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Der Duft von Heu

Der Duft von Heu – von Gudrun Schultheiss Gerüche wecken Erinnerungen in uns. Sie können wie eine Reise zurück in die Vergangenheit oder Kindheit...
Der Duft von Heu
Der Duft von HeuFoto: Gudrun Schultheiss

Der Duft von Heu – von Gudrun Schultheiss

Gerüche wecken Erinnerungen in uns. Sie können wie eine Reise zurück in die Vergangenheit oder Kindheit sein und unserem Inneren große Freude und Dankbarkeit für Erlebnisse, die man nie vergisst, auslösen.

Wenn ich heute im Rentenalter mit meinem Hund auf dem Lande spazieren gehe und an gemähten Wiesen vorbeikomme, muss ich jedes Mal innehalten und ganz tief einatmen. Dann bücke ich mich und greife automatisch nach einer Handvoll duftendem Heu, heb mir diese direkt unter die Nase und schließe kurz meine Augen. Dann läuft ein alter Film vor meinem Inneren ab und ich sehe mich als kleines Bauernmädchen, weit oben auf dem beladenen Heuwagen, beschützt in einer Mulde liegen. Umgeben von dem süßlich riechenden Duft von Heu und an Armen und Beinen zerkratzt von den teilweise störrischen, getrockneten Grashalmen. Und immer lebte ich ein wenig in der Angst, ob mein Vater den „Max“ – unser Pferd – so gut führt, dass er nicht im Übermut unseren Heuwagen umwirft. Unzählige Fahrten auf dem Heu- oder Garbenwagen vom Feld nach Hause habe ich während meiner Kindheit in Perouse mitgemacht.

Erstaunt musste ich beim Schreiben dieser Geschichten feststellen, dass die allermeisten Düfte und Gerüche, die ganz fest in meiner Erinnerung verankert sind, aus der Zeit meiner Kindheit und Jugend stammen.

Dazu gehört zum Beispiel auch der Geruch der Metzelsuppe, der mich an unseren alljährlichen Schlachttag von einem unserer selbst aufgezogenen Schweine erinnert. Als ich damals von der Schule heimkam, war der Tisch im Wohnzimmer gedeckt und sogar unser Metzger durfte an diesem Festmahl teilnehmen.

In unserem Schatzkästchen ist auch der feuchte Geruch unseres Gewölbekellers verankert, in dem mein Vater unsere gut gefüllten Mostfässer gelagert hatte. Dieser erdige, säuerliche Geruch lässt sich ganz schnell aus der Erinnerung hervorholen. So wie auch der Duft von Bohnerwachs, mit dem die Holztreppen und Dielen der kleinen Darlehnskasse, die es damals in unserem kleinen Dorf gab, eingestrichen waren. Auch meine Mutter hatte so eine Dose Bohnerwachs für unsere Linoleumböden zuhause. Ich liebte als Kind diesen intensiven Geruch und er war meistens noch mit einer Fahrt auf unserem alten „Blocker“ verbunden. Die gewachsten Böden mussten ja auf Hochglanz poliert werden.

Als Kind war ich viel draußen im Wald und ich weiß, dass man den Duft eines frisch gepflückten Maiglöckchensträußchens nicht mit Worten beschreiben kann. Diesen betörend süßlichen Duft muss man einfach selber riechen und dazu mit vom Morgentau noch feuchten Schuhen zwischen den Maiglöckchen stehen. Im Perouser Wald gibt es sehr viele davon und seit Generationen werden sie von den Bürgern als duftendes „Sträußle“ nach Hause getragen. Auch meine Großmutter hatte sie im Mai auf dem Tisch stehen. Für mich haben sie leider auch eine traurige Erinnerung. Als ich 12 Jahre alt war, verstarb im Mai meine geliebte Tante Amalie und ich durfte ihr einen Maiglöckchenstrauß ins Grab werfen. Meine von Schmerz verkrampften Kinderhände hatten die Blumenstengelchen total zerdrückt, so groß war mein Leid und die Trauer um die geliebte Tante, bei der ich aufgewachsen war und von der ich liebevoll betreut wurde, während meine Eltern der Feldarbeit nachgingen.

Es gibt Gerüche, die wir mit einer bestimmten Jahreszeit verbinden. Weihnachten zum Beispiel. Wenn es nach Plätzchen, Glühwein, Tannennadeln und Bienenwachs riecht, dann ist die Adventszeit gekommen, auf die wir uns das ganze Jahr gefreut haben.

Als ich unsere drei Kinder zur Welt gebracht habe, stand jedes Mal ein Fläschchen „Sterilium“ auf meinem Nachttisch. Bis heute erinnert mich der Duft dieses blauen Desinfektionsmittels an das große Mutterglück, wenn ich so ein kleines, neugeborenes Wunder in meinen Armen hielt.

Weniger schön ist die Erinnerung an den Schwimmunterricht in meiner Schulzeit. Beim Geruch von Chlor fühle ich mich heute noch unwohl. Unsere damalige Sportlehrerin verlangte von uns ängstlichen Nichtschwimmern jedes Mal einen Sprung ins tiefe Wasser. Ich spüre noch heute meine große Angst und den Druck in meinen Ohren, aber darauf hatte sie keine Rücksicht genommen. Schnell vergessen waren solche schlimmen Erlebnisse, wenn ich am Nachmittag nach den Hausaufgaben mit meinen Freundinnen im Wald ein „Lägere“ bauen durfte. Mit unseren Puppenkindern erlebten wir dort eine unglaublich schöne Kindheit. Der Geruch, den das feuchte Moos im Wald ausströmte, gehört zu meinen unvergesslichen Kindheitserinnerungen. Es lockt mich auch heute noch hinaus in den Wald, um für meine Gestecke, die ich gerne herstelle, das wohlriechende Moos zu sammeln.

Damit ich meine Geschichte noch mit einem guten Duft beenden kann, möchte ich noch eine nette Jugenderinnerung hinzufügen. Ich habe schon immer gerne und viele Briefe von Hand geschrieben. Doch früher habe ich sie alle mit meinem Lieblingsparfüm eingesprüht, um meinen Freundinnen, die sie zugeschickt bekamen, noch mein eigenes, persönliches Geschmäckle zukommen zu lassen.

Nun wünsche ich Ihnen allen einen wunderbar funktionierenden Geruchsinn und den Mut, mit erhobener Nase durch den Alltag zu gehen. Sie werden staunen, wie vielseitig die Gerüche sind, die Ihnen an einem einzigen Tag zufliegen und wie kostbar die Düfte sind, die Sie an eine glückliche, unbeschwerte Kindheit erinnern. So wie bei mir, der Duft von Heu.

Auszüge aus der Geschichte „Der Duft von Heu“ aus dem gleichnamigen Buch von Gudrun Schultheiss

Erscheinung
Stadtnachrichten – Amtsblatt der Stadt Rutesheim
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Ausgabe 20/2025

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