Wenige Wochen vor der Bundestagswahl haben die Parteien die heiße Wahlkampfphase eröffnet und die Kandidaten kämpfen um jede Stimme. Auch Marcel Bauer von der LINKEN möchte für den Wahlkreis Karlsruhe-Stadt in das Parlament einziehen. Der 32-Jährige stellte sich den Fragen der Redaktion.
Wochenjournal Durlach (WJ): Welche Themen aus Ihrem Wahlkreis haben für Sie aktuell Priorität?
Marcel Bauer: Die Themen hier in Karlsruhe sind die gleichen wie in allen bundesdeutschen Großstädten. Wir waren bei 223.000 Haushalten. Die allermeisten Menschen sagen, dass die Mieten zu hoch und die Lebensmittel zu teuer geworden sind. Gleichzeitig werden die Superreichen immer reicher. Ich bin der Auffassung, dass wir uns die Reichen nicht mehr leisten können. Wir müssen umsteuern und die zur Kasse bitten, die die Gesellschaft in Arm und Reich aufspalten. Wir brauchen bundesweit einen Mietendeckel. Die Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel würde Millionen von Menschen sofort entlasten. Die Probleme hier in Karlsruhe sind die gleichen wie überall. Am Öffentlichen Personennahverkehr, den Kindertagesstätten (Kitas), den Schulen, am Krankenwesen und der gesamten öffentlichen Daseinsvorsorge wird gespart. Gleichzeitig belaufen sich die privaten Geldvermögen auf neun Billionen. Das ist dreimal so viel wie die Staatsverschuldung. Das ist nicht nur ungerecht. Das ist unsozial, weil das Vermögen von der Gesellschaft erwirtschaftet wurde. Und ich bin der Meinung, dass das Geld der Gesellschaft zugutekommen sollte. Es ist genug Geld da. Es ist nur falsch verteilt.
WJ: Was hat Sie dazu bewogen, für den Bundestag zu kandidieren?
Bauer: Ich bin der Überzeugung, dass wir nicht nur das politische Personal, sondern den politischen Prozess ändern müssen. Wir müssen die Gesellschaft sozialgerecht und ökologisch nachhaltig umbauen. Ich möchte mit den Menschen gemeinsam Politik machen. Zudem glaube ich daran, dass wir gemeinsam bewirken können, dass Solidarität und Gerechtigkeitssinn die Gesellschaft verändern können. Wir stellen uns gegen Hass und Hetze. Ich bin der Überzeugung, dass wir uns alle engagieren müssen, wo wir gerade können. Friedrich Merz hat heute (29. Januar, Anm. d. Red.) mit der AfD einen Antrag im Bundestag beschlossen. Zwei Tage, nachdem wir den Opfern von Auschwitz gedacht haben, adelt Friedrich Merz die faschistische AfD, indem er mit ihr zusammenarbeitet. Das ist für mich unerträglich. Ich sage: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, nie wieder ist jetzt.
WJ: Mieten, Lebensmittel, Energiekosten – die Preise in diesen Bereichen bleiben nach wie vor auf hohem Niveau. Wie kriegen wir die Preise wieder runter? Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Preise wieder zu senken?
Bauer: Wir brauchen den Mietendeckel. Zudem möchten wir Wohnungskonzerne mit mehr als 1000 Wohnungen vergesellschaften. Der Staat, die Länder und die Kommunen müssen eine viel größere Rolle auf dem Wohnungsmarkt spielen. Dafür braucht es landeseigene Wohnungsbaugesellschaften. Lebensmittelpreise müssen direkt durch die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel gesenkt werden. Die Marktmacht der Lebensmittelkonzerne und der Discounter-Riesen muss gebrochen werden. Gleichzeitig müssen wir die Landwirtinnen und -wirte vor einem weiteren Höfesterben schützen. Wir brauchen Mindesterzeugerpreise. Wir fordern weiterhin eine Energiepreisbehörde, damit Preise nicht willkürlich erhöht werden können und fordern solidarische Sockeltarife. Wir wollen Strom- und Gassperren verbieten. Niemand soll in einer kalten, dunklen Wohnung sitzen müssen. Für die gerechte Energieversorgung ist eine Rekommunalisierung der Energieversorgung und der Ausbau von Großwärmepumpen für die Kommunen essentiell. In den Bereichen der Infrastruktur schafft der Markt keine gerechten Lösungen, sondern führt zur Umverteilung von unten nach oben.
WJ: Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen, ob in Pflege, Handwerksbetrieben oder an Schulen und Kitas - Tendenz steigend. Wie wollen Sie hier gegensteuern?
Bauer: Der Fachkräftemangel ist ein Problem der Bildungsgerechtigkeit. Wir müssen viel mehr in die Bildung investieren und für eine gute frühkindliche Betreuung sorgen, die maroden Schulen sanieren und endlich für genügend und ausreichendes Personal die Mittel zur Verfügung stellen. Hundert Milliarden für Bildung statt für Aufrüstung muss es geben. Hunderttausende Menschen würden gerne in die Berufe der Pflege und pädagogischen Berufe zurückkehren, wenn nur die Arbeitsbedingungen besser wären. Die Beschäftigten brauchen ein Mitbestimmungsrecht über den Betreuungsschlüssel, im Krankenhaus, wie auch in der Kita. Wir fordern bundesweit gültige Entlastungstarifverträge für Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser.
WJ: Was der Wirtschaft zudem zu schaffen macht, ist die überbordende Bürokratie. Gleichzeitig haben viele Versuche, Bürokratie abzubauen, das Gegenteil bewirkt. Wie entkommen wir diesem Dilemma?
Bauer: In meinen Augen ist das zentrale Hemmnis für die notwendige ökologische Transformation unserer Gesellschaft die Marktmacht der großen Konzerne. Dort werden Innovationen verhindert und bestehende Geschäftsmodelle zu unser aller Schaden aufrechterhalten. Die Elektromobilität wird seit 20 Jahren ausgebremst. Die größten Befürworter der Bürokratisierung sind die, die den Neubau von Windkraftanlagen verhindern wollen, die Betreiber von Gaskraftwerken und Braunkohlegruben. Wo wir Bürokratie abbauen sollten, ist im menschenfeindlichen, bürgerfeindlichen, sanktionierenden Bürgergeld-System. Die Sanktionierung beschäftigt einen riesigen Verwaltungsapparat und bringt keine Menschen schneller in den Arbeitsmarkt, sondern sorgt für großes Leid und Ungerechtigkeit.
WJ: Der Deutschen Rentenversicherung zufolge gibt es nach 2030 keine Untergrenze mehr für das Rentenniveau. Gleichzeitig werden junge Menschen historisch hohe Beiträge zahlen müssen. Wie können wir dem begegnen?
Bauer: Es ist unglaublich, dass es noch immer keine solidarische Rentenversicherung gibt, in die alle einzahlen. So könnten wir eine Mindestrente von 1400 Euro bei wesentlich niedrigeren Beiträgen finanzieren. Wir haben kein Demografie-Problem bei der Rente, sondern ein Gerechtigkeitsproblem. Wir sagen außerdem: Wer 40 Jahre gearbeitet hat, sollte abschlagsfrei in Rente gehen dürfen.
WJ: Obwohl Deutschland seine Klimaziele erfüllt, hinkt der Verkehrssektor hinterher. Welche Schritte sind Ihrer Meinung nach zielführend?
Bauer: Die Ampelregierung hat das ohnehin schon schwache Klimaschutzgesetz noch mehr aufgeweicht und sich von den Sektorenzielen verabschiedet. Die Grünen haben gerade erst bei ihrem Bundesparteitag das Tempolimit auf den Autobahnen aus ihrem Wahlprogramm gestrichen. Dabei gibt es eine Mehrheit in der Bevölkerung für dieses Tempolimit, das wir auch fordern. Wir könnten damit heute schon jeden Tag Leben retten. Das Einzige, was noch teurer ist als Klimaschutz, ist kein Klimaschutz. Wir fordern einen Klima- und Transformationsfonds in Höhe von 65 Milliarden Euro jährlich für den Umbau unserer Wirtschaft und unseres Verkehrswesens hin zu einer ökologisch nachhaltigen und gerechten Gesellschaft.
WJ: Die (Neu-)Verschuldung der Kommunen steigt rasant an. Gerade kleinere Kommunen haben es immer schwerer. Braucht es neue Finanzierungsmodelle für die Kommunen?
Bauer: Wir sind für eine Reform der Gewerbesteuer. Vor allem muss endlich die Schuldenbremse abgeschafft werden. Sie zwingt unser Land in eine Abwärtsspirale. So sollen in Karlsruhe massive Kürzungen an den Verkehrsbetrieben (VBK) Karlsruhe vorgenommen werden. Das ist das vollkommen falsche Signal von SPD und Grünen. Die Beschäftigten im Öffentlichen Nahverkehr sind die Heldinnen und Helden der Klimawende. Wir sind auf jede und jeden Einzelnen von ihnen angewiesen und sollten ihnen den Rücken stärken.
WJ: Populistische Forderungen, Tendenzen zu extremistischen Positionen, Verrohung der politischen Debatte – führen zu großen Problemen. Nennen Sie konkrete Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken.
Bauer: Das beste Mittel gegen den Rechtsruck ist vernünftige Sozialpolitik. Lebensmittel, Mieten, Strom und Energie – alles wird teurer und die Versprechungen der Politiker in den Systemparteien erfüllen sich nicht. Wir sind dafür, dass diejenigen, die nichts zum Gemeinwohl beitragen, endlich das Ihrige leisten. Deshalb braucht es eine Vermögenssteuer, um ein gutes Leben für alle zu finanzieren. Die AFD wollen wir klar aus dem demokratischen Diskurs ausgrenzen. Eine CDU, die mit den Faschisten der AfD zusammenarbeitet, sollte für niemanden wählbar sein.
WJ: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Sorgen der Menschen in Ihrem Wahlkreis?
Bauer: Seit September waren wir an über 2000 Haustüren in verschiedenen Karlsruher Stadtteilen. Das ist für alle völlig klar: Es gibt viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Die Wohnungssuche in Karlsruhe ist eine einzige Tortur. Während SPD-Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup Baugebiete an dubiose Großinvestoren vergibt, suchen die Karlsruherinnen und Karlsruher vergeblich bezahlbaren Wohnraum. Nur 2,4 Prozent der Wohnungen sind Sozialwohnungen. Ein Anrecht darauf besteht bei einem Bruttoverdienst von bis zu 50.000 Euro.
WJ: Ihr Motto heißt "Umsteuern. Holen wir uns den Reichtum zurück": Sind Unterschiede bezüglich des Einkommens etc. nicht auch einfach normal, weil manche auch mehr arbeiten, andere weniger bzw. verschiedentlich gut qualifiziert sind?
Bauer: Esmuss für alle die gleichen Chancen geben. Kein Mensch kann so viel arbeiten, um sich ein Milliardenvermögen aufzubauen. Das Vermögen wird von den Beschäftigten erarbeitet und von den Besitzenden abgeschöpft. Die Superreichen leben von leistungslosen Einkommen, während der Großteil der Bevölkerung kaum mehr über die Runden kommt. Wir haben alle ein Recht auf ein gutes Leben und entfalten unsere Persönlichkeit. Der Staat muss dafür die Voraussetzungen schaffen und in eine gute Daseinsvorsorge und zukunftsfähige Infrastruktur investieren.
Die Fragen stellte Jennifer Warzecha.
Zur Person:
Verheiratet, Vater einer Tochter
32 Jahre alt
Gelernter Forstwirt und geprüfter Natur- und Landschaftspfleger
Mitglied seit 2022 in der LINKEN