„Und dann kam der Krieg!“ – Anatolij (63) hält inne, schaut mich abwartend an. Er und seine Frau Svitlana (57) sitzen mir gegenüber und erzählen mir aus ihrem Leben.
Svitlana hat sich mittlerweile zur „guten Seele“ im BIA-Laden entwickelt. „Ich weiß gar nicht, was ich manchmal ohne sie machen würde“, schwärmt 1. Vorsitzende Karin Geis. Svitlana macht die Arbeit Spaß. Neben dem Laden in Rot engagiert sie sich auch noch bei der Tafel in Walldorf. In ihrer Heimat hat sie in einer Änderungsschneiderei und als Verkäuferin in einem Damenbekleidungsgeschäft gearbeitet. Anatolij greift nach ihrer Hand, lächelt sie an: „Dann hat mir meine Frau eine Tochter geschenkt und musste nicht mehr arbeiten.“
Anatolij selbst ist Anpacken gewohnt. Nachdem der Traum von einer Profikarriere im Kartrennsport geplatzt war, erzielte er im Fernstudium einen Abschluss als Elektrotechniker. Als solcher fand er Arbeit beim Militär und in Autowerkstätten. Wenn es mal nicht so lief, verkaufte er Äpfel auf dem Markt oder arbeitete bei einem Schlüsseldienst. Zuletzt kehrte er wieder in sein eigentliches Fach bei einer Heizungsfirma zurück. – Und dann kam der Krieg!
Kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf sein Heimatland floh er mit seiner Familie aus Charkiw im Osten der Ukraine. Dort hatten sie in Anatolijs Elternhaus gelebt. „Ich weiß, dass dort nur noch die Küche steht. Ich muss alles wieder aufbauen, wenn wir zurückkehren!“ erzählt er mit unerschütterlichem Optimismus.
In Rot fanden sie relativ schnell eine Wohnung, in die jedoch zunächst ihre erwachsene Tochter mit Ehemann und Kind einzog. Die Tochter wiederum knüpfte Kontakte zu einer weiteren Roter Familie, die ihre Eltern bei sich unterbringen konnte. „Unsere Vermieter und ihre Familie sind super!“, erzählt Anatolij strahlend. Lediglich dass diese sich räumlich einschränken mussten, um ihnen ein Zuhause zu bieten, bedrückt ihn und seine Frau ein wenig.
Ihre Tochter verwirklichte ihren lange gehegten Traum und beantragte erfolgreich eine Greencard für die USA. Als freiberufliche Fotografin lebt sie mittlerweile mit Mann und 4-jähriger Tochter – 17 Flugstunden entfernt – auf Hawaii. „Sie und meine Enkelin vermisse ich am meisten“, sagt Svitlana traurig. „Uns bleiben momentan nur Video-Telefonate“.
In Rot gefällt es den beiden: „Die Menschen sind sehr freundlich zu uns. Wir fühlen uns wohl hier.“ Anatolij hat als Hausmeister in einer Wieslocher Schule eine Arbeit gefunden, die ihm Freude macht. Die größte Schwierigkeit für beide ist nach wie vor die deutsche Sprache, aber sie besuchen Sprachkurse und kommen immer besser zurecht.
Am Ende erzählt mir Svitlana: „Nächstes Jahr kommt uns unsere Tochter mit Familie besuchen – vielleicht schon Ende dieses Jahres!“ Und dann geht ein Strahlen über ihr Gesicht, dass einem das Herz aufgeht!
GESUCHT: 3-Zi.-Whng. für eine gut integrierte eritreische Familie
02.07., 18.30 Uhr
www.asyl-st-leon-rot.de