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Der Büttel und der Feldschütz - Walter Vogt und Gotthilf Hurlebaus

Kaum jemand aus der jüngeren Generation weiß heute noch, was ein „Büttel“ und was ein „Feldschütz“ ist und was deren Aufgabe war. Die Kombination...
Der Feldschütz und Fronmeister Gotthilf Hurlebaus
Der Feldschütz und Fronmeister Gotthilf HurlebausFoto: Museumsarchiv

Kaum jemand aus der jüngeren Generation weiß heute noch, was ein „Büttel“ und was ein „Feldschütz“ ist und was deren Aufgabe war. Die Kombination Feldschütz und Büttel gab es in der Nachkriegszeit in jeder Gemeinde im Remstal.

Als „Büttel“ wurde der Gemeindediener bezeichnet, der Amtsbote und Mitteilungsbeamter in einer Person war. Er hatte ein Fahrrad, später ein Moped und eine große Glocke, mit welcher er nach Aufforderung des Bürgermeisters durch den Ort fuhr und an verschiedenen Stellen im Ort „ausschellte“ was für die Bürger gerade wichtig war z. B. Gemeinderatssitzungen, Steuertermine, Holzverkauf, Wahlen, Viehzählung etc.

In manchen Gemeinden des unteren Remstals wurde später der Büttel abgeschafft und durch eine Lautsprecheranlage ersetzt. Dies war den Urbächern zu aufwendig und sie setzten weiterhin auf „man power“. Walter Vogt wurde am 01.05.1946 als Gemeindediener eingestellt, hatte dieses Amt bis zur Rente 1979 und wurde in dieser Tätigkeit erst durch das Mitteilungsblatt abgelöst. Er hatte als Kriegsverletzung eine Oberschenkelzertrümmerung und dadurch ein „steifes Bein“. Trotz der Einschränkung war er mit seinem Fahrrad und später mit dem Moped flott im Dorf unterwegs. An seinem Moped hatte er eine eigens erfundene Vorrichtung, um das linke Bein aufzulegen. Neben seiner „Öffentlichkeitsarbeit“ als Ausscheller war er im Innendienst noch für die Telefonzentrale der Gemeindeverwaltung zuständig. Es gab ja damals noch keine Durchwahlnummern. Auf diese Weise war er auch über alle eingehenden Anrufe informiert und somit auch „aktueller“ als ein Mitteilungsblatt. Nachdem in einem schwäbischen Dorf nichts weggeworfen wird, diente die Glocke dem Schultes später in den Gemeinderatssitzungen dazu, seine Räte zur Aufmerksamkeit anzumahnen. Walter Vogt wohnte mit seiner Familie in der Uferstraße, früher Bachstraße, in Oberurbach. Er wurde am 02.01.1919 in Stuttgart geboren und verstarb am 03.10.2002 in Stuttgart. Walter heiratete 1949 Helene, geb. Beck. Sie haben zwei Kinder, Waltraud und Ingeborg.

Gotthilf Hurlebaus wurde am 01.08.1946 als „Feldschütze“ eingestellt. Feldschützen waren Flurwärter, denen die Sicherheit auf den Feldern oblag, die landwirtschaftlich genutzt wurden. Ihre Aufgabe bestand darin, potenzielle Diebe davon abzuhalten, Gemüse und Obst zu entwenden oder tatsächliche Diebe auf frischer Tat zu stellen. Die Feldschützen waren mit einem Gewehr, später mit einer Pistole bewaffnet und bis in die 1970er-Jahre mit diesem Aufgabenschwerpunkt im Einsatz. Bereits 1951 ist Hurlebaus in den Akten auch als Wassermeister bezeichnet, da die Bewachung der Früchte doch keine Ganzjahrestätigkeit war. Später machte er dann Karriere und wurde um 1965 Fronmeister der Gemeinde Oberurbach und ab 1970 der Gesamtgemeinde Urbach bis zu seinem Ruhestand im Jahre 1980. Der „Fronmeister“ war der Leiter des Bauhofes der Gemeinde und für die Unterhaltung der Einrichtungen der Gemeinde zuständig. Auch Gotthilf Hurlebaus hatte aufgrund einer Kriegsverletzung am linken Ellenbogen einen steifen Arm. Die Bezeichnung des Fronmeisters kommt übrigens von der vor etwa 100 Jahren noch üblichen Fronarbeit, einer kostenlosen Arbeit der Bürger für Einrichtungen der Gemeinde. So wurden in Urbach z. B. Wasserleitungen verlegt, der Wasserstollen im Haag gebaut und auch Bach- oder Flussunterhaltungsmaßnahmen von den Bürgern in Fronarbeit durchgeführt. Gotthilf Hurlebaus wohnte mit seiner Familie im Kelterweg in Oberurbach. Er wurde am 04.09.1920 in Oberurbach geboren und verstarb am 29.05.2000 in Urbach. Er heiratete 1946 Erna, geb. Müller. Sie haben 3 Kinder, den Werner, Roland und Bernhard. Sohn Roland ist inzwischen verstorben.

Männer der Jahrgänge 1919/20 wie Walter Vogt und Gotthilf Hurlebaus hatten sehr oft ein schwieriges Leben. Sie hatten zu Kriegsbeginn mit 19/20 Jahren entweder gerade eine Beschäftigung begonnen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen oder eine gerade abgeschlossene Lehre, aber noch keine Anstellung. Nach Kriegsende kamen sie mit 25/26 Jahren oft als Schwerbeschädigte aus dem Krieg zurück, ihre Jugend war verloren und sie hatten keine Möglichkeit mehr, in einem Handwerksberuf unterzukommen. Für die Gemeinde waren das aber hoch motivierte und engagierte Mitarbeiter.

Gotthilf Hurlebaus war jahrelang auch aktiv im Urbacher Obstbauverein und machte in seinem Ruhestand gemeinsam mit „Fahrrad“ Heinrich häufig interessante Ausflüge mit Urbacher Senioren, welche sich den passenden Namen „Spätsommer“ gaben.

Walter und Gotthilf waren beide begeisterte Fußballfans und Mitglieder des TSV Oberurbach. Gotthilf war auch jahrelanger Vereinskassier und Fußballspieler. Durch seine Kriegsverletzung hatte er einen versteiften Oberarm. Die dadurch bedingte Körperhaltung mit angezogenem Oberarm machte ihn auch beim Fußballspiel allseits bekannt.

Zum Schluss noch eine kleine Anekdote. Bei einer Seniorenfeier des Urbacher Rathauses Ende der achtziger Jahre kamen die beiden auf den Bürgermeister zu und sagten „Herr Bürgermeister, wir müssen ein Geständnis machen. Wir haben die Gemeinde bestohlen.“ Sie achteten wohl darauf, dass die 30 Jahre-Frist zur Verjährung vorbei ist und berichteten von einem Vorfall aus den 50er-Jahren. „Wir saßen im Festzelt beim TSV. Der Gipser Kiess hatte seinen Bauheizer zur Verfügung gestellt und zu später Stunde ging das Heizöl aus. Es war aber noch zu früh, um nach Hause zu gehen. Wir wussten, dass im Gewölbekeller des Rathauses ein 20.000-Liter-Heizöltank steht. Also gingen wir los mit einem Kanister und ‚schläuchelten‘ einen Kanister voll aus dem Tank. Es war natürlich in angetrunkenem Zustand schwierig, rechtzeitig den Schlauch wieder aus dem Mund zu nehmen. Das Fest konnte weitergehen, aber für eine zweite Aktion dieser Art waren wir nicht mehr bereit.“

Der Büttel Walter Vogt
Der Büttel Walter Vogt.Foto: Museumsarchiv
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Ausgabe 41/2024

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Kultur
von Geschichtsverein Urbach
10.10.2024
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