Zwangsheiraten sind abzulehnen, sie sind keine gute Sache, weil Liebe, Respekt und Verständnis nicht per Urkunde erteilt werden können. Zwischen Menschen sowieso, aber auch sonst stellen sie nicht zwingend eine gute Grundlage für ein harmonisches Miteinander dar. Es war die Gemeindereform, die 1975 die selbstständigen Kommunen Leinfelden, Echterdingen, Stetten und Musberg in eine neue Stadt zwang – schon die Findung des Stadtnamens löste höchste Emotionen aus und war der erste Streit in der verordneten Muss-Ehe. Er wurde immerhin gelöst, aber die Stadt-Philosophie der Dezentralität war als Konsequenz daraus die Folge dieser unfreiwilligen Gemeinschaft – und die Älteren standen mit der neuen Stadt auf Kriegsfuß, die größten Spannungen gab es zwischen den Echterdingern und den Leinfeldern, weshalb besonders die Alteingesessenen es ablehnten, irgendetwas mit den anderen gemein zu haben. „Wir gehen nicht zu den Leinfeldern, sagte meine Oma immer wieder – und die brauchen auch nicht zu uns kommen“, erinnert sich Jürgen Kemmner an die lange anhaltenden Nachgeburtswehen.
Also musste jeder Stadtteil peinlichst genau bedacht sein im täglichen kommunalen Leben, damit sich ja niemand aus Musberg, Stetten, Echterdingen und Leinfelden in seinen Interessen diskriminiert fühlte – denn die Menschen fühlten sich nicht als Leinfelden-Echterdinger, sondern als Bürgerinnen und Bürger ihres Stadtteils. Erfreulicherweise heilte die Zeit die Wunden der Geburt, auch wenn Jahrzehnte verstrichen – nur ein Beispiel: Noch lange wurde von der Verwaltung akribisch darauf geachtet, dass Gemeinderatssitzungen alternierend in allen vier Stadtteilen abgehalten wurden, um nur kein Gefühl der Benachteiligung entstehen zu lassen. Mittlerweile ist auch dieses Relikt des penetranten Dezentralisierungsgedanken verflogen. Tatsächlich dürfen wir heute behaupten: 50 Jahre nach der Zwangsgründung ist bei den Menschen in Leinfelden-Echterdingen ein Gemeinschaftsgefühl entstanden. Und darauf dürfen wir bei diesem Jubiläum, das wir am Wochenende feiern, ganz besonders stolz sein.
Dieses Miteinander hat auch den Gemeinderat erfasst. Es mag hie und da noch genauestens beäugt werden, wenn ein großes Projekt in einem der Stadtteile beschlossen werden soll, aber Worte wie „und was bekommt dann Stadtteil X im Gegenzug dafür?“ sind nicht mehr zu hören. Das war selbst vor 20 Jahren noch anders. Bei den Gemeinderatswahlen 2024 war es deshalb weder der Liste Engagierte Bürger noch Demokratie in Bewegung wichtig, aus welchen Stadtteilen die Kandidatinnen und Kandidaten stammten. Leinfelden-Echterdingen, das sind wir, auch wenn wir uns in unserer tiefsten Identität als Echterdinger, Musberger, Stettener oder Leinfelder fühlen. Und das dürfen wir auch, solange wir das Große und Ganze nicht dahinter anstellen.
Wir sind gemeinsam Leinfelden-Echterdingen, wir feiern gemeinsam 50 Jahre unserer Stadt – die kommunale Zwangsehe hat etwas ausgesprochen Gutes hervorgebracht. Denn auch der Name ist schließlich und endlich ein kleines Geschenk. Wer kann schon behaupten: Ich komme aus LE!