Wenn der Name Winfried Schäfer fällt, denkt man in Fußballdeutschland und insbesondere in Karlsruhe in erster Linie an das unvergessene „Wunder vom Wildpark“, als der KSC am 2. November 1993 um Rückspiel des UEFA-Cups den FC Valencia mit 7:0 zerlegte und in die Geschichtsbücher einging. Doch Kult-Trainer Schäfer, den man allgemein als „Winnie“ kennt, hat sowohl als Spieler wie als Trainer noch weit mehr Erfolge aufzuweisen, wie man seinem Buch „Wildpark, Scheichs und Voodoozauber“ entnehmen kann.
Im April gastierte die 75-jährige Trainerlegende im mit 800 Besuchern voll besetzten Tollhaus Karlsruhe und Moderator Martin Wacker entlockte Weltenbummler Winnie Schäfer am Tag, als der KSC in Hamburg mit 2:1 gewann, lustige Geschichten und wahnsinnige Storys und der wegen des Ansturms sichtlich gerührte Schäfer brachte die Gästeschar zum Schmunzeln und Lachen. „Du liest und ich erzähle“, hatte Schäfer im Vorfeld zu dem im KSC-Retro-Trikot aufgelaufenen Stadionsprecher Wacker, gesagt. Und Bernd Belschner vom Tollhaus signalisierte bei der Begrüßung: „Wir spielen 90 Minuten ohne Pause durch“.
Tatsache ist, dass Winfried Schäfer als Spieler unter Legende Hennes Weisweiler an der Seite von Günter Netzer und Berti Vogts agierte und als späterer Coach Talente wie Oliver Kahn („Den Olli konnte man nicht ersetzen“) oder Mehmet Scholl, die später bei den Bayern zu Nationalspielern wurden, entdeckte und förderte. Auch Thorsten Fink, Michael Tarnat, Arno Glesius oder Michael Harforth, denen Schäfer ein gutes Zeugnis ausstellte, blieben nicht unerwähnt.
Der Karlsruher SC wurde unter seiner Ägide zu einem europäischen Spitzenclub. Was jedoch die Trainerkarriere des mit seiner Frau Angelika in Ettlingen wohnenden, oft als „Winnie Wahnsinn“ beschriebenen Menschen, unvergleichlich macht, sind seine zahlreichen, nicht weniger als 13 Stationen umfassenden Engagements im Ausland. Mit Kamerun wurde er im Jahre 2002 Afrikameister und sieht ein Jahr später beim Confed-Cup in Frankreich, wie sein Spieler Marc-Vivien Foe beim Spiel gegen Kolumbien auf dem Platz an einem Aneurysma stirbt.
Am Persischen Golf erlebt er die Macht des Geldes, in Aserbeidschan ein korruptes Regime. Im Iran führt er seine Mannschaft in die asiatische Champions-League, in Thailand empfängt ihn der König und in Jamaika setzt er als Nationaltrainer mit den „Reggae-Boyz“ Akzente.
Wer weiß heute noch, dass der im Jahre 1950 in Mayen/Eifel geborene Fußballer und Trainer auch bei Kickers Offenbach spielte und 1970 sogar DFB-Pokalsieger und als Kuriosum im gleichen Jahr mit Borussia Mönchengladbach Deutscher Meister wurde? Oder dass er auch ein Jahr lang Trainer bei Tennis Borussia Berlin war, wie in seinem gerade veröffentlichten, interessanten 240-seitigen Buch nachzulesen ist und aus denen die Tollhaus-Gäste viele Passagen und bislang nicht bekannte Anekdoten hörten? Auch, dass Schäfer „mangels Masse“ sogar in einem Günter Netzer-Trikot auflief?
Eine von zahlreichen, tollen Geschichten ist sicher die heute undenkbare Story vom legendären Spiel gegen den damaligen spanischen Tabellenführer aus Valencia, bei dem mit dem vierfachen Torschützen „Euro-Eddy“ eine weitere KSC-Legende geboren wurde. Schäfer war für dieses Match von der UEFA „wegen einer Nichtigkeit“ aus dem Hinspiel gesperrt worden und hatte sich unter einer Decke versteckt in die Kabine geschmuggelt, um seine Mannschaft heiß zu machen. Dies gehörte zu den Methoden von Schäfer, den man sonst eher wild mit den Armen fuchtelnd beim KSC elf Jahre an der Seitenlinie sah.
Er hatte die Mentalität der Mannschaft, die zuvor jahrelang mit dem Erreichten in der Zweiten Fußball-Bundesliga zufrieden war, verändert. „Aus einem ordentlichen Team war ein bärenstarkes geworden“. Neben den erwähnten Spielern wie Kahn und Scholl wurden auch Akteure wie Jens Nowotny, Wolfgang Rolff oder Oliver Kreuzer zu gestandenen Bundesligaprofis oder Nationalspielern. „In meiner Karlsruher Zeit wechselten sechs Spieler vom KSC zum FC Bayern München und wurden tragende Säulen des Starensembles. Auch dieser Aspekt gehört zum Wunder vom Wildpark, den ich mir in aller Bescheidenheit mit ans Revers hefte“, so Schäfer unter dem Applaus der Gäste.
1998 war Schluss in Karlsruhe, als ihn sein Freund, KSC-Präsident Roland Schmider, nach einer Negativserie in der Liga, in sein mit weiteren Vorstandsmitgliedern besetztes Büro zitierte. Schäfer ahnte nichts Gutes und meinte in die Runde: „Wenn ihr mich entlasst, steigt ihr in die Zweite und Dritte Liga ab“. Doch er war ab sofort freigestellt. Der Schock saß tief, doch er sollte mit der Prophezeiung recht behalten. Nach ihm kamen Jörg Berger, Rainer Ulrich und ein gewisser Jogi Löw – und der KSC fand sich in der Regionalliga wieder.
Nach einem Intermezzo beim VfB Stuttgart und bei Tennis Borussia Berlin lockte die große weite Welt und ein Anruf aus Kamerun kam zur rechten Zeit. Er war dann drei Jahre lang Trainer bei den „Unbezwingbaren Löwen“ und schrieb mit ihnen afrikanische Fußballgeschichte, wobei Triumph und Tragödie nah beisammen lagen. „Ich kam mir vor wie am Hof des Sonnenkönigs Louis XIV“. Nicht zuletzt, weil er 2002 mit Kamerun in Mali ohne Gegentor in allen Spielen Afrikameister wurde und im Finale das Elfmeterschießen gegen Senegal für sich entschied. Dass zuvor fast unglaubliche Geschichten mit Hexenzauber auf dem Rasen passierten, gehört ebenso zur Wahrheit wie die Zustände bei der Verbandsspitze mit Korruption und Misswirtschaft. Über einen Journalisten erfuhr er seine Entlassung. Wieder einmal war es um hochpolitische Themen und um das liebe Geld gegangen. „Da war viel Wehmut dabei“, erzählt Schäfer.
Doch auch die nächste Station in „der grünen Oasenstadt“ Dubai mit dem „Wunder in der Wüste und Märchen aus Tausend und einer Nacht“ sollte spannend und aufregend werden. Mit seinem Verein al-Ahli war Schäfer nach 26 Jahren Meister in der Liga geworden – und nach der missglückten Titelverteidigung in der nächsten Saison entlassen worden. Gut, dass sich gleich die nächste Tür auftat und Winnie Schäfer in der Folge mit dem Club al-Ain die erfolgreichste Saison in der Vereinsgeschichte absolvierte und neben dem Pokalsieg auch noch den Supercup holte.
Doch das nächste Engagement sollte nicht lange auf sich warten lassen, schließlich war Schäfer gut vernetzt und durch seine Erfolge bekannt. In Aserbeidschan endete ein sechsmonatiges Abenteuer beim FC Baku mit der telefonischen Entlassung, als er gerade in Ettlingen weilte und Schäfer kommentiert: „Hier traf Profisport auf Sippschaft“. In der Folge unterschrieb er einen Vertrag bei Muangthong United in Thailand, einem Vorort der Megametropole Bangkok. „Ein Name mit gutem Klang“, so Schäfer, der mit seinem Sohn Sascha an seiner Seite unterwegs war und sich mit den kulturellen Herausforderungen und Gepflogenheiten des Landes auseinandersetzen musste. Gut, dass zu dieser Zeit – man schrieb das Jahr 2012 – in Thailand gerade der Posten des Nationaltrainers frei wurde und Coach Schäfer gleich den zweiten Platz bei der Südostasien-Meisterschaft feiern durfte.
Doch auch hier: Gerüchte, Intrigen, Störfeuer, Geld- und Kommunikationsprobleme. Am Ende wieder eine Entlassung. Klar, dass beim Fußball-Globetrotter schon bald ein Ortswechsel angesagt war, zumal Jamaika mit einem Angebot lockte: „Das klang nach Sonne, Palmen und Reggae-Musik“, so Schäfer, dem nach eigener Aussage in einem anderen Land „immer die Menschen, die Beweggründe, die Lebenssituationen und Kulturen wichtig“ waren. Letztlich verhinderten dubiose Geldzahlungen oder nicht stattgefundene, versprochene Überweisungen eine Weiterbeschäftigung beim Karibikmeister von 2014, doch der suspendierte Trainer merkt an: „Trotzdem gehörte das Abenteuer Jamaika mit zu den schönsten Stationen meiner Trainerkarriere.“
Diese sollte im Iran und dort, wo Schäfer den Zunamen „German General“ erhielt, weitergehen. Obwohl er mit dem Verein Esteghlal Teheran Pokalsieger wurde, musste Winnie, der Menschenfänger mit den unkonventionellen Methoden, nach kurzer Zeit seine Zelte abbrechen. „Iran war der mediale Gipfel“, meinte Schäfer, „dagegen ist der Fußball-Talk 'Doppelpass' Kinderkram.“
Als er gerade dabei war, nach Deutschland zurückzukehren, erreichte ihn ein Angebot von Baniyas in Abu Dhabi. „Eine glückliche Fügung, zumal die Emirate inzwischen meine zweite Heimat geworden waren“.
Aktuell ist Winfried Schäfer, der vom Fußball nicht lassen kann, als Technischer Direktor in Ghana und hat auch dort mit seiner Philosophie „Wir packen das, egal wie der Gegner heißt“, die Entscheidungsträger an seiner Seite. Im Rückblick nennt er neben Udo Lattek oder Jupp Heynckes vor allem „Chef“ Hennes Weisweiler als seinen besten Trainer und bekennt: „Ich habe viel von ihm gelernt und als späterer Coach umgesetzt“. Am Ende der spannenden Gesprächsrunde im Tollhaus, die bis in die Nachspielzeit und Verlängerung ging, gab es stehende Ovationen und lautstarken Jubel für Winnie Schäfer, der letztlich zahlreiche Bücher signieren durfte.