Theater-AG der Kaufmännischen Schule Öhringen
inszeniert Schillers „Räuber“
Die Handlung ist schnell erzählt: Die ältere Schwester zieht hinaus in die Welt, die jüngere versagt sich ein eigenes Leben und kümmert sich zuhause um den alternden Vater. Dieser protegiert die ältere, sie ist ihm der Ersatz für den Sohn, den er nie hatte. Für die jüngere bleibt nur das selbstaufopfernde Funktionieren als Hauswirtschafterin, Lektorin, Bürokraft. In ihrem Wunsch, wahrgenommen und geliebt zu werden, intrigiert sie gegen die Schwester, manipuliert den Vater und schreibt in seinem Namen Briefe, welche der älteren die Rückkehr ins Elternhaus verwehren und jede finanzielle Unterstützung mitsamt ihrem Erbteil verweigert. Derart vor den Kopf gestoßen, verletzt und gedemütigt, gerät diese in ihrem idealistischen Streben nach einer besseren Welt vollends auf die schiefe Bahn. Sie wird zur Anführerin eines friedlichen Protestes, der sich immer weiter radikalisiert. Aus Ideen wird Gewalt, Menschen sterben und die Bewegung zerstört sich selbst, endet im Gefängnis.
Es ist die zeitlose Geschichte der Sehnsucht des Menschen nach Selbstverwirklichung und Anerkennung, nach einem Platz in der Welt, in der individuellen Geschwisterkonstellation wie im gesamtgesellschaftlichen Gefüge. Es ist in dieser erschreckend aktuellen Inszenierung das Leiden einer Generation, die nicht mehr mit sich selbst klarkommt, die erkannt hat, dass es kein Weiter-so mehr geben kann, die auf den „rasenden Stillstand“ (Hartmut Rosa) mit einer aggressiven Weltbeziehung antwortet. Und es ist das beeindruckende Verdienst der beiden Theater-AG-Leitungen Fabienne Kleiber und Björn Auerbach, aus den männlichen Charakteren des Dramas weibliche Protagonistinnen gemacht zu haben. So wird Karl zu Charlotte (Lara Weiser) und Franz, ganz fantasievoll, zu Franziska (Sofia Krause). Und aus Amalia wird Volker (Andrei Achelaritei).
Bei aller Veränderung bleibt die Rebellion gegen die überkommenen Werte und Normen, der Wunsch, die eigenen Träume und Ziele ohne Einschränkungen zu leben. „Früher gab’s noch Tyrannen, heute sind es die globalen Konzerne, die nicht zu fassen sind. Zieht eigentlich irgendjemand noch Konsequenzen aus dem, was er sieht?“, ereifert sich Charlotte. „Che Guevara gilt nur noch als modische Pop-Ikone, mit der viel Geld zu machen ist.“ Überhaupt werde alles „von allen Seiten, aber niemals von innen betrachtet.“ Es fehle an Leidenschaft, an Engagement, das nicht einer durchgerechneten Kosten-Nutzen-Analyse unterworfen ist. Es ist die Frage nach der Legitimität des Widerstands, der Gewalt. Wie weit darf gesellschaftskritisches Engagement gehen? Darf ich mit dem Parteivorsitzenden Grimm (Marlon Knorr) „gegen Ausbeutung durch Demokratie“ vorgehen und mich rechtfertigen, denn: „Irgendjemand kommt immer zu Schaden. Ich will nur dafür sorgen, dass es die richtigen sind.“ Oder gibt es da doch noch das Schiller’sche „leitende Gestirn“, das im Stück von Fabienne Kleiber in der Rolle der Sozialpädagogin Alice verkörpert wird: „Leute, dafür begeht man kein Verbrechen!“ Es ist letztlich die zeitlose Frage nach dem freien Willen des Menschen. Definiere ich mein Sein im Neid auf die von allen geliebte Schwester: „Mein Leben ist der Rest, den sie mir übriggelassen hat.“ Oder gebe ich meinen Hass auf sie auf, um zurück ins eigene Leben zu finden, wie es Björn Auerbach in der Rolle des Vaters einfordert: „Warum suchst du dir kein eigenes Leben?“ Eine Frage, die sich jede und jeder immer wieder neu stellen muss, von Generation zu Generation und deren Antwort viel Mut und Selbstvertrauen erfordert. Doch nur so kann es gelingen, die eigenen Träume zu leben, zu werden, was man in seinem in seinem tiefsten Inneren bereits ist.
Die Mitwirkenden:
Charlotte Moor: Lara Weiser
Franziska Moor: Sofia Krause
Maximilian Moor: Björn Auerbach
Volker Kranz / Polizist: Andrei Achelaritei
Spiegel: Konstanze Hinz
Sam: Maria Janz
E.T.: Serkan Baskin
Schwarz: Eleni Kanaki
Alice: Fabienne Kleiber
Grimm / Kommissar: Marlon Knorr
Nell: Frederike Graf
Ruth: Selina Schwab
Regie und Gestaltung: Fabienne Kleiber und Björn Auerbach
Bühnenbild: Andrei Achelaritei, Hugo Hübner, Matti Kral und Finn Dierolf
Maske: Lilly Scheerer
Musik: Ensemble