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Deutsches Volksliedgut in kritischer Betrachtung 2

Weiter gehts mit der Roland Vossebreckers Ironie. Deutlich wird dies an folgendem Beispiel: Auf den ersten Blick will einem an dem Lied „Alle Vögel...

Weiter gehts mit der Roland Vossebreckers Ironie.

Deutlich wird dies an folgendem Beispiel: Auf den ersten Blick will einem an dem Lied „Alle Vögel sind schon da“ nichts Unkorrektes auffallen! Wie unsinnig, ja grotesk dieses eigentlich hübsche Lied in Wahrheit ist, fällt erst auf, wenn man die Phantasie besitzt, sich vorzustellen, alle Vögel wären wirklich schon da. Alle! Das kann niemand ernst meinen, und doch wird es jeden Frühling aufs Neue immer wieder genau so behauptet. Solche Übertreibungen sind nicht nur missverständlich, sondern auch gefährlich für das ökologische Gleichgewicht.

In diesem Kontext fällt das Lied „Kommt ein (!)Vogel geflogen“ äußerst positiv auf! Da stimmen die Proportionen und auf jegliche Sensationsmacherei wird verzichtet zugunsten einer bescheidenen, aber dadurch umso wirkungsvolleren Situationsbeschreibung: Ein Vogel auf einem Fuß! Dass Genie und Wahnsinn gelegentlich dicht beieinander liegen können, zeigt das Lied „Heißa, Kathreinerle“. Einerseits soll sich Kathreinerle die Schuh schnüren, und dagegen ist ja wirklich nichts einzuwenden; auch die Anweisung, ihr Röckele zu schürzen ist, meiner Ansicht nach, noch nicht zu viel verlangt, dann aber soll sie sich kein’ Ruh gönnen, und das verletzt doch eklatant die Menschenwürde!

Wie ist es möglich, dass solche Liedtexte immer noch unreflektiert gesungen werden? Schade um das schöne Lied, welches mit einer wirklich anrührender Phrase fortfährt: „Didel, dudel, dadel, schrumm, schrumm, schrumm!“. Das ist gekonnt formuliert und von überzeugender Aussage, um dann leider sogleich wieder in unpräzise Halbwahrheiten zu verfallen: „Geht schon der Hopser rum!“. Von welchem Hopser ist hier die Rede? Ist es das Pferdchen aus „Hopp, hopp, hopp“, diese Vermutung liegt durchaus nahe; denkbar wäre aber auch das Häschen in der Grube, und hier begegnet uns eine neue und noch dramatischere Problematik; die der subtilen Suggestion mit musikalischen Mitteln: Schlimm ist es nämlich, wenn der Text eines Liedes Mitgefühl heuchelt, während die Melodieführung ungeschminkt Schadenfreude suggeriert, so in dem Lied „Häschen in der Grube“: Die Zeile „Armes Häschen, bist du krank, dass du nicht mehr hüpfen kannst“ bewegt sich drei Takte lang in mitleidigem Tonfall in Sekundschritten abwärts (Seufzermotiv!), um dann im vierten Takt bei „hüpfen kannst“ das arme, kranke Häschen mit albernen Terzsprüngen aufwärts zu verspotten. Das ist durchaus gekonnt komponiert, doch moralisch verwerflich. Teil 3 folgt Ingo Kuntermann

Erscheinung
Mitteilungsblatt der Stadt Schriesheim
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Ausgabe 28/2025
von Söhne Schriesheims
08.07.2025
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