autos sind die Zukunft im Verkehrssektor. Den Ausbau der Ladeinfrastruktur muss vorangegangen werden. Der ist hier im ländlichen Raum katastrophal. Ich habe selbst noch vor kurzem ein E-Auto besessen und habe es abgeben müssen, weil die Infrastruktur einfach nicht vorhanden ist. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, den Strompreis dementsprechend zu senken. Erneuerbare Energien sind günstiger, wenn wir die Netzentgelte fördern.
Wir müssen uns aber auch im Klaren sein, der ÖPNV wird hier auf dem ländlichen Raum niemals wirtschaftlich funktionieren, auch wenn das ein wichtiges Thema ist und wir das trotzdem weiter verfolgen sollten, weil das ein edles Ziel ist. Es kann aber das nicht das Kernthema sein, worauf wir setzen.
Aber da ist der Mobilitätspass, den die SPD auch fordert, beispielsweise mit einer Prämie von 500 Euro, dass Menschen in städtischen Regionen sich beispielsweise ein Fahrrad gönnen können, aber im ländlichen Raum beispielsweise damit ihren Führerschein besser finanzieren können. Das wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung, um Menschen in der Mobilität zu unterstützen.
MS: Populistische Forderungen, Tendenzen zu extremistischen Positionen und Verrohung der politischen Debatte sind in Deutschland immer häufiger zu beobachten – mit welchen konkreten Maßnahmen will die SPD diesem Umstand entgegenwirken?
Hensinger: Ich spreche mich ganz klar gegen ein AfD-Verbotsverfahren aus, weil wir damit das Problem in unserer Gesellschaft nicht lösen. Viel eher ist es dabei wichtig, das Problem sachlich anzugehen, indem wir die Bildung, die der bundespolitischen Zentrale für Bildung, stärker ausbauen. Deren Arbeit ist es sehr wichtig, was Aufklärung angeht.
Dabei sollten wir demokratische Initiativen, wie beispielsweise Herz statt Hetze, stärker zu fördern. Die Arbeit ist vor Ort wichtig. Gleichzeitig ist es auch sehr wichtig, den Menschen zuzuhören, deren Probleme ernst zu nehmen, als Politiker hier selbst vor Ort, um sie dann auch wirklich anzugehen. Also Realpolitik zu machen für die Menschen, die durch Themen betroffen sind.
Dabei ist es wichtig, dass wir unbedingt mit unserer Sprache klar und direkt sind, aber niemals populistisch oder beleidigend gegenüber unseren demokratischen Mitbewerbern werden.
MS: Worin sehen Sie das Scheitern der bisherigen Regierung und was kann die Politik daraus lernen?
Hensinger: Ich würde nicht sagen, dass die Regierung gescheitert ist. Sie hat viele tolle Projekte angegangen und durchgesetzt. Allerdings ist die Kommunikation untereinander in der Regierung katastrophal gewesen, weswegen auch ihr Außenbild extrem schlecht war. So etwas darf nicht wieder passieren. Wir können Politik, die Fortschritte in diesem Land erzielen konnte oder könnte, nicht an, da darf ich jetzt mal Scholz zitieren, „Tünkram“, den man da in der Koalition produziert hat, kaputt machen.
Wir brauchen in Zukunft eine gute Kommunikation in der Regierung, die dann ab dem 23. Februar in ihre Aufgabe gehen muss, sich zu konstituieren. Einen klaren gemeinsamen Kurs, der den Menschen die Projekte näher bringt und sich dabei nicht innerhalb zerfleischen möchte.
Philipp Hensinger ist am 22. Oktober 2003 in Künzelsau geboren, also 21 Jahre alt. Gemeinsam mit Freunden war er schon während seiner Schulzeit aktiv und hat damals das „Vielfaltsforum“ gegründet und geleitet – eine Initiative, die sich für Toleranz und Vielfalt an seiner Schule stark machte und den Austausch zu Themen wie Gleichberechtigung und LGBTQI+-Rechten förderte.
Derzeit studiert Hensinger „Public Management“ an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen (HVF) in Ludwigsburg. Erste politische Praxiserfahrungen sammelte er während seines Einführungspraktikums bei der Stadt Heidelberg in den Bereichen Haushalt, Stadtplanung und Bürgerbeteiligung. Seit 2019 ist Hensinger Mitglied der SPD und engagiert sich bei den Jusos als Kreisvorsitzender.