Während des Neckargemünder Abendbummels öffnete das Museum seine Türen – und es wurde ein Rundgang, der weit mehr bot als eine Abfolge von Vitrinen und Exponaten. Unter der Leitung von Museumsguide Armin Fenner entstand ein lebendiger Streifzug durch Jahrhunderte: von der Eiszeit über das Mittelalter bis zur jüngeren Stadtgeschichte.
Besondere Akzente setzte dabei die aktuelle Sonderschau „Invasive Art – im Fluss der Zeit“, in der die Künstlerinnen Sabine Friebe-Minden, Sabine Schreier und Angelika Wild-Wagner ihre Werke gelungen in die Dauerausstellung integriert haben. So entstand ein spannendes Dialogfeld zwischen Kunst und Geschichte.
Der Auftakt erfolgte im ersten Museumsraum, wo ein Bild die alte Neckarschleife zeigt, die sich einst um den Hollmuth wand. Geologische Befunde belegen: Im ältesten Pleistozän führte der Ur-Neckar Sand, Kies und fossile Knochen mit sich – darunter auch den berühmten Unterkiefer des Homo heidelbergensis, heute das älteste bekannte menschliche Zeugnis Europas und in den ehemaligen Neckarsanden in Mauer entdeckt. Armin Fenner verstand es, die nüchternen Fakten mit Geschichten zu verweben, sodass die Besucherinnen und Besucher die Flusslandschaft beinahe vor Augen sahen.
Alte Maße und scharfe Waffen
Besonders anschaulich wurde die Führung, wenn Fenner auf einzelne Ausstellungsstücke einging. Ein „Klafter“ etwa – das alte Längenmaß, abgeleitet von der Spannweite ausgestreckter Männerarme – demonstrierte er mit eigenen Bewegungen. Die Hellebarde wiederum, eine Hieb-, Stich- und Stoßwaffe des Mittelalters, beschrieb er als „fürchterlich effektiv“ gegen Ritterrüstungen.
Konrad von Marburg – Richter Gnadenlos
Nicht weniger spannend waren Fenners Ausführungen zur frühen Inquisition. Lange vor der großen Hexenverfolgung (1550–1630) sorgte bereits Konrad von Marburg (1185–1233) für Angst und Schrecken. Als Beichtvater von Elisabeth von Thüringen überwachte er ihre Frömmigkeit mit unerbittlicher Härte und körperlicher Züchtigung.
Sein Fall endete spektakulär: Als er Heinrich III. von Sayn, den Pflegevater von Elisabeths Töchtern, als Ketzerfreund anklagte, erreichte dieser die Verhandlung vor einem Reichsgericht in Mainz. Dort konnte er sich durch Eidhelfer freisprechen. Für Konrad von Marburg bedeutete dies eine Niederlage – kurz darauf wurde er auf dem Heimweg bei Hof Capelle bei Marburg erschlagen. Fenner sprach sichtlich bewegt über die Grausamkeit solcher Inquisitoren, die den Boden für spätere Hexenprozesse bereiteten. „Eine Million Frauen“, so seine Worte, „wurden Opfer von Verfolgung und Folter“.
Auch Persönlichkeiten der Region bekamen ein Gesicht. Beim Kachelbild von Kurfürst Rupertus I. (1309–1390), dem Gründer der Heidelberger Universität, verwies Fenner auf die Doppelgesichtigkeit des Dargestellten: das „gute“ Wirken und das „böse“, symbolisiert in Fratzen an seiner Beinbekleidung.
Kurfürst Carl Theodor, so erzählte er mit ironischem Unterton, ließ für teure Jagdgesellschaften Teile des Herrenbergs roden und das Wild in den Neckar treiben. 80.000 Gulden kostete der Spaß – während das repräsentative Stadttor, das ihm zu Ehren errichtet wurde, vergleichsweise günstige 2.500 Gulden verschlang.
Fischer, Arme und der Bettelvogt
Wie die Menschen im 19. Jahrhundert lebten, illustrierte Fenner anhand von Fischerei und Gesteinsabbau. Noch 1816 zählte Neckargemünd 74 hauptberufliche Fischer und 45 Gesellen – doch sie gehörten zu den ärmeren Schichten. Einblicke ins städtische Leben gaben auch Begriffe wie der Bettelvogt: ein Beamter, der regelte, wer um Almosen bitten durfte, und somit als Aufseher über die Armen fungierte. Praktisch wurde es bei der Fischreuse. Mit einem Augenzwinkern ließ Fenner die Besucher raten, wie sie im Wasser auszurichten sei – stromaufwärts natürlich, denn so schwimmen die Fische geradewegs in die Falle.
Das „Jahr ohne Sommer“ und seine Folgen
Besonders eindrücklich verband Fenner Weltgeschichte mit Lokalgeschichte. Der Ausbruch des Vulkans Tambora 1815 verursachte das „Jahr ohne Sommer“ mit Hungersnöten, Aufständen und sozialen Unruhen. Kartoffeln auf dem Weg in die Schweiz wurden von hungrigen Menschen abgefangen, Studenten hielten das Wartburgfest ab, und bald folgten die Karlsbader Beschlüsse, die jede liberale Regung im Keim erstickten. Auch Erfindungen entstanden aus der Not: Weil es an Futter für Pferde mangelte, wurden sie massenhaft geschlachtet. Karl von Drais reagierte 1817 mit seiner Laufmaschine, der Draisine – dem direkten Vorläufer des Fahrrads.
Schiffe, Esel, Neckar und Rhein
Auch die Flussschifffahrt hatte ihren Platz: Die sogenannten „Neckaresel“ zogen Lastkähne, manchmal bis zu neun auf einmal, den Fluss hinauf. Dazu kam die Treidelschifffahrt mit Pferden. Johann Gottfried Tulla ließ den Oberrhein, genauer gesagt die Strecke von Basel bis Bingen, bereits 1817 bis 1870 begradigen und verkürzen, um den Hochwasserschutz zu verbessern, Siedlungsflächen zu gewinnen und den Fluss schiffbarer zu machen. Der Ausbau des Neckars zur Großschifffahrtsstraße begann 1921 mit dem Bau von Staustufen, und 1956 war die Strecke bis Stuttgart kanalisert.
Die Ära Menzer – Weinkultur in Neckargemünd
Zum Abschluss richtete sich der Blick auf das 19. und frühe 20. Jahrhundert, in dem die Familie Menzer die Stadt prägte. Julius Menzer, Weinhändler und Reichstagsabgeordneter, betrieb eine Weinhandlung mit griechischem Wein und schuf mit der Villa Menzer und dem Menzerpark bleibende Spuren im Stadtbild. Auch die legendäre „Griechische Weinstube“ ist untrennbar mit dieser Ära verbunden.
Kunst trifft Geschichte
Immer wieder verwob Fenner die Kunstwerke der drei Künstlerinnen mit der Stadtgeschichte. Sie spiegelten Themen wie Fluss, Natur und Wandel, setzten Akzente zu historischen Exponaten und öffneten neue Perspektiven. So entstand ein Dialog von Vergangenheit und Gegenwart, der den Rundgang besonders machte.
Mit Leidenschaft, Wissen und Humor führte Armin Fenner durch die Ausstellung. Er erzählte Geschichten, die weit über die Vitrinen hinausführten, verband Geologie mit Menschheitsgeschichte, große Politik mit lokalem Alltag, und historische Grausamkeit mit künstlerischer Reflexion. Die Besucherinnen und Besucher hätten ihm wohl noch stundenlang zuhören können – so lebendig wurde Neckargemünder Geschichte an diesem Abend. (du)