Romantik in der Mörikestraße
Wie dem auch sei. Mehr zu eurer Erheiterung kann ich auch von einer literarischen Begebenheit berichten, die sich wahrhaftig und tatsächlich hier bei uns in der Mörikestraße während des Zeitalters der Romantik zugetragen hat. Eberstadt liegt ziemlich genau in der Mitte zwischen dem Dorf Cleversulzbach, einige Kilometer nordöstlich, und der Stadt Weinsberg, einige Kilometer südwestlich. Der bekannte Oberamtsarzt und Schriftsteller Justinus Kerner lebte und arbeitete seit 1819 in dem Städtchen. Sein Interesse galt auch der Poesie. Da er nicht ganz unvermögend war, konnte er immer wieder einmal poetische Größen dieser Jahre zu literarischen Gesprächen in sein stattliches Haus einladen. Dazu gehörten z. B. Dichter wie Nikolaus Lenau oder Ludwig Uhland. In Cleversulzbach war ab 1834 ein Pfarrer namens Eduard tätig. Dieser war auch ein wenig mit Justinus Kerner befreundet. Eduard war mehr oder weniger unfreiwillig nach seinem Studium am evangelischen Seminar in Urach Pfarrer geworden. Sein Interesse galt mehr der romantischen Dichtkunst und er saß lieber im Pfarrgarten unter den Bäumen, um Gedichte zu ersinnen, als sich um seine Pfarrgeschäfte zu kümmern. Immerhin war es ihm 1836 gelungen, einen Vikar zu bekommen, was für so eine kleine Landpfarrei ziemlich ungewöhnlich war. Dieser Vikar, er hieß Friedrich Schlaich, musste dann die Konfirmanden unterrichten, Traugespräche mit den Brautpaaren führen, Predigten für den nächsten Sonntag bei den Nachbarpfarreien besorgen usw. Eines Tages, es war am Sonntag, 30. April 1837 hatte wieder Justinus Kerner zu einem literarischen Treffen in Weinsberg eingeladen. Da wollte Eduard natürlich dabei sein und machte sich am Morgen auf den Weg. Mit der Sonntagspredigt in der Cleversulzbacher Kirche hatte er vorher seinen Vikar beauftragt. So gegen 10.00 Uhr erreichte er über die Landstraße kommend Eberstadt und bog gleich in den Ortsteil Klingenhof ab. Da ihn in Eberstadt einige Leute kannten, wollte er möglichst nicht vielen begegnen, weil doch Kirchzeit war, und er eigentlich hätte in seiner Kirche predigen sollen. So ging er nicht, wie sonst, auf der Neuenstädter Straße durch die Ortsmitte zur Straße nach Weinsberg, sondern blieb auf halber Höhe am Ortsrand, folgte der Freudenbergstraße, bog ab in die Uhlandstraße und gleich darauf in die Mörikestraße. Hier war die Bebauung damals noch nicht so dicht wie heute. Es gab viele Obstgärten und Streuobstwiesen, weil an einem Nordhang gelegen und dort kein Weinbau betrieben wurde. Die Sonne schien angenehm vom Himmel, ein lauer Wind wehte, die Bienen summten und die Vögel zwitscherten. Da kam es ihm in den Sinn: „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte, süße wohlbekannte Düfte ...“ das Frühlingsgedicht „Er ists“. Am Ende der Mörikestraße war es fertig: „.... Frühling, ja du bists, dich hab ich vernommen.“ Da sagte sich Eduard: „Wenn dieses Gedicht ein Hit wird, dann nenne ich mich zukünftig Eduard Mörike.“ Und so kam es. Das Gedicht kam gut an, stand in vielen Schulbüchern, und fast alle Schulkinder haben es auswendig aufsagen können. Eduard Mörike wurde ein berühmter Dichter. Und ihr dürft nun staunen, welches weltbewegendes Ereignis es bei uns schon gegeben hat.