Der Ilsfelder Vikar Adolf Löbich schrieb in einem Brief an seinen Vater von den Hilfsmaßnahmen:
„Es kommen herzerfreuend viele Spenden, aber zu viele Hände strecken sich bittend aus. Um einen Bettrost melden sich 50, welche Szenen bei der Verteilung im Magazin, alle Teufel sind da los.
Bei Nahrungsmitteln bekommen alle das gleiche, da gibt’s keinen Streit.
Überall steigen schon wieder die Mauern aus der Erde. Überall Leben und Bewegung, tief in der Nacht klopft der Schmied, rasseln Wagen, wird gegraben und gemauert. Arbeiter in Mengen, darunter viel Gesindel, 80 Pioniere tagsüber wacker aufräumend, abends die Wirtschaftsschenken mit Soldatenliedern füllend, bis der Zapfenstreich geblasen wird.“
Der Ravensburger Fabrikant Julius Spohn (1841 – 1919) betrieb in Neckarsulm eine große Jutespinnerei mit Weberei. Sein Sohn Richard erinnerte sich noch 1951 an die sofortige Hilfe, er schrieb:
„Ich erinnere mich noch sehr genau daran, als mein Vater nach dem Großbrand in Ilsfeld helfend eingegriffen hat, und ich weiß noch, dass er von Ravensburg aus 40 komplette Betten in einem Waggon absenden ließ, der durch Vermittlung des damaligen Eisenbahnvorstands, Herrn Fischötter, der später in Heilbronn war, an den Schnellzug angehängt wurde, sodass die Betten schon am anderen Morgen in Ilsfeld eingetroffen sind, was dort große Freude machte.“
Darüber hinaus spendete Julius Spohn für den Wiederaufbau 25 000,– Reichsmark. Die Größenordnung der Spende zeigt ein Blick auf die Baukosten beim Wiederaufbau. Das Lehrerwohnhaus (heute Museum und Gemeindeverwaltung) kostete 20 000,– Reichsmark, 28 000,-der Kindergarten Dorastift. Der Name der Straße zwischen der Rathausstraße und der Charlottenstraße erinnert an Julius Spohn, den der Gemeinderat zum Ehrenbürger von Ilsfeld ernannt hat.
Die Höhe der Spenden, die dem Hilfskomitee zur Verfügung standen, betrug 560 000,– Reichsmark. Einige Auszüge aus der Spendenliste zeigen, dass die Hilfsbereitschaft weit über die Grenzen von Württemberg hinausgingen.
Stadtrat Zittau in Sachsen: 50,–
Volkszeitung (Wuppertal) – Barmen: 655,95
Evangelische Sonntagsblatt für Bayern Rothenburg: 59,50
Pfarrer Rothweiler (Wuppertal)-Elberfeld: 159,40 Reichsmark
Bankgeschäft Taeuber und Holz in Davos-Platz, Schweiz: 1 000,– Franken.
Ungerade Beträge lassen darauf schließen, dass die Spenden wohl durch einen besonderen Spendenaufruf vor Ort eingingen.
Der Württembergische Hilfsverein und der Schwäbische Albverein organisierten in Heilbronn eine „Herbst-Partie zugunsten der Abgebrannten in Ilsfeld“ mit Tanzmusik, humoristischen und Gesangs-Vorträgen und einem großartigen Brilland-Feuerwerk.
Der Wiederaufbau konnte umgehend in Angriff genommen werden. Ilsfeld entwickelte sich für etwa zwei Jahre zu einer Großbaustelle. Für den Ablauf verantwortlich waren vier Regierungsbauführer und Werkmeister, fünf Geometer, sechs Architekten mit Büros von 6 bis 30 Gehilfen.
Die Baumaterialien wurden mit der Bahn antransportiert, sie lagerten teilweise am Bahnhof, teilweise in den jeweiligen Vierteln.
20 Bauführer, 200 Unternehmer aus allen Teilen Württembergs arbeiteten mit 1 200 Arbeitern im Ort. In der Hauptbauzeit von Oktober bis Dezember 1904 wurden in drei Tagen jeweils zwei Häuser aufgeschlagen. Ende April 1905 waren 121 Bauten fertiggestellt.
Drei Monate nach dem Brandunglück fand erstmals eine Einweihungsfeier statt. Am 6. November 1904 wurde die Interimskirche ihrer Bestimmung übergeben. Die Kirche, die man immer als Notkirche bezeichnete, diente 60 Jahre als Gemeindehaus und Winterkirche. 1964 wurde die Notkirche abgerissen, an ihrer Stelle entstand das Johann-Geyling-Haus.
Am 19. Mai feierten die Verantwortlichen mit den Bauarbeitern das Richtfest der wiederaufgebauten Bartholomäuskirche in der Bahnhofswirtschaft.
Das Jahr 1906 wurde zu einem Festjahr:
28. April: Einweihung des Kindergartens Dorastift
3. Mai: Einweihung des Schulhauses und des Lehrerwohnhauses
21. Juli: Einweihung des Rathauses
6. Dezember: Einweihung der Bartholomäuskirche
Mit der Einweihung der Bartholomäuskirche wurde der Wiederaufbau offiziell abgeschlossen.
Zur Einweihung der Kirche kamen König Wilhelm II. und Königin Charlotte mit der Schmalspurbahn nach Ilsfeld, während der Fahrt vom Bahnhof bis zum Empfang im Dorastift läuteten die Glocken. Um zwei Uhr ist das Königspaar wieder „unter stürmischen Hochrufen der dicht versammelten Menschenmenge“ von Ilsfeld über Marbach nach Stuttgart zurückgefahren.
Die Verantwortlichen für den Wiederaufbau und die Festgäste waren zu einem Festessen in den Gasthof Hirsch eingeladen. Auf der Einladung stand die „Speisenfolge“:
Knorrs Ochsenschweifsuppe
Mast-Ochsenfleisch mit Beilagen
Schlachtbraten – Rehbraten
Lendenbraten – Breite Nudeln
Maccaroni und Spätzle
Gansbraten mit Salat
Dessert
Quellen und Abbildungsnachweise für die Reihe „Der Große Braund von Ilsfeld“:
Conrad, Hans/Conrad, Walter/Haug Ursula und Walter/Mugele, Adelheid/Pschunder, Hildegard
Die Evangelische Kirche Ilsfeld – Vor und nach dem großen Band 1904 – Geschichte, Menschen, Begebenheiten, Ilsfeld 2006
Ott, Wolfgang
Der Wiederaufbau des 1904 abgebrannten Dorfes Ilsfeld. Wettbewerb und Ausführung.
Magisterarbeit, Tübingen 1986
Die Veröffentlichung kann beim Ilsfelder Heimatverein ausgeliehen werden.
Ilsfelder Heimatverein: Archiv
Einige zitierte Texte sind teilweise sprachlich geringfügig angepasst. Auslassungen sind nichtgekennzeichnet.
Abbildungen:
Veröffentlichung „Die Evangelische Kirche Ilsfeld ...“ und Ilsfelder Heimatverein
Walter Conrad, M. Braun