Kulturtreff Alter Bahnhof Neulußheim
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Dreist ist dreist – und begeistert grenzenlos – 20 Jahre Kulturtreff Alter Bahnhof e. V.

„Einmal um die ganze Welt“ – dieses „christliche Lied – von Karel Gott“ war programmatischer Überbau eines turbulenten Trips auf Zickzackroute...

„Einmal um die ganze Welt“ – dieses „christliche Lied – von Karel Gott“ war programmatischer Überbau eines turbulenten Trips auf Zickzackroute von Neulußheim nach New York: Das grundverrückte Trio „Dreist“ nahm am vergangenen Freitagabend seine fast 300 Gäste von der Rolf-Heidemann-Halle mit in ein musikalisches, wie dramatisches Drunter und Drüber, das am Ende nicht nur eine glückliche Notlandung, sondern auch ein durch und durch hingerissenes Publikum zurückließ.

Dass es sich dabei keinesfalls um einen „Billigflug über einen Sparanbieter“ handelte, machen schon die Namen der drei Flugbegleiterinnen klar. Die vielumjubelte Sängerin Ira Diehr ist – insbesondere im Duo mit Matthias Hautsch – mit ihrem zwischen groovy und funky changierenden Stil bestens bekannt und höchst beliebt und schlüpfte eigentlich nur ersatzweise, dabei aber grandios routiniert und erfolgreich, in die Rolle der Elisabeth Gracias Olè, die eigentlich von Silvia Dias gegeben wird. Die „singende Lehrerin“ Julia Vukelic, die man auch mit zahlreichen anderen Projekten wie beispielsweise „Mo’Acoustic“ mit den beiden Gitarristen Chris Kern und Mathias Loris hören kann, gab die mal grantige, mal liebevolle „Pursurette“ Desire Spekt. Und „Frau Antje“ Schumacher, die in der Vier-Sterne-Gemeinde so etwas wie ein Heimspiel hatte, ergänzte mit ihrer ulkig-trashigen Performance als „durchgeknallte Alte“ Irmgard Bohne. Zusammen war „Dreist“ ein Triptychon aus musikalischer Größe, gewitzter Show und gnadenlos komischer Darbietung – der Altar, auf dem eine ganze Epoche neue Heiligkeit feiern konnte: „Sind wir Kinder der 80er?!“

Auch der angebliche „Sparanbieter“ war allenfalls bei seinen Preisen beim Bord-Catering billig. Der „Kulturtreff Alter Bahnhof e. V.“, 14 engagierter Bürger, die dem alten Gemäuer erst seine wahre Seele einhauchen, hat den durchgeknallten Jet-Set sich und seinen Mitbürgern zum Geburtstag geschenkt: Seit 20 Jahren fungiert die Truppe – heute um Gisela Birk und Anja Marquetant-Herre – als Seele des Kulturzentrums und hat den Neulußheimern zwei Jahrzehnte Kunst, Kultur und Musik geschenkt. Was sie, wie Birk in ihrem kurzen Intro versicherte, auch weiter tun werden. Auch in Zukunft wird man anpacken, kreative Ideen umsetzen und das Vereinsmotto beackern: „Kultur muss bezahlbar bleiben“. Sagts und schenkt den Geburtstags-Sekt für einen Euro aus.

Die Korken knallten auch auf der Bühne reichlich. Nicht nur in einer Suff-Szene im Cockpit der „ReiherAir“-Maschine, die als Prüfungsflug-Szenario für Elli als „die Neue“, die von der Schwimmübung bis zum Showact alles aufbieten musste, um festes Mitglied an Bord werden zu können, herhielt, sondern faktisch in jeder einzelnen Nummer zwischen Begrüßung, Sicherheitseinweisung, Unterhaltungsprogramm, Zwischenlandung, Piloten-Amüsement, Baby-Animation, Notlandung und Ziel-Flaniermeile: zwei Stunden knallvolles Showprogramm, das an die großen Revuen vergangener Tage ebenso erinnerte, wie an die Klamauk-Könige der selben Zeit. Da gibt das Trio mal einen Requisiten-Reigen zum Vico-Torriani-Gassenhauer „Kalkutta liegt am Ganges“, dann eine Länderkunde Ägypten mit einem abgefahrenen Remake des Bangles-Hits „Walk Like an Egyptian“. Eben wirft sich die immer hart an der Irrsinns-Grenze agierende Antje Schumacher in „Baywatch“-Manier in die Presche, führt mit einer urkomischen Inder-Persiflage durchs Bord-Menü „mit mehrere Ganges und Backwar’n“, dann garniert sie das abgefahrene Bord-Entertainment im Schulmädchen-Outfit wie dereinst Britney Spears mit „Baby one more Time“ oder kaspert zum glanzvoll inszenierten Crew-Tanz, mit dem Diehr und Vukelic zu Helen Fischers „Flieger“ ihr Gesangstalent einmal mehr beeindruckend unter Beweis stellten.

In der Comedy-Flugshow haben die drei Ausnahmetalente wirklich alles unter einen Hut gebracht, was man sich für gelungenes Abend-Entertainment wünschen kann: Nervenkitzel, Überraschung, großartige Stimmen, gewitzte Einlagen und eine wahre Hit-Parade – der johlende Beifall zwischen einer jeden Nummer war Beweis für den Ankommer.

Highlights waren dabei ohne Frage die „Musik ist Trumpf“-Episode, in der „Heidi“, Mireille Mathieus Schlagerhit „Akropolis Adieu“, ein ultrakomisches „Felicità“, mit dem Al Bano und Romina Power auferstanden, und ein rassiges „Nel blu, dipinto di blu“ („Volare“) sich auf neckische Weise verschränkten und die Nummer mit „Kapitän Christian Schmidt“, bei der der aus dem Publikum auf die Bühne zitierte Aushilfs-Pilot die drei Künstlerinnen mit seiner grandiosen eigenen Show glatt aus dem Konzept brachte: Peggy Marchs „I will follow Him“ in einer noch überraschenderen Variante als seinerzeit bei „Sister Act“.

Als die Crew nach der Notlandung, bei der Gloria Gaynors Hammer aus 1978 „I will survive“ nicht nur in einer reizvollen Swing-Abwandlung zu hören war, sondern partiell zum Engelschor mutierte, den Big Apple mit einer tatsächlich dreisten Mischung aus Udo-Jürgens-Schlager, Rio-Trio-Partysong und Frank-Sinatra-Revival beschwor, waren Gastgeber wie Gäste gleichermaßen aus dem Häuschen: „Dreist“ servierte einen Flugtrip erster Klasse und die begeisterten Reisenden hoffen, das war nicht Nevercomeback-Airlines.

(hel)

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Ausgabe 16/2025

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