Redaktion NUSSBAUM
76669 Bad Schönborn
„Vom Rassenwahn zum Massenmord“

Dr. Andrea Hoffend referierte in Bad Schönborn

Ihr Vortrag, bei dem es nur am Rande um die frühen Lager wie Kislau gehen sollte, setzte schon mit den Kreuzzügen im 12. Jahrhundert ein.
Der Rassenideologe Arthur de Gobineau schrieb ein Buch über die Ungleichheit der Menschenrassen.
Der Rassenideologe Arthur de Gobineau schrieb ein Buch über die Ungleichheit der Menschenrassen.Foto: cm

„Vielleicht geschieht noch das Wunder und wir bekommen den Lernort Kislau“, war die Hoffnung von Pfarrerin Luise Helm bei der Begrüßung der Gäste zu einem Vortrag, der am vergangenen Donnerstag im Gemeindesaal der evangelischen Gustav-Adolf-Kirche in Mingolsheim stattfand. Am 27. Januar 1945 erfuhr die Welt von den Schrecken des Völkermords, der von den Nazis und ihren Verbündeten ausging. Aber Rassismus gab es in Deutschland schon lange vor der NS-Zeit, und er endete auch nicht nach 1945. Die Referentin Dr. Andrea Hoffend hatte sich als Politikwissenschaftlerin und Historikerin intensiv mit der Kulturbeziehung zwischen Italien und Deutschland beschäftigt und auf Wunsch der Nazis sei auch das Thema Rassenpolitik ein Teil des 1938 geschlossenen Kulturabkommens gewesen.

Kreuzzüge im 12. Jahrhundert

Doch ihr Vortrag, bei dem es nur am Rande um die frühen Lager wie Kislau gehen sollte, setzte schon mit den Kreuzzügen im 12. Jahrhundert ein, die, wie sie meinte, eine Zäsur darstellten. Bis dahin habe es in der europäischen Diaspora ein friedliches Zusammenleben mit den Juden gegeben. Doch auf dem Weg ins Heilige Land, wo die Muslime christianisiert werden sollten, wurden auch die Juden aus ihren Synagogen gedrängt und lebten ab dann in vielerlei Hinsicht eingeschränkt. Viele hätten sich jedoch sogar umgebracht, weil sie sich nicht christianisieren lassen wollten, erklärte Hoffend. Martin Luthers Schriften seien Antijudaismus pur gewesen und das Judentum eine nicht gewünschte Religion. Mitte des 19. Jahrhunderts versuchten Forscher dann weltweit, die Menschen in verschiedene Rassen einzuteilen. Der Schriftsteller Arthur de Gobineau, der vier Bücher zu diesem Thema verfasste, unterschied zwischen einer weißen, gelben und schwarzen Rasse, wobei er die weiße als arische Ur-Rasse für die Überlegene hielt. Seine Theorien, die großen Anklang fanden, wurden vom Briten Houston Steward Chamberlain, der die Juden zum Hauptfeind der arischen Ur-Rasse erklärte, auf ein neues Level gehoben. Er heiratete übrigens die Tochter des Komponisten und überzeugten Antisemiten Richard Wagner. Für die Sozialdarwinisten war der Rassenkampf und die natürliche Auslese gar ein Naturgesetz. „Die Reihe der Pamphlete und Schriften ließe sich endlos fortsetzen“, so Hoffend, und so habe es schon vor 1880 die Verschwörungstheorie gegeben, dass das Judentum die Weltherrschaft erlangen möchte.

„Verfeinert wurde dies noch durch den Hof- und Domprediger Christian Adolf Stöcker und Mitbegründer der Berliner Bewegung durch die Stöcker’sche Umklammerungstheorie, in der behauptete wurde, dass die Juden von oben und unten angreifen“, erklärte sie – das Finanzjudentum von oben und die Arbeiterbewegung von unten. Nicht unerwähnt ließ die Historikerin, dass nicht nur die Juden als nicht vollständige Menschen gesehen wurden, sondern auch die Herero in der Kolonialzeit zu Hunderten ermordet wurden und in ersten Konzentrationslagern untergebracht wurden.

Auf fruchtbaren Boden fielen alle kruden Theorien in der Weimarer Republik in Zeiten der Dolchstoßlegende. Viele der Politikermorde von 1918 bis in die 20er-Jahre betrafen Juden.

Die Zeit der Nationalsozialisten

Damit war Hoffend auch schon in der Zeit der Nationalsozialisten und den Nürnberger Rassengesetzen angekommen. Die Nazis verbreiteten über alle Kanäle, dass die Juden die Totengräber der Nation seien. Zu ihrem Vortrag hatte Hoffend viel Bildmaterial auch aus Baden mitgebracht, wie Plakate zu Wahlen, „Freifahrscheinen“, wie sie damals in Briefkästen landeten, Stereotypen, mit denen Juden dargestellt wurden und sie ging auch kurz auf Kislau ein. Der Vortrag endete mit einem Zitat Erich Kästners. „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“ Ein Sinnbild, mit dem der Verein Lernort Kislau verdeutlicht, dass es die Anfänge zu verhindern gilt. In einer anschließenden Diskussionsrunde konnten die Zuhörerinnen und Zuhörer noch Fragen stellen. „Es ist erschreckend, dass es nur wenige Jahre dauerte, bis die Nazis ihr Ziel erreichten“, betonte Luise Helm.

Bürgerforum heute

In einem Bürgerforum am heutigen Donnerstag, 6. Februar, im Haus des Gastes, Kraichgaustraße 10, um 18 Uhr geht es um das Thema „Der Lernort Kislau kommt – was steckt dahinter?“. Mit einer Summe von 1,8 Millionen hat der Landtag Baden-Württemberg die Finanzierung des Gebäudes gesichert. Alle Interessierten sind dazu eingeladen, sich über die Planung zu informieren und mit den haupt- und ehrenamtlichen Aktiven in einen Dialog zu treten. (cm)

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Bad Schönborner Woche
Ausgabe 06/2025

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04.02.2025
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