Zur ersten Linderung der Not schlug das Militär Zelte für Obdachlose auf, die Staatseisenbahn stellte umgehend alte Eisenbahnwagen als Notunterkünfte zur Verfügung. Im Bereich der heutigen Fischerstraße standen etwa 30 Eisenbahnwagen, die den Eindruck einer kleinen Siedlung hinterließen. Ob das Leben so harmonisch war, wie das Bild vermittelt, ist fraglich.
Die Firma Knorr aus Heilbronn richtete eine Suppenküche ein, von der die Abgebrannten täglich drei Mahlzeiten kostenlos erhielten.
Die Katastrophe hatte sich schnell herumgesprochen. Von nah und fern strömten Menschen herbei, um sich einen Eindruck von dem abgebrannten Ort und der Not der Betroffenen zu verschaffen.
Die „Stuttgarter Volksbücher“ berichteten:
„Wohl an die 20 000 Menschen besuchten am ersten Sonntag die Brandstätte. Von Marbach und Heilbronn kamen sie mit der Schmalspurbahn nach Ilsfeld, in Viehwagen stehend oder auf den Dächern der Waggons sitzend: lebensgefährliche Stauungen entstanden am Kassenschalter des Südbahnhofs Heilbronn. Noch schlimmer wurde es auf dem Rückweg. Während noch in den Abendstunden überfüllte Züge in Ilsfeld anlangten, wurden die von dort nach Heilbronn fahrenden Züge in einer Weise gefüllt, dass es ein Wunder ist, wenn nicht ein Unglück passierte.“
Vom Ansturm der Schaulustigen am ersten Sonntag nach dem Brandunglück berichtete ebenfalls die Neckarzeitung:
„Schon früh gegen 3 Uhr strömten von allen Seiten Leute herbei. Flein passierten zwischen 2 bis 9 Uhr vormittags etwa 10 000 Fremde, so dass um 6 Uhr morgens der Ort leer getrunken und leer gegessen war. Ein stark besuchtes Cannstatter Volksfest kann den Vergleich mit diesem Verkehr etwa bestehen.“
Da das Pfarrhaus auch abgebrannt war, versetzte die Kirchenleitung Pfarrer Hartmann mit seiner Ehefrau und den sieben Kindern. Seine Stelle nahm der alleinstehende Vikar Adolf Loebich ein. Das Pfarramt war in der Deker'schen Mühle (heute Reihenhäuser in der Mühlstraße) untergebracht. Über das Leben nach dem Brand schrieb Loebich am 13. September 1904 an seinen Vater:
„Zum Opa mit zwei Stuben und ein paar Kammern sind drei Kinder mit Gatten und Enkeln gezogen, 5 Kleine wuseln um den alten Mann, in einer Stube sind etwa 15 Leute zum Essen versammelt. Am Bahnhof stehen abgerüstete Eisenbahnwagen, je einer für zwei Familien. Der eine Raum ist alles zugleich. Sie schlafen auf Stroh mit den Kleidern, alle miteinander. Ich nenne eine einzige Stube mein, eine Giebelstube bei einer verwitweten Frau Oberlehrer, 2,18 m hoch und 3,10 auf 3,70 m im Bodenmaß.“
In einer letzten Folge berichten wir über die Hilfsbereitschaft und den Wiederaufbau.
Walter Conrad, M. Braun