Für den Wahlkreis-Karlsruhe Land

Bundestagswahl 2025: Interview mit Sebastian Grässer (Grüne)

Sebastian Grässer tritt bei der Bundestagswahl 2025 für die Grünen an. Die Redaktion stellte ihm im Vorfeld einige Fragen.
Sebastian Grässer kandidiert für die Grünen im Wahlkreis Karlsruhe-Land für die Bundestagswahl.
Sebastian Grässer kandidiert für die Grünen im Wahlkreis Karlsruhe-Land für die Bundestagswahl.Foto: Denise Reibenspies

Sebastian Grässer ist 34 Jahre alt und tritt als Bundestagskandidat für die Grünen im Wahlkreis Karlsruhe-Land an. Im Zuge der Vorberichterstattung konnte die Redaktion des MAZ mit ihm telefonisch ins Gespräch kommen.

MAZ: Welche Themen haben aus Ihrem Wahlkreis für Sie aktuell Priorität?

Sebastian Grässer: Grundsätzlich müssen wir mehr in Infrastruktur investieren. Besonders Katastrophenschutz liegt mir am Herzen, denn wir hatten gerade ein Starkregenereignis, von dem auch Gondelsheim und Bruchsal betroffen waren. Stichwort Klimaanpassung: Da wird in Zukunft noch mehr passieren. Hochwasserschutz braucht immer entsprechenden Bau und Bau kostet Geld. Aber die Investitionen hören da nicht auf. Es geht auch drum, Brücken zu sanieren oder Investitionsstau bei Schulen aufzuheben. Da gibt es einiges, wo wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten einfach an der falschen Stelle gespart haben.

MAZ: Was hat Sie dazu bewogen für den Bundestag zu kandidieren?

Grässer: Meine Unzufriedenheit mit der Politik. Ich komme aus der Physik und habe keine klassische Politikerkarriere, aber möchte sicherstellen, dass ich und meine Kinder und meine Enkel hier in Zukunft noch gut leben können. Und da gab es in den letzten Jahren einfach vieles, womit ich nicht zufrieden bin, wo die Dinge meiner Meinung nach nicht in die richtige Richtung oder zu langsam gelaufen sind. Man kann sich darüber beschweren, aber muss auch selbst bereit sein, es besser zu machen.

MAZ: Mieten, Lebensmittel, Energiekosten – die Preise in diesen Bereichen bleiben nach wie vor auf hohem Niveau. Wie kriegen wir die Preise wieder runter? Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Preise wieder zu senken?

Grässer: Ich sehe das andersherum: Die Löhne müssen hoch. Das Leben muss bezahlbar bleiben und Inflation runterzukriegen, also eine negative Inflation, hätte andere Probleme. Die Gewerkschaften verhandeln alle eine ordentliche Lohnerhöhung, womit wir das Leben wieder bezahlbar kriegen. Aber das muss natürlich auch für Branchen gelten, die gewerkschaftlich nicht besonders stark vertreten sind. Darum muss sich die Politik mit besonderem Augenmerk kümmern.

MAZ: Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen, ob in Pflege, Handwerksbetrieben oder an Schulen und Kitas - Tendenz steigend. Wie wollen Sie hier gegensteuern?

Grässer: Wir haben nicht nur ein Arbeitskräftemangelproblem, sondern auch eine Ungleichheit in der Rente und für beides ist die Antwort Migration und Integration. Wir haben eine Demografie in Deutschland, in der es sehr viele Ältere gibt, die jetzt mehr und mehr in Rente gehen und damit steigt die Belastung für Jüngere, sowohl den Staat am Laufen zu halten als auch das Rentensystem zu finanzieren. Und eine der wichtigsten Komponenten dafür ist, dass Leute nach Deutschland kommen, die hier aktiv werden, arbeiten können und damit in das Rentensystem einzahlen. Damit kriegen wir diese Schieflage ausgeglichen und deswegen finde ich es sehr problematisch, wie sich aktuell die Debatte in Deutschland entwickelt. Das ist komplett die falsche Richtung.

Wir haben eine ständige Migrationsdebatte, wo darüber geredet wird, dass zu viele Leute zu uns ins Land kommen würden. Ich sage andersherum, dass wir schon seit 2015 das gleiche Problem haben: Wir ermöglichen es den Leuten nicht, sich hier eine Existenz aufzubauen. Wir haben ein Integrationsproblem, kein Migrationsproblem. Die Migration ist eigentlich das, was unser System am Laufen hält.

MAZ: Was der Wirtschaft zudem zu schaffen macht, ist die überbordende Bürokratie. Gleichzeitig haben viele Versuche, Bürokratie abzubauen, das Gegenteil bewirkt. Wie entkommen wir diesem Dilemma?

Grässer: Ich bin selbst Unternehmer und sage, das Wichtigste ist, dass wir unseren Staat ins 21. Jahrhundert bringen. Für jedes Anliegen und jedes Gesetz gibt es ein Formular und was wir eigentlich brauchen, ist ein Staat, der mitdenkt. Wenn beispielsweise ein Kind geboren wird, werden dafür fünf Verwaltungen beschäftigt, die alle dieselben Informationen brauchen.

Ich möchte einen Staat schaffen, der mitdenkt, der diese Informationen gleich an alle fünf Stellen weitergibt, damit weniger bürokratischer Aufwand stattfindet. Wir haben sowieso die Notwendigkeit unsere Verwaltung zu modernisieren, weil dort in den nächsten zehn Jahren etwa ein Drittel der Fachkräfte wegfallen wird. Und das ist für mich einfach die Gelegenheit zu sagen: „Jetzt denken wir unsere Verwaltung modern.“ In anderen Ländern funktioniert das schon und wir in Deutschland haben uns zu lange nicht darum gekümmert, aus dem klassischen Papiersystem rauszukommen. Verwaltungsmodernisierung und -digitalisierung ist für mich der erste große Schritt zu einer Entbürokratisierung.

MAZ: Der Deutschen Rentenversicherung zufolge gibt es nach 2030 keine Untergrenze mehr für das Rentenniveau. Gleichzeitig werden junge Menschen historisch hohe Beiträge zahlen müssen. Wie können wir dem begegnen?

Grässer: Zum einen möchte ich einen Bürgerfonds und wieder die Solidarität einfordern. Wir haben viele verschiedene Rententöpfe, die unterschiedlich gut gefüllt sind. Abgeordnetenrenten laufen zum Beispiel separat, da wird niemand in absehbarer Zeit am Hungertuch nagen. Ich finde, wir brauchen einen Bürgerfonds, in den alle einzahlen und von dem alle profitieren. Das macht die politische Lage deutlich einfacher, weil es dann keine Interessengruppen mehr gibt und zum anderen kann man dann über eine Kapitalmarktinvestition diesen Bürgerfonds querfinanzieren.

MAZ: Obwohl Deutschland seine Klimaziele erfüllt, hinkt der Verkehrssektor hinterher. Welche Schritte sind Ihrer Meinung nach zielführend?

Grässer: Die Abschaffung der Sektor-Ziele war auf jeden Fall ein Fehler. Das war ein Kompromiss, den wir in der Ampel mittragen mussten, aber uns schon an der Stelle sehr klar dagegengestellt haben. Letztendlich brauchen wir im Verkehr dreierlei: Wir müssen den Güterverkehr von den Straßen auf die Schiene bekommen. Das hilft nicht nur einiges bei den CO₂-Zielen, sondern es macht auch die Straßen besser und sicherer befahrbar für alle anderen.

Zweitens muss die Elektromobilität ausgebaut werden. Besonders Ladesäulen müssen mehr zur Verfügung gestellt werden, und zwar zu besseren Preisen, da es im Moment noch viele Zusatzkosten gibt. Und drittens brauchen wir mittelfristig einen Ausbau des ÖPNV mit verbesserter Taktung, insbesondere im ländlichen Raum. Das Deutschlandticket war ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber das funktioniert nicht in allen Regionen Deutschlands gleich gut. Wir haben hier in der Rheinschiene einen relativ guten Ausbau, aber Dettenheim ist zum Beispiel schon nicht mehr per Bahn angebunden. Je weiter man von den Großstädten entfernt ist, desto schwieriger wird es, dass Ticket so nutzen zu können, wie man es braucht. Daher brauchen wir weiterhin vollen Druck beim Ausbau vom ÖPNV-Regionalverkehr.

MAZ: Die (Neu-)Verschuldung der Kommunen steigt rasant an. Gerade kleinere Kommunen haben es immer schwerer. Braucht es neue Finanzierungsmodelle für die Kommunen?

Grässer: Ja, es braucht überhaupt eine auskömmliche Finanzierung und das muss der Bund leisten. Davor hat man sich die letzten Jahre wegen der Schuldenbremse immer gedrückt, was aber natürlich eine absolute Milchmädchenrechnung ist. Das ist nicht durch bösen Willen entstanden, sondern durch Überforderung und mangelnde Finanzierung vor Ort.

Das sind alles kommunale Probleme, die aber nicht die Kommunen gemacht haben, sondern letztendlich die Bundespolitik. Und die Bundespolitik sitzt am Steuertopf sowie an der Verteilung und muss auch das bezahlen, was sie von den Kommunen einfordern. Das ist in den letzten Jahren in ganz vielen Bereichen ein Problem geworden.

MAZ: Populistische Forderungen, Tendenzen zu extremistischen Positionen und Verrohung der politischen Debatte führen zu großen Problemen. Nennen Sie konkrete Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken.

Grässer: Wir müssen anerkennen, dass wir mit den sozialen Medien vor einer neuen Herausforderung stehen, wie das bei neuen Medien so üblich ist und historisch immer wieder vorkam. Das wirft Fragen bezüglich Macht auf: Wer hat dort wie viel Reichweite? Wer darf dort was verbreiten? Im Moment muss man feststellen, dass die großen sozialen Medien alle entweder aus den USA kommen oder mit TikTok eins aus China. Da setze ich klar auf europäische Souveränität. Wir haben jetzt ein Gesetz, wo wir zumindest dafür sorgen können, dass Meinungsgleichheit herrscht und keine Einzelmeinungen wie die von Herrn Musk überproportional weit verbreitet werden. Langfristig müssen wir einfach unsere eigenen Alternativen schaffen.

Das heißt letztendlich: Es muss viel in digitale Souveränität investiert werden. Wir sind sehr vom nicht-europäischen Ausland abhängig und wir müssen da europäisch denken. Ich rede schon gar nicht mehr über Deutschland an der Stelle, weil Deutschland dies allein nicht schaffen wird. Aber mit unseren europäischen Partnern zusammen kann es uns gelingen, ein Internet zu schaffen, in dem wirklich demokratische Gleichberechtigung herrscht und nicht die Leute mit dem meisten Geld am meisten politischen Einfluss haben.

MAZ: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Sorgen der Menschen in Ihrem Wahlkreis?

Grässer: Es herrscht grade viel Angst. Generelle Angst vor Rechtsextremismus, aber auch Angst vor Katastrophen, vor Anschlägen, vor Naturkatastrophen. Ich glaube, wir müssen es als Politik schaffen, auf der einen Seite diese Ängste ernst zu nehmen und darauf einzugehen, sie auf der anderen Seite aber auch nicht anzuheizen. Wir haben mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine und mit der Pandemie, die immer noch nachwirkt, große, auch durchaus furchteinflößende Ereignisse in der Geschichte. Auch die Trump-Wahl hat vielen Angst gemacht. Mir geht es genauso, aber gleichzeitig dürfen wir uns nicht von dieser Angst lähmen lassen, sondern müssen uns Bewusst machen, dass wir demokratischen Parteien uns zusammenraffen müssen und wirklich die Sachen angehen müssen, die man in den letzten Jahren hat liegen lassen oder den rechtspopulistischen Thesen auch nachgerannt ist.

Als Beispiel: Wir hatten letztes Jahr vier Jahrhunderthochwasser in Deutschland, und es ist kaum in der politischen Debatte aufgetaucht. Stattdessen hatten wir zum Beispiel 2023 eine Migrationsdebatte, obwohl die Migration so niedrig war.

MAZ: Sie haben unter anderem Informatik studiert und sind als IT-Sicherheitsberater tätig. Welche Lösungsansätze sehen Sie, um die Digitalisierung zu fördern?

Grässer: Zum einen müssen wir das Staatswesen modernisieren. Der Staat selbst ist als digitaler Akteur sinnvoll, weil zum Beispiel Open Source Software in erster Linie idealerweise von staatlichen Stellen gefördert und entsprechend bezahlt wird. Dass sie für alle Marktteilnehmer verfügbar ist, macht Open Source zu einem wichtigen Wirtschaftspunkt. Als IT-Sicherheitsberater weiß ich: Ein Großteil der Probleme ist die Schwachstelle Mensch. Wir haben mangelnde Digitalkompetenz und unsere Schulen sind inzwischen am Nachziehen, aber das ändert nichts bei den Leuten, die schon aus der Schule draußen und in Arbeit sind.

Daher sind Makerspaces und Reparaturcafés für mich wichtige Projekte. Also Orte, wo man hingehen kann, wenn man Probleme mit einem technischen Gerät hat und von Ehrenamtlichen Hilfe bekommt. So eine Initiative gibt es beispielweise schon in Graben-Neudorf oder Karlsruhe. Aber ich möchte das in die Fläche bringen, denn letztendlich lernt man am besten von Mensch zu Mensch. So können wir ein bisschen den Bodensatz der Digitalkompetenz in der Bevölkerung anheben. Schließlich hilft es uns nichts, wenn wir wunderbar sichere Systeme haben, aber die Leute, die sie bedienen, sie nicht richtig benutzen können.

Die Fragen stellte Patrick Schunk.

Zum Kandidaten

Sebastian Grässer, 34 Jahre alt, ist in Malsch (Landkreis Karlsruhe) geboren und aufgewachsen. „Als Kind einer alleinerziehenden Krankenschwester war das Dorfleben mit der Großfamilie und insbesondere meine Großeltern ein wichtiger Einfluss auf meine Persönlichkeit“, heißt es von ihm. Sein Studium in Physik und Informatik verbrachte er an der Universität in Karlsruhe und ist nun als selbstständiger IT-Sicherheitsberater tätigt, wo er Kanzleien, Arztpraxen und kleine Betriebe berät. Ein langfristiger Umgang mit der Digitalisierung ist für ihn ein zentrales politisches Anliegen. Er ist DLRG-Mitglied und verbringt seine Freizeit gerne mit Schwimmen und Lesen. (ps)

Erscheinung
MAZ – Das Wochenmagazin für Malsch, Sulzbach, Völkersbach und Waldprechtsweier
Ausgabe 06/2025

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von Redaktion NUSSBAUMRedaktion NUSSBAUM
05.02.2025