In der deutschen Sprache gibt es nur wenige Wörter mit einem direkt aufeinanderfolgenden „W“. Spontan kommt einem wohl nur der „Struwwelpeter“ in den Sinn, ein völlig aus der Zeit gefallenes Kinderbuch, das zwar noch für kleines Geld in der Frankfurter Originalausgabe im Handel erhältlich ist, dessen Verkaufszahlen aber wegen möglicher frühkindlicher Traumatisierungsrisiken vermutlich eher im jährlich einstelligen Bereich liegen mögen.
Nicht im Duden zu finden ist ebenfalls das an Weingartener Metzgereiverkaufstheken häufig gebräuchliche Substantiv „Lewwerworscht“, und auch nach dem „Zwiwwelkuche“ sucht man im bedeutendsten „Rechtschreibwörterbuch der deutschen Sprache“ leider vergebens. Genau davon soll jedoch heute die Rede sein, denn schon bald werden alle Voraussetzungen für die Zubereitung und den genussvollen Verzehr des Weingartener Herbstklassikers erfüllt sein.
Das Konzept, einen Hefe- oder Mürbeteig in der ausgehenden Sommersaison mit auf dem Höhepunkt ihrer Geschmacksfülle befindlichen Zwiebeln zu belegen, ist dabei keinesfalls auf unsere Region beschränkt. Auch bei der lothringischen Quiche Lorraine, der in der Provence beliebten Pissaladière oder der italienischen Focaccia con le cipolle bildet die Zwiebel mit ihrer Schärfe und gleichzeitig milden Süße das aromatische Grundgerüst. Dazu braucht es einen salzigen Gegenakzent in Form von Speck oder Anchovis beziehungsweise Thunfisch bei den mediterranen Varianten. Diese Anordnung kann beliebig abgewandelt und verfeinert werden, frischer Thymian verleiht der Pissaladière eine besondere Leichtigkeit, unsere heimische Machart gewinnt durch Zugabe von zerstoßenem Kümmel an Aroma und Bekömmlichkeit. Angereichert wird der Belag dann bei uns klassischerweise mit Ei und Sahne, schließlich muss man ja auch von etwas satt werden und braucht eine Grundlage für das herbstliche Begleitgetränk – den „Neuen Süßen“, dessen Alkoholgehalt schon oftmals mit den entsprechenden schmerzhaften Folgen am Tag danach gewaltig unterschätzt wurde.
Da sich die genaue Zubereitung von Haushalt zu Haushalt und von Familie zu Familie unterscheidet, ist es vielleicht angebracht, einen Experten für das traditionelle Weingartener Zwiebelkuchenrezept zu Rate zu ziehen. Berthold Buchholz war bis Januar 2003 Inhaber der gegenüber dem katholischen Gemeindezentrum in der Schillerstraße gelegenen Bäckerei und verrät uns die Zubereitung:
Für eine runde Form von 30 Zentimetern Durchmesser benötigt man einen einfachen Hefeteig, 1 Kilogramm Zwiebeln, 100 gr. Speck, 20 gr. Schweinefett. 100 gr. Mehl, 125 gr. Sauerrahm und 2 Eier. Die geschnittenen Zwiebeln und die Speckwürfel werden in dem Schweinefett glasig gedünstet. Nach dem Abkühlen der Masse gibt man Eier, den Sauerrahm und Mehl dazu, schmeckt mit Salz und Pfeffer ab und verteilt den Belag auf dem Hefeteig in der zuvor eingefetteten Rundform. Die Backzeit beträgt dann circa 30 Minuten bei 200 Grad Hitze.
Traditionell wurde der Zwiebelkuchen in den Holzbacköfen der Dorfbäckereien nach den Broten bei abfallender Hitze zubereitet. Auch verzichtete man auf die Herstellung eines separaten Hefeteiges und verwendete der Einfachheit halber einen geeigneten hellen Brotteig als Grundlage. Unser abschließendes Foto hält den letzten Verkaufstag der Traditionsbäckerei an der Kreuzung von Schiller- und Luisenstraße im Januar 2003 dokumentarisch fest. Sicherlich erinnern sich noch viele Weingartener mit einer gewissen Wehmut an die Spezialitäten des Handwerksbetriebs – das kräftige Kosakenbrot, die klassischen Mischbrote, die manuell geformten krossen Brezeln und Kleingebäckstücke, die nach und nach von Industrieware verdrängt werden und immer seltener zu finden sind. (gö)