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Das Johanni-Spiel in der Burghalde und die Bedeutung des Theaterspiels in der heilpädagogischen Arbeit

„Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen, und jedermann erwartet sich ein Fest.“ J.W. Goethe, Faust; Vorspiel auf dem Theater Das Einstudieren...
Foto: D. S.

„Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen, und jedermann erwartet sich ein Fest.“

J.W. Goethe, Faust; Vorspiel auf dem Theater

Das Einstudieren und Aufführen von Theaterstücken mit der ganzen Klasse hat eine feste Tradition in der Waldorfschule und in Heilpädagogischen Schulen. Besonders in der 8. Klasse und in der Oberstufe haben die sogenannten Klassenspiele ihren Platz. Das Theaterspiel als prozesshaftes und zielgerichtetes Tun einer ganzen Klasse entfaltet besondere therapeutische und fördernde Kräfte.

In der Burghalde sind turnusgemäß wiederkehrende Aufführungen zu den Jahresfesten seit langem im Jahreslauf verankert. So führen die 4./5./6. Klassen an Michaeli das „Georgsspiel“ auf, in dem, gemäß der Legende, der Ritter Georg mit Hilfe des Erzengels Michael den Drachen bezwingt und so dem Guten zum Sieg über das Böse verhilft. Zu Sankt Martin studieren die Schüler/-innen der Klassen 2./3. das Martinsspiel ein, das Barmherzigkeit, Mitgefühl und Brüderlichkeit durch innigliche Bilder lebendig in Szene setzt. Zum Johannitag spielen die Schüler/-innen ab der 7. Klasse das Spiel vom treuen Johannes. Die Kräfte aus vorbehaltlosem Vertrauen und verlässlicher Treue bezwingen mit Hilfe des Glaubens letztlich sogar den stärksten Fluch. Je nach Klassensituation treten noch weitere Klassenspiele in den oberen Klassen hinzu.

Im Laufe ihrer Zeit in der Burghalde lernen die Schüler/-innen alle Spiele zunächst als Zuschauende kennen und freuen sich jedes Jahr aufs Neue sie anzusehen. Mit zunehmendem Alter dürfen sie dann selbst mit ihren Klassenkamerad/-innen in die von den Klassenlehrer/-innen sorgsam ausgewählten Rollen schlüpfen und der Gemeinschaft ihrerseits ein schönes Schauspiel zum Geschenk machen.

Die Klassenspiele sind ein wichtiges und unverzichtbares Mittel in der Arbeit mit unseren Schüler/-innen. Durch eine gezielte Rollenverteilung können die Lehrer/-innen die Schüler/-innen bei der Bewältigung ihrer individuellen Entwicklungsaufgaben unterstützen. So kann vor allem das Selbstvertrauen der Kinder und Jugendlichen auf verschiedenen Ebenen gestärkt werden. Während ein Kind seine Scheu ablegen kann und die Angst überwindet, sich anderen zu zeigen, bekommt ein anderes durch seine Rolle behutsam einen Spiegel vorgehalten. Schüler/-innen, die im Sozialgefüge der Klassen gemeinhin den Ton angeben, können z. B. in der Rolle eines Bettlers oder Dieners zur Nachempfindung einer zurückhaltenden Haltung geführt werden. Einem Kind, das wenig moralische Prägung mitbringt, kann sich durch das Eintauchen in die Rolle einer/eines sittsamen und tugendhaften Prinzessin/Prinzen, ein neuer Zugang öffnen, um selbst zu einem angemesseneren Verhalten zu finden. Man kann sich auch gut ein Kind denken, dass stets verhalten und zurückhaltend, mit zarter Stimme spricht und kaum wahrgenommen wird. Lassen wir es in die Rolle eines Ritters oder eines Wächters in mächtiger Rüstung schlüpfen und es mit lauter kräftiger Stimme sprechen, so kann etwas von der ängstlichen Zurückhaltung auch langfristig abgelegt werden. Die Schüler*innen erleben, dass sie Dinge tun und sagen können, die ihnen im Alltag nicht möglich sind. Indem wir sie mit entsprechenden Rollen und Kostümen umkleiden, können sie für den Moment jemand ganz anderer sein. Die Rolle, die jeder gewohnheitsmäßig in der Klasse einnimmt, zählt nun nicht mehr. Wenn es uns gelingt, die Schüler*innen bis in das Gefühl hinein in ihre jeweilige Rolle hineinzuhelfen, können sie auf unterschiedlichsten Ebenen über sich hinaus wachsen.

Wie nebenbei, können darüber hinaus im Theaterspiel die unterschiedlichsten Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen gefördert werden. Das Einstudieren des Textes, der Bewegungen und Abläufe wirken sich positiv auf Gedächtnisleistungen und Konzentrationsfähigkeit aus. Artikulationstraining und Stimmbildung gehen mit dem Spielen auf der Bühne Hand in Hand. Nachhaltiges Üben mit der ganzen Klasse unterstützt die Frustrationstoleranz jedes Einzelnen und fördert den Zusammenhalt.

Die Aufzählung ließe sich noch deutlich erweitern, denn die jeweiligen Fördermöglichkeiten können so individuell gestaltet werden, wie es die speziellen Bedürfnisse und Möglichkeiten der Schüler*innen erfordern. Hier ist auch die Einbindung anderer Fächer (z. B. Handarbeit und Werken) denkbar. Bis zur Herstellung von Requisiten, Kostümen oder Teilen des Bühnenbildes, bietet das Theaterspiel nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, um den Schüler*innen individuellen Lernzuwachs zu bieten, die in die gemeinsame Arbeit an einem großen Projekt eingebettet ist. Den Abschluss und das Ziel dieses Prozesses bildet die Aufführung als Geschenk an die Gemeinschaft.

Als besonderer Schwerpunkt sei noch die Stärkung der Klassengemeinschaft hervorgehoben. Das Theaterspiel ist eine Gemeinschaftsleistung. Die Schüler*innen spüren oder lernen schnell, dass nur im Zusammenspielallertatsächlich ein Spiel zur Bühnenreife kommen kann. Jeder ist gleichermaßen wichtig, niemand darf „aus der Rolle fallen“ und selbst Wartezeiten auf das eigene Stichwort müssen ggf. ruhig hinter dem Vorhang durchgehalten werden. Jeder muss einerseits ganz bei sich bleiben und gleichermaßen das übrige Geschehen wach verfolgen und auf seine Klassenkamerad*innen achten. Wer es selbst einmal versucht, hat weiß, vor welche Herausforderungen unsere Schüler*innen damit gestellt sein können. Klassenspiele bieten die Möglichkeit, auch den schulisch schwächsten Schüler*innen eine Rolle auf den Leib zu schreiben, in der sie an der Gemeinschaftsleistung ihren Anteil haben und zum Gelingen beitragen können.

Schließlich sei noch betont, dass nicht die Perfektion der Darbietung für uns Gradmesser des Erfolges ist. Natürlich wünscht man sich für die Kinder und Jugendlichen, dass eine möglichst fehlerfreie Aufführung gelingt. Es zählt jedoch in der Hauptsache, was jede(r) Einzelne im Prozess des Einstudierens lernen und erleben konnte und wie die Klassengemeinschaft an der gemeinsamen Arbeit gewachsen ist. Es ist etwas Wunderbares, das Staunen und die Freude der Schüler*innen über die eigene Verwandlung zu erleben. Auch die Mitschüler*innen ganz anders zu sehen und neue Seiten an ihnen zu entdecken, macht diese Arbeit für alle Beteiligten jedes Mal so besonders.

Ganz in diesem Sinne erarbeiteten sich die Schüler*innen der Klassenstufe 7-9 das Stück: „Der treue Johannes“ und brachten es zum Johanni-Tag am 24.6. auf die Bühne. Nachdem wir es in den letzten Jahren umständehalber neu arrangiert und unter freiem Himmel in unserem „Amphitheater“ aufgeführt hatten, spielten wir nun wieder vor gewohnter Kulisse auf der großen Bühne. Neben unseren weiteren Schulklassen waren auch zahlreiche Gäste befreundeter Schulen unserer Einladung gefolgt, sodass die Schauspieler*innen vor einem gut gefüllten Saal aufspielen konnten. Der verdiente Applaus der Zuschauer*innen hallt gewiss noch lange in jedem (r) einzelnen Schüler*in nach.

Der Johanni-Tag wurde anschließend in den Wohngruppen mit dem Einfangen des Sonnenlichtes, dem abendlichen Johannifeuer sowie den Liedern nach guter Tradition bis weit in die Dunkelheit gefeiert.

S. Kindler-Schneider

Foto: D. S.
Erscheinung
Stadtbote – Amtsblatt der Stadt Bad Liebenzell
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Ausgabe 27/2024
von SBBZ Burghalde Unterlengenhardt
05.07.2024
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