Nach einem jahrelangen Tauziehen um die Ausgestaltung der Weingartener Ortsmitte und einer ewig erscheinenden Phase des Stillstands wurde die in ihrer heutigen Form ausgebaute Bahnhofstraße im Rahmen eines Festwochenendes Ende Mai 1984 durch den damaligen stellvertretenden Bürgermeister und Amtsverweser Rolf Koch feierlich eingeweiht.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU Hans-Dietrich Reichert durfte miterleben, wie aus der einstigen „Rumpelkammer des badischen Landes“ eine der „schönsten Ortsstraßen“ wurde. Ungelöst war jedoch nach wie vor das Problem der schienengleichen Bahnübergänge bei der Klebchemie und bei der Kärcherhalle mit ihren Wartezeiten, die durch die Zunahme des Schienen- und Individualverkehrs von Jahr zu Jahr länger wurden und nicht zuletzt eine Belastung für die wirtschaftliche Entwicklung Weingartens darstellten. Irgendwie hatte man sich jedoch mit der den Weingartenern eigenen Leidensfähigkeit mit der Situation arrangiert, und überdies diente der Verweis auf die geschlossenen Bahnschranken als eine gesellschaftlich weithin akzeptierte Entschuldigung für jede Art von Verspätung.
Es würde den Rahmen dieser Zusammenfassung sprengen, die damals diskutierten Lösungsansätze im Einzelnen wiederzugeben. Festzuhalten ist jedoch, dass sich der Gemeinderat mit einer deutlichen Mehrheit auf das Konzept einer zwischen Waldbrücke und Kernort verlaufenden B3-Umgehung verständigt hatte. Diese sollte südlich unseres Ortes auf Höhe des Wochenendgebiets „Effenstiel“ abzweigen, bei der Firma Kleiberit über die Bahntrasse und weiter parallel zu den Gleisen nach Norden führen. Dort sollte sie auf Höhe des Baggersees ein zweites Mal die Schienen queren, um dann im Gewann „Streitacker“ wieder in die B3 zu münden.
In diesem Schwebezustand platzte die im Jahr 1990 kurz vor dem Weihnachtsfest durchgeführte Unterschriftensammlung des Weingartener Gewerbevereins wie eine Bombe: Unter dem Titel „Das Ding muss weg“ kamen binnen kürzester Zeit über fünftausend Unterschriften zusammen. Diese wurden im Januar 1991 im Weingartener Rathaus dem damaligen Staatssekretär im Innenministerium Gundolf Fleischer im Beisein von Bürgermeister Klaus-Dieter Scholz und den Vorstandsmitgliedern des Gewerbevereins Günter Trautwein, Brunhilde Krumes und Heinz Hüttner übergeben.
Der politische Druck zur Beseitigung zumindest eines schienengleichen Bahnübergangs war nun nicht mehr wegzudiskutieren, doch trotz der Ende Juni 1993 erfolgten Hochstufung der geplanten B3-Umgehung aus dem „Ferneren Bedarf“ in die Kategorie „Vordringlicher Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans kam es niemals zu einer Verwirklichung des Vorhabens.
Der Notausgang aus dieser im wahrsten Wortsinn verfahrenen Situation bot sich gegen Ende der neunziger Jahre in Form einer erneuten Verlagerung der Landstraße L559 von der Burgstraße auf die gegenwärtige „provisorische Linienführung“ über die Ringstraße und den Dörnigweg. Durch diesen Kunstgriff wurde der schienengleiche Bahnübergang bei der Kärcherhalle zum Bestandteil einer reinen Ortsstraße und die Gesamtkosten der Beseitigung konnten somit nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz auf Deutsche Bahn, Bund, Land und Gemeinde aufgeschlüsselt werden. Die Planungen für den Bau der Pkw-Unterführung bei der Kärcherhalle begannen im Jahr 1997 und waren eine komplexe Angelegenheit.
Es galt nicht nur, die verschiedensten Verkehrsbeziehungen von Fußgängern, Radfahrern und motorisiertem Verkehr zu optimieren, sondern gleichzeitig auch den Zugang zu den Bahnsteigen in nördliche und südliche Richtung mit einzubeziehen und überdies die Realisierung des Ingenieurbauwerks bei laufendem Bahnbetrieb zu gewährleisten. Wie genau diese Aufgabenstellung gelöst wurde, erfahren Sie kommende Woche im dritten Teil der sommerlichen Beitragsserie zum 25-jährigen Jubiläum unserer Kärcherhallenunterführung. (gö)