Ob es eigentlich in Öhringen und in der Lebenswelt der Schüler/-innen der Richard-von-Weizsäcker-Schule Antisemitismus gebe, fragte sich Albert Maisborn, stellvertretender Schulleiter, bei der Begrüßung von Dr. Michael Blume, dem Beauftragten der Landesregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben in Baden-Württemberg. Dabei machte er den über 200 anwesenden Schülerinnen und Schülern sofort unmissverständlich klar, dass diese Frage rhetorisch gemeint war: „Denn Antisemitismus begegnet uns heute in allerlei Formen von Verschwörungstheorien und Hasstiraden gegen andersdenkende Menschen.“ Und daher sei der Vortrag von Michael Blume von beunruhigender Aktualität. Daran schloss der Gast aus Stuttgart in seinem Vortrag direkt an – obwohl es eigentlich kein Vortrag war, den er den gespannt Zuhörenden bot, sondern engagiertes Statement, interessierten Dialog mit seinem jungen Publikum und erhellendes Erklären von Zusammenhängen; beispielsweise demjenigen zwischen dem von den „antisozialen Medien“ gefördertem Gefühl der Unzufriedenheit und den daraus resultierenden Empörungsäußerungen und medialen Beleidigungen. Wie immer schon in der Geschichte böten sich Jüdinnen und Juden als willkommene Projektionsfläche für alles Übel dieser Welt, obwohl die meisten Menschen mit einem solchen Weltbild noch nie mit einem jüdischen Menschen gesprochen haben. „Aber“, so rief Michael Blume den Öhringer Jugendlichen zu, „der Hass, der mit den Juden beginnt, endet nie mit den Juden.“ Es gehe ihm gerade nicht darum, Partei für eine bestimmte Gruppe zu ergreifen und sich schützend vor sie zu stellen: „Es geht um Sie, es geht um uns“, fügte Blume hinzu und machte deutlich, dass der Hass auf eine bestimmte Gruppe von Menschen in letzter Konsequenz die Demokratie zerstört.
Gespannt hörten die Schüler/-innen Blume zu, als er davon erzählte, wie er mit einem multinationalen Team über tausend Jesidinnen aus dem Irak und somit aus den Fängen des Islamischen Staats rettete – und dass es zu seinen bewegendsten Erfahrungen gehöre, wie sich Menschen aus der Türkei, Israel und Deutschland, Menschen mit unterschiedlichen Religionen oder gar keiner Religionszugehörigkeit gemeinsam diesem Projekt verschrieben hatten. Darum seien sie von vielen Irakern beneidet worden: Jenseits von Trennlinien gemeinsam zu agieren!
Aber die Öhringer Schüler/-innen hatten auch viele Fragen an den Landesbeauftragten gegen Antisemitismus: Wie die deutsche nationale Identität denn angesichts der jüngeren deutschen Geschichte positiv definiert werden könne, lautete beispielsweise eine der Fragen; und eine andere bezog sich darauf, wie man denn ganz konkret auf antisemitische oder rassistische Äußerungen im Alltag reagieren könne und solle. Michael Blume griff diese Impulse auf und ermutigte die Jugendlichen, sich positiv zu ihrem Land zu stellen: Niemand müsse sich schämen für etwas, an dem man keine persönliche Schuld habe, aber jede und jeder sei aufgerufen, dafür zu sorgen, dass sich solche Schuld nicht wiederhole – auch in Alltagsgesprächen, wo es auf den Dialog ankomme, und nicht auf Konfrontation.
Und so kam es auf dem Podium in der Aula der Öhringer Richard-von-Weizsäcker-Schule zu einem lebendigen Austausch und vielen Erkenntnissen und Einsichten. Bei seinem Schlusswort zitierte Albert Maisborn den Namensgeber der Schule, der bereits in seiner berühmten Rede vom 8. Mai 1985 den Zusammenhalt der Demokraten beschworen hatte. Die eineinhalb Stunden mit Dr. Michael Blume seien eine beeindruckende Unterrichtseinheit über das Wesen der Demokratie gewesen – und über das, was diese bedroht, resümierte Albert Maisborn. Viele Schüler/-innen zeigten sich beeindruckt von Michael Blumes Engagement für die Gesellschaft von morgen, in der die Jugendlichen von heute leben und die sie prägen werden.