Wie schon erwähnt, war mein Vater, Franz Petruschka, ein Ungarndeutscher. Sie selbst nannten sich stolz Flüchtlinge. Seine Familie war nach dem Krieg enteignet, die Güter und Liegenschaften eingezogen und die Personen des Landes verwiesen worden. Mein Vater stieß aus russischer Kriegsgefangenschaft hinzu, mit nicht viel mehr „als einer Hose am Arsch“, wie er immer betonte.
Diese Menschen hielten zusammen. Mir sind noch insbesondere die Familien Geng, Kranzler, Gansky, Poslovsky und Kleofaß in Erinnerung geblieben, die alle aus demselben Ort stammten, aus Etyek, oder zu Deutsch „Ödeck“. In meinen Ohren klingt auch heute noch das Lied „Edecker sammer, was mar ham des hamar.“ Sie sprachen und sangen in einem unnachahmlichen Dialekt, der aber mittlerweile ausgestorben zu sein scheint. Diese Familien trafen sich öfter oder auch hin und wieder. Es wurden gegenseitige Besuche gemacht, die immer recht feucht und fröhlich ausfielen.
So kann ich mich noch an eine Begebenheit erinnern, die sich in meiner Heimstatt ereignete. Es war so, dass sich zu diesem denkwürdigen Tag drei Familien (oder waren es vier?) bei uns trafen. Nach einem üppigen Vesper, in landsmännischer Art, mit Paprikawürsten, gerauchtem Speck, Dosenwurst, eingemachtem, wie Zigeunersalat und ultrascharfen Paprika, verabschiedete sich die männliche Seite von der weiblichen Seite in unseren Weinkeller, während die Damen ihre Schwätzchen im Wohnzimmer weiter führten. Im Keller, einem Gewölbekeller aus Sandsteinen, der im Sommer die gleiche Temperatur wie im Winter hielt, ging es derweil zünftig zu. Mein Vater zog den Spunten aus einem der Fässer, steckte einen Weinheber ins Spuntloch und sog ihn voll und spritzte den Wein in die Gläser. Es wurde zugeprostet, getrunken und der nächste Heber gefüllt. Sodann wurde ein Lied nach dem anderen geträllert. „Aber schau, schau, wia`s gieaßt, aber schau, schau, „wia des Wassa üabers Dach ani schieaßt“, „und unserer Großmuadar ihr Kaffeehaferl hau mar zam!“
Ich hatte derweil die Aufgabe, auch die Frauen mit Getränken aus dem Keller zu versorgen, und rannte mit dem steinernen Weinkrug die Kellertreppe rauf und runter. Als ich einige Zeit bei den Damen verweilt hatte, stieg die Stimmung im Keller bei den Männern unüberhörbar. Ich wurde von meiner Mutter angewiesen, mal nach dem Rechten zu schauen. Also machte ich mich wieder auf den Weg in den Keller. Die Kellertür stand offen. Auf den drei Stufen zum Gewölbekeller saßen lustig jubelnde Männer, die nacheinander ihre Münder aufsperrten und mein Vater diesen mit dem Weinheber aus ein, zwei Metern Entfernung in den Rachen spritzte. Natürlich war nicht jeder Schuss ein Treffer, wenn mal was daneben ging wurde das johlend begrüßt. Einer der Männer hatte auf unserem 400 Liter Fass rittlings Platz genommen und führte auf dem Fuß einen wilden Galopp durch den Weinkeller aus. Zumindest sah das so aus. Hierbei hatte er, sozusagen als Zügel einen Schläuchelschlauch im Mund stecken, während das andere Ende im Spuntloch verschwand. „Hüja, Hüja rufend zog er zwischendurch kräftig am Schlauchende. Auf dem Höhepunkt dieser Kellerparty gesellte man sich wieder zurück zu den Damen ins Wohnzimmer, wo die Reste des Vespers verputzt wurden, oder meine Mutter hatte einen Zwiebelkuchen gebacken. Auch wurde emsig die Toilette besucht, um Platz für Neues zu schaffen. Mich schickte man mit dem Weinkrug zum Wein holen in den Keller. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich diesen Weg antrat, aber irgendwann, schon weit nach Mitternacht, sank ich auf mein Bett in meinem Zimmer im ersten Stock. Gerade am Einschlafen ging die Tür auf und das Licht an. Mein Vater trat in mein Zimmer, den Weinkrug in der Hand und ziemlich in Schräglage. Wie gesagt, war mein Zimmer im ersten Stock. Mein Vater drückte mir den Krug in die Hand und forderte in den Weinkeller zu gehen um den Krug noch mal zu füllen. Dann hangelte er sich die Stiege hinunter, und ich machte mich auf den Weg in den Weinkeller. Wie die Sache vollends endete, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich vernahm zu später einen herzlichen, lautstarken Abschied. Dann klatschten die Autotüren, die Motoren brüllten auf und mit quietschenden Reifen ging es nach Hause. Ach ja, die volltrunkenen Männer fuhren alle selbst. Keine der Frauen hatte einen Führerschein oder konnte Auto fahren. Heimgekommen sind sie immer, angehalten wurden sie nie!
Bericht von Uwe Petruschka