„Der Mensch ist erst dann tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.“ Dieses Zitat wird dem bekannten Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht zugeschrieben. Mit dem Wegwerfen von Fotografien bei Haushaltsauflösungen oder dem Abräumen alter Grabstätten verschwindet zumeist die Erinnerung an die Personen, die einstmals in einem Ort lebten. Auch auf dem Hohengehrener Friedhof findet man so gut wie keine alten Grabsteine mehr, einer der wenigen sticht jedoch durch seine kunstvolle Gestaltung und seinen wie neu wirkenden Zustand sogleich ins Auge. Die Inschrift des über 100 Jahre alten Grabsteins weist darauf hin, dass Eltern zwei ihrer Kinder Anfang 1920 innerhalb weniger Wochen verloren hatten: Hier ruhen uns. lb. Kinder Robert Roos geb. 10.3.1903 gest. 11.2.1920 Pred. 12. V. 1. Wilhelmine Roos geb. 2.5.1894 gest. 19.3.1920 Hebr. 13. 13. V. 9. Was kann man nach so langer Zeit über besagte Eltern und ihre Kinder in Erfahrung bringen? Ein Blick in die Kirchenbücher und Familienregister gibt einen wenn auch unzureichenden Einblick in die Biografien.
Der Straßenwart und Schuhmacher Daniel Roos, geboren 1861 in Hohengehren, und seine aus Weiler stammende knapp sieben Jahre jüngere Ehefrau Wilhelmine, geb. Bühler, gaben sich am 8. Juli 1893 in der Schurwaldgemeinde das Jawort. Es folgten in den Jahren 1894 bis 1906 sieben Kinder, vier Knaben und drei Mädchen, drei der Kinder verstarben jedoch bereits im Säuglings- oder Kleinkindalter, ein damals viele Eltern betreffendes Schicksal. Im Ersten Weltkrieg wurde der nach seinem Vater benannte älteste Sohn (Jahrgang 1895) am 20. Mai 1915 zum Militär einberufen und geriet im September 1917 in französische Gefangenschaft. Erst im Februar 1920 heimgekehrt, kam er wohl noch rechtzeitig zur Beerdigung seiner zwei Geschwister Robert und Wilhelmine.
Wer waren die beiden so früh Verstorbenen? Der 16-jährige Paul Robert Roos, Eisenbahnarbeiter auf der Verladestelle Plochingen, war am frühen Morgen des 11. Februar 1920, 5 ½ Uhr, im Plochinger Johanniterkrankenhaus infolge eines vier Monate dauernden Lungenleidens „mit hinzugekommenem Schlaganfall“ gestorben. Er wurde drei Tage später, nachmittags um 2 Uhr, bestattet, die Leichenpredigt hielt der damalige Ortspfarrer Gotthilf Elwert. Einen Monat danach musste am frühen Nachmittag des 21. März ein weiteres Kind des Ehepaars Roos in Hohengehren zu Grabe getragen werden. Die als Fabrikarbeiterin in der Reichenbacher Weberei Otto beschäftigte Wilhelmine (Mina) Pauline Roos war zwei Tage zuvor, „vormittags ½ 10 Uhr“, verstorben. Todesursache war ebenfalls ein Lungenleiden, an dem die junge Frau über ein Jahr gelitten hatte. Auch diesmal spendete Pfarrer Elwert den trauernden Angehörigen geistlichen Trost. Die ledige Wilhelmine hatte übrigens im Mai 1918 einen Knaben zur Welt gebracht, der diese jedoch Anfang Juni 1921 mit drei Jahren aufgrund einer Tuberkuloseerkrankung wieder verlassen würde. Der Bruder der beiden verstorbenen jungen Menschen, der Weltkriegsteilnehmer Karl Daniel Roos heiratete erstmals am 16. September 1922 in seinem Geburtsort die aus Köngen stammende und seit einem guten Jahr verwitwete Marie Luz, Mutter zweier Mädchen. Nach dem Ableben der ersten Gattin am 24. Februar 1937 ging Roos im Jahr darauf ein zweites Mal eine Ehe ein. Die Gattin Marie Maier stammte aus Hochdorf, die Trauung fand auch dort am 16. Juni 1938 statt. Roos starb 73-jährig am 4. September 1968 in Hohengehren, ein gutes Jahr nach seiner Ehefrau. Seine Schwester Marie Anna, am 16. September 1904 in Stuttgart zur Welt gekommen, heiratete am 5. September 1931 bürgerlich, am 3. Oktober kirchlich den aus Denkendorf gebürtigen 25-jährigen Fabrikarbeiter Heinrich Mack.
Das Leben von Daniels und Maries Mutter hatte Mitte Oktober 1924, das ihres Vaters am frühen Morgen des 9. Oktober 1939 aufgrund Altersschwäche geendet. Ihre Grabstätte existiert nicht mehr - im Gegensatz zu der ihrer beiden Kinder Robert und Wilhelmine. (auh)