Für den Wahlkreis Karlsruhe Stadt

Bundestagswahl 2025: Interview mit Zoe Mayer (Grüne)

Zoe Mayer tritt bei der Bundestagswahl 2025 für die Grünen im Wahlkreis Karlsruhe Stadt an. Der Redaktion beantwortete sie im Vorfeld einige Fragen.
Dr. Zoe Mayer holte bei der vergangenen Bundestagswahl 2021 das Direktmandat im Wahlkreis Karlsruhe-Stadt.
Dr. Zoe Mayer holte bei der vergangenen Bundestagswahl 2021 das Direktmandat im Wahlkreis Karlsruhe-Stadt.Foto: Grüne im Bundestag S. Kaminski

Wenige Wochen vor der Bundestagswahl haben die Parteien die heiße Wahlkampfphase eröffnet und die Kandidaten kämpfen um jede Stimme. Dr. Zoe Mayer von den Grünen möchte ihr Direktmandat für den Wahlkreis Karlsruhe-Stadt verteidigen. Die 29-Jährige stellte sich den Fragen der Redaktion.

Grötzingen Aktuell (GA): Welche Themen haben aus Ihrem Wahlkreis für Sie aktuell Priorität?
Zoe Mayer: In Karlsruhe gibt es aktuell viele Themen, die auch eine Bundesrelevanz haben. Besonders die geplanten Einsparungen im öffentlichen Nahverkehr sorgen für Aufsehen, da es an der nötigen Finanzierung fehlt. Das ist ein klassisches Beispiel, bei dem der Bund gefragt ist. Die Finanzierung von öffentlichem Verkehr ist immer eine gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen. Auf Bundesebene haben wir bereits das Deutschlandticket eingeführt, das günstige Fahrpreise für alle ermöglicht. Doch nun muss auch sichergestellt werden, dass der ÖPNV mit hoher Qualität und ausreichenden Mitteln ausgestattet wird - hier ist der Bund ebenfalls in der Verantwortung.
Neben diesen großen Themen gibt es auch zahlreiche kleinere Projekte, bei denen der Bund Karlsruhe unterstützt. Ein Beispiel ist die Aufwertung des Grünzugs bei der Hildapromenade, die mit Bundesmitteln gefördert wird. Auch bei den Projekten zur Klimaanpassung gibt es immer wieder relevante Fördermöglichkeiten für die Stadt.

GA: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Sorgen der Menschen in Ihrem Wahlkreis?
Mayer: Die Themen, die angesprochen werden, sind sehr vielfältig, aber eines sticht besonders hervor: Immer wieder wird die Frage nach der Zukunft unserer Demokratie und der Gesellschaft gestellt - und als Grüne Kandidatin werde ich darauf besonders häufig angesprochen. Ein prägendes Ereignis war die Flugblattaffäre der AfD, die zu einer großen Demo auf dem Marktplatz führte, bei der tausende Menschen protestierten.
Dieses Thema hat viele bewegt und die Frage aufgeworfen: Wie stabil ist unser demokratisches System noch? Gibt es genug Rückhalt für die Demokratie?
Neben dieser zentralen Frage beschäftigen die Menschen auch Themen wie Krieg und Frieden sowie die Zukunft der Wirtschaft. Diese drei Fragen stehen ganz oben auf der Agenda.
Aber auch andere Themen sind nicht weniger wichtig: Klimaschutz, Migration, bezahlbare Mieten und die steigenden Lebenshaltungskosten - all das bewegt die Menschen und sorgt für Gespräche und Sorgen.

GA: Was würden Sie im Rückblick auf die vergangenen vier Jahre als bisher größten erzielten Erfolg für die Region bezeichnen und wo sehen Sie aktuell den dringendsten Handlungsbedarf?
Mayer: Ich glaube tatsächlich, dass die Regierung in den letzten Jahren einiges erreicht hat, auch wenn die Ampelkoalition oft einen schlechten Ruf hatte. Gerade in den Anfangsjahren der Ampel lief es erstaunlich gut und viele wichtige Weichen wurden gestellt. Die klare Positionierung zur Ukraine, die Stabilisierung der Energiepreise und der Rückgang der Inflation gehören genauso dazu wie das Erfolgserlebnis des Deutschlandtickets. Auch im Bereich der individuellen Freiheit gab es Fortschritte, etwa durch das Selbstbestimmungsgesetz oder das Chancen-Aufenthaltsrecht. In der Migrationspolitik wurden gerade im Hinblick auf Fachkräfte, wie bei der Einwanderung von Pflegekräften, positive Veränderungen angestoßen.
Ein weiterer Erfolg war der Fortschritt bei der Energiewende. Wir haben entscheidende Schritte unternommen, die es uns ermöglichen, das 1,5 Grad-Ziel noch zu erreichen - ein riesiger Erfolg im Klimaschutz.
Allerdings muss man auch sagen, dass die Dinge im vergangenen Jahr zunehmend schwieriger wurden. Deshalb blicke ich nicht mit Bedauern auf diese Regierung zurück. Es ist vielmehr ein guter Moment, um einen Neustart zu wagen und frischen Wind in die Politik zu bringen.












GA: Obwohl Deutschland seine Klimaziele erfüllt, hinkt der Verkehrssektor hinterher. Welche Schritte sind Ihrer Meinung nach zielführend?
Mayer: Im Großen und Ganzen kommen wir gut voran, aber es gibt natürlich noch einige Herausforderungen. Besonders im Verkehrsbereich und bei den Wohngebäuden gibt es noch einiges zu tun. Beim Thema Gebäudeenergiegesetz wurden jedoch wichtige Schritte unternommen, so dass der Gebäudebereich in den nächsten Jahren vermutlich gut ausgeglichen werden kann.
Anders sieht es beim Verkehrssektor aus. Hier läuft es meiner Meinung nach wirklich schlecht. Es gab kaum echte Impulse oder ernsthafte Diskussionen in der Ampelkoalition darüber, wie wir das Verkehrssystem wirklich dekarbonisieren können.
Das Thema Elektromobilität wird zwar immer wieder aufgegriffen, aber es fehlt an einem klaren, entschlossenen Ansatz von der Bundesebene. Stattdessen gab es eher Streit darüber, ob man das Verbrenner-Aus zurücknehmen sollte, oder absurde Vorschläge wie die Sonntagsfahrverbote der FDP. Diese Ablenkungsdebatten tragen wenig dazu bei, das Thema voranzubringen.
Positiv hervorzuheben sind die Rekordinvestitionen in die Deutsche Bahn, die dringend notwendig waren. Wer viel mit der Bahn unterwegs ist, weiß, wie stark sich die Qualität in den letzten Jahren verschlechtert hat. Jetzt wird an vielen Baustellen gearbeitet und auch wenn dies die Wahrnehmung der Bahn im Moment eher negativ beeinflusst, können wir in fünf bis zehn Jahren deutlich bessere Verhältnisse erwarten - das ist ein wichtiger Schritt.
Doch es bleibt viel zu tun, besonders im Bereich ÖPNV und bei der Unterstützung des Verkehrs vor Ort. Die Elektromobilität müssen wir ernsthafter vorantreiben, denn viele Menschen sind noch unsicher: Soll ich jetzt einen Verbrennungsmotor kaufen oder doch auf ein E-Auto setzen? Auch die Ladeinfrastruktur muss dringend ausgebaut werden, um den Umstieg auf Elektromobilität zu erleichtern.

GA: Mieten, Lebensmittel, Energiekosten - die Preise in diesen Bereichen bleiben nach wie vor auf hohem Niveau. Wie kriegen wir die Preise wieder runter? Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Preise wieder zu senken?
Mayer: Jeder sollte ein anständiges Einkommen haben und das erreichen wir nur, wenn wir auch die Sozialpolitik in den Fokus rücken und Themen wie den Mindestlohn ernst nehmen. Deshalb fordern wir einen Mindestlohn von 15 Euro. Ein weiteres wichtiges Thema, das im Wahlkampf immer größer wird, ist die Rente. Die geplante Rentenreform hat es nicht durch den Bundestag geschafft und muss nun dringend angegangen werden.
Im Bereich Ernährung setzen wir uns als Grüne für eine umfassende Reform der Mehrwertsteuer ein. Das Problem ist nicht, dass sich viele Menschen keine Lebensmittel mehr leisten können, sondern dass sie sich zunehmend nur noch billige, ungesunde Produkte wie Nudeln oder Tiefkühlpizza leisten können - und das ist nicht die Ernährung, die wir uns für eine gesunde Gesellschaft wünschen. Um gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse erschwinglicher zu machen, sollte die Mehrwertsteuer auf diese Produkte gesenkt werden. Das wäre nicht nur eine wirtschaftliche Entlastung, sondern auch eine Investition in die Gesundheit der Menschen.
Die steigenden Mieten und Wohnkosten sind ein weiteres großes Problem, das wir nur durch klare gesetzliche Rahmenbedingungen lösen können. Wir müssen die Mietpreisbremse verlängern, da sie bald ausläuft und sie gleichzeitig überarbeiten, um Umgehungsmöglichkeiten, wie etwa beim möblierten Wohnen, zu verhindern.
Ein weiterer Kostentreiber sind die steigenden Strom- oder Energiekosten. Der notwendige Ausbau des Stromnetzes trägt ebenfalls zu höheren Preisen bei, besonders im Bereich Strom. Hier müssten wir sicherstellen, dass die Finanzierung des Netzausbaus nicht nur auf die jetzige Generation umgelegt wird. Wir sollten ein langfristiges Modell in Betracht ziehen, ähnlich wie beim Ausbau der Deutschen Bahn, dessen Kosten auch nicht von der ersten Generation von Fahrgästen getragen werden.
Zusätzlich ist unser Energiesystem dringend reformbedürftig. Das bestehende Strommarktdesign, das stark auf grundlastfähige Kraftwerke wie Atom- und Kohlekraftwerke ausgerichtet ist, ist aus dem letzten Jahrhundert. Wir müssen dieses System grundlegend überdenken und an die Anforderungen der heutigen Zeit anpassen, damit es flexibler, günstiger und besser für die Industrie nutzbar wird.

GA: Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen, ob in Pflege, Handwerksbetrieben oder an Schulen und Kitas - Tendenz steigend. Wie wollen Sie hier gegensteuern?
Mayer: Das Thema ist komplex und es gibt keine einfache Lösung, denn unsere demografische Entwicklung stellt uns vor große Herausforderungen. Angesichts der älter werdenden Babyboomer-Generation, die bald in Rente geht, stellt sich die Frage, wie wir unser System langfristig aufrechterhalten können. Ein wesentlicher Faktor wird dabei die Fachkräfteeinwanderung sein, die uns hilft, die demografischen Lücken zu füllen. Doch das ist nur ein Teil der Lösung - insgesamt wird Migration eine zentrale Rolle spielen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das es qualifizierten Menschen erleichtern soll, nach Deutschland zu kommen. Aber wir müssen auch die Menschen, die bereits hier sind und Asylanträge gestellt haben oder auch auf der Flucht sind, stärker einbeziehen. Es darf nicht sein, dass diese Menschen monatelang auf Sozialhilfe angewiesen sind, nur weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden oder Sprachkurse fehlen. Es ist fast schon eine peinliche Verschwendung von Ressourcen, wie wir in Deutschland aktuell mit vielen dieser Menschen umgehen.
Ein weiteres drängendes Thema ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, besonders für Frauen. Zwar hat sich die Versorgung mit Kitaplätzen deutlich verbessert, aber es ist noch lange nicht ausreichend. Viele Frauen möchten mehr arbeiten, können es aber nicht, weil sie keine Kinderbetreuung bekommen. In Deutschland sind wir in dieser Hinsicht noch stark in traditionellen Geschlechterrollen verhaftet. Tatsächlich sind es immer noch überwiegend Frauen, die zu Hause bleiben, wenn kein Betreuungsplatz verfügbar ist.
















GA: Der Deutschen Rentenversicherung zufolge gibt es nach 2030 keine Untergrenze mehr für das Rentenniveau. Gleichzeitig werden junge Menschen historisch hohe Beiträge zahlen müssen. Wie können wir dem begegnen?
Mayer: Wie bereits erwähnt, gab es einen Entwurf für die Reform der Rente, der jedoch nicht mehr den Bundestag passiert hat. Dieser Entwurf sah erneut höhere Beitragssätze vor. Aus meiner Sicht, gerade als junge Abgeordnete im Bundestag, ist das ein sehr kritisches Thema. Denn ich halte es nicht für sinnvoll, höhere Renten vorrangig durch steigende Beiträge der jüngeren Generation zu finanzieren. Stattdessen müssen wir uns grundsätzlich die Frage stellen: Wie können wir die Basis unseres Rentensystems stärken?
Ein vielversprechender Ansatz wäre, dass mehr Menschen in das Rentensystem einzahlen. Dabei nehme ich auch uns Bundestagsabgeordnete in die Verantwortung. Es wäre ein wichtiges Signal, dass auch wir einzahlen. Darüber hinaus sollten perspektivisch - unter Beibehaltung des Alimentationsprinzips - auch Beamte sowie freischaffende Personen ohne anderweitige Rentenversicherung in das System integriert werden. So schaffen wir eine breitere Grundlage, auf der das Rentensystem stabiler stehen kann.
Gleichzeitig sollten wir prüfen, ob es alternative Finanzierungsmöglichkeiten gibt, um das Rentensystem zu entlasten - etwa durch Instrumente wie eine Milliardärs- oder Reichensteuer. Es ist zudem wichtig, genauer hinzuschauen: Nicht jede Person im Ruhestand ist gleichermaßen auf eine Erhöhung des Rentenniveaus angewiesen. Wer beispielsweise mehrere Immobilien besitzt oder über zusätzliche Einkünfte verfügt, benötigt keinen weiteren staatlichen Zuschuss. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die an der Armutsgrenze leben. Für diese Gruppe müssen wir gezielt Lösungen finden. Was wir vermeiden müssen, ist ein Gegeneinander-Ausspielen der Generationen. Nur ein solidarisches, gerechtes und nachhaltiges Rentensystem wird langfristig Bestand haben.

GA: Was der Wirtschaft zudem zu schaffen macht, ist die überbordende Bürokratie. Gleichzeitig haben viele Versuche, Bürokratie abzubauen, das Gegenteil bewirkt. Wie entkommen wir diesem Dilemma?
Mayer: Bürokratie ist ein zentrales Thema, das uns alle betrifft, und sie ist in den letzten Jahren spürbar gewachsen. Das lässt sich nicht beschönigen. Das eigentliche Problem dabei ist, dass Deutschland bei der Bürokratie nicht allein handeln kann. Die EU spielt häufig eine zentrale Rolle und treibt oft zusätzliche Regulierungen voran. Dazu kommen die Länder und Kommunen, die ebenfalls Einfluss nehmen. Wenn wir auf Bundesebene versuchen, Bürokratie abzubauen, müssen wir all diese Ebenen mit ins Boot holen. Das macht den Prozess komplex und langwierig - schnelle Lösungen sind hier kaum möglich.
Dennoch hat Bürokratie auch ihre Daseinsberechtigung. Sie schützt beispielsweise vor Steuermittelverschwendung und sichert wichtige Mindeststandards ab, etwas im Bereich Umwelt- und Sozialschutz. Problematisch wird Bürokratie dort, wo sie überflüssig wird - wenn Werte mehrfach dokumentiert werden müssen oder wenn europäische, bundesweite und landesspezifische Vorgaben nicht miteinander harmonieren. An solchen Stellen entstehen Regelungen, die zwar gut gemeint, aber schlecht umgesetzt sind.
Die Realität ist: Bürokratie abzubauen, wird ein langwieriger Prozess. Ein erster großer Erfolg wäre es schon, ihr weiteres Wachstum zu stoppen. Der Weg zu einer schlankeren Verwaltung ist keine einfache, aber eine notwendige Aufgabe.

GA: Die (Neu-)Verschuldung der Kommunen steigt rasant an. Gerade kleinere Kommunen haben es immer schwerer. Braucht es neue Finanzierungsmodelle für die Kommunen?
Mayer: Wir brauchen dringend tragfähige Finanzierungsmodelle, insbesondere im Hinblick auf den Abbau kommunaler Altschulden. Es gibt Kommunen, die de facto keinen finanziellen Spielraum mehr haben - und das für Jahrzehnte. Daher müssen wir das Thema Altschulden noch einmal grundlegend angehen.
Zugleich stellt sich die zentrale Frage der Finanzierung: Woher soll das Geld kommen und wer trägt die Last? Dabei führt kein Weg daran vorbei, die Schuldenbremse zu reformieren. Zwar gab es hier in der Vergangenheit massive Blockaden, vor allem seitens der FDP, doch inzwischen sind sich viele Ökonomen einig, dass die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form nicht mehr zeitgemäß ist. Trotzdem spreche ich mich nicht für eine Abschaffung aus - denn die Grundidee, unnötige Schulden zu verhindern, bleibt richtig.
Deutschland hat im internationalen Vergleich eine sehr niedrige Staatsverschuldung in Bezug auf das BIP. Gleichzeitig leiden wir aber unter einem massiven Investitionsstau, etwa bei der Bahn, den Brücken oder unseren Schulen. Fakt ist, dass wir schon seit Jahren Schulden außerhalb der Schuldenbremse machen, indem wir unsere Infrastruktur vernachlässigen. Doch je länger Investitionen aufgeschoben werden, desto größer werden die Schäden - und damit auch die Kosten. Deshalb sollten wir dringend darüber nachdenken, gezielt investitionsbezogene Schulden zu ermöglichen, um unsere Infrastruktur zu sichern und zukunftsfähig zu machen.
Kritisch sehe ich jedoch den inflationären Einsatz von Sondervermögen. In den letzten Jahren wurden sie häufig genutzt, um neue Schulden zu machen, ohne sie als solche zu deklarieren. Das ist nicht ehrlich. Wir sollten nicht immer wieder neue Sondervermögen schaffen, um scheinbar saubere Bilanzen zu präsentieren. Stattdessen braucht es Transparenz und eine offene Kommunikation: Wenn Schulden notwendig sind, dann sollten wir dazu stehen - aber nur, wenn sie in unsere Zukunft investieren und keine kurzfristigen Löcher stopfen.













GA: Populistische Forderungen, Tendenzen zu extremistischen Positionen, Verrohung der politischen Debatte - führen zu großen Problemen. Nennen Sie konkrete Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken.
Mayer: Eine einfache Antwort auf diese Herausforderung gibt es nicht - sonst hätten die demokratischen Parteien längst gemeinsam eine Lösung umgesetzt. Die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Für mich ist jedoch ein entscheidender Punkt das Thema Social Media. Natürlich ist die Meinungsfreiheit durch unser Grundgesetz geschützt, und das ist eines unserer höchsten Güter. Aber es wird problematisch, wenn Algorithmen, die oft nicht einmal in Deutschland oder Europa entwickelt wurden, gezielt Fake News massenhaft verbreiten, weil sie von den Mechanismen dieser Netzwerke belohnt werden. Das halte ich für äußerst kritisch.
Wenn wir es nicht schaffen, vor allem auf europäischer Ebene, das Verbreiten von Fake News in sozialen Medien deutlich stärker einzudämmen, steuern wir auf ein massives gesellschaftliches Problem zu. Denn wir sehen bereits jetzt eine gefährliche Entwicklung: Fakten werden als subjektive Meinungen dargestellt, und der Eindruck entsteht, dass sich jeder „seine eigenen Fakten“ schaffen kann. Auf einer solchen Basis kann Demokratie jedoch nicht funktionieren.
Die Politik allein wird dieses Problem nicht lösen können. Sie kann und muss bessere Rahmenbedingungen schaffen, aber letztlich ist es die Aufgabe, die nur die Gesellschaft als Ganzes bewältigen kann. Es braucht ein gemeinsames Verständnis und Engagement, um die Grundlagen einer funktionierenden Demokratie zu schützen.


GA: Oft scheint es so, als würden Tierschutz-/Klimaschutzmaßnahmen und die Situation der Landwirte unvereinbar miteinander sein bzw. die Interessen miteinander kollidieren. Erklären Sie mir doch bitte, wie genau Ihrer Meinung nach beide Seiten am Ende zufriedenzustellen sind ?
Mayer: Die Perspektive der Landwirte ist nachvollziehbar - und ihre Bedenken sollten ernst genommen werden. Was uns nicht weiterhilft, ist, Tierschutzstandards hierzulande drastisch zu erhöhen, ohne den Konsum entsprechend anzupassen. Denn das führt nur dazu, dass heimische Betriebe in ihrer Existenz bedroht werden, während wir dieselben fragwürdigen Produkte aus Nachbarländern wie Polen importieren. Die effektivsten Tierschutzstandards lassen sich daher nur auf europäischer Ebene umsetzen, um solche Ausweicheffekte zu verhindern.
Ein höheres Maß an Tierschutz geht aber unweigerlich mit höheren Preisen einher - und diese Wahrheit muss offen angesprochen werden. In Deutschland gibt es eine große Mehrheit, die sich für bessere Tierschutzstandards ausspricht, doch an der Supermarktkasse endet dieses Engagement oft. Genau das kritisieren Landwirte zu Recht: Sie investieren in moderne Ställe und bessere Bedingungen für die Tiere, sehen aber, dass die höheren Kosten nicht durch höhere Verkaufszahlen gedeckt werden.
Ein Lösungsansatz ist die Einführung eines Tierschutzcents oder einer Tierwohlabgabe, wie sie von Cem Özdemir vorgeschlagen wurde. Ein geringer Aufpreis von ein bis drei Cent pro 100 Gramm Fleisch könnte direkt an die Landwirte weitergegeben werden, um Investitionen in höhere Tierschutzstandards und den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Diese Abgabe würde Verbraucher nur minimal belasten, aber einen großen Unterschied für die Landwirte machen - und das Geld bliebe nicht im Handel hängen, sondern käme tatsächlich bei den Betrieben an.
Auch Transparenz spielt eine Schlüsselrolle. Mit einer staatlichen Tierhaltungskennzeichnung könnten Verbraucher auf einen Blick erkennen, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden. Diese Klarheit stärkt das Vertrauen und ermöglicht bewusste Kaufentscheidungen. Gleichzeitig müssen wir Alternativen fördern. Eine vollständige Umstellung der Tierhaltung auf Bio ist unrealistisch - dafür bräuchten wir dreimal die Fläche Deutschlands. Stattdessen müssen wir unseren Konsum kritisch überdenken. Das funktioniert aber nicht, den Menschen einfach zu sagen, sie sollen weniger Fleisch essen. Der „Veggie-Day“ war ein gutes Beispiel dafür, wie eine solche Debatte in die falsche Richtung laufen kann. Stattdessen müssen wir Alternativen stärken: Obst und Gemüse sollten günstiger werden, um eine gesündere Ernährung für alle zugänglich zu machen. So schaffen wir nicht nur bessere Bedingungen für die Tiere, sondern auch für die Menschen.



Das Interview führte Felix Haberkorn.

Zur Person

29 Jahre
Studium des Wirtschaftsingenieurwesens
Nach dem Studium Promotion in Wirtschaftsingenieurwesen und wissenschaftliche Mitarbeit am KIT

seit 2021 im Bundestag
Seit 2010 bei den Grünen

Dr. Zoe Mayer möchte ihr Direktmandat verteidigen.
Dr. Zoe Mayer möchte ihr Direktmandat verteidigen.Foto: Grüne im Bundestag S. Kaminski
Erscheinung
Grötzingen Aktuell
Ausgabe 06/2025

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von Redaktion NUSSBAUMRedaktion NUSSBAUM
05.02.2025