Qualmende Kohlenmeiler haben einst das Nassachtal geprägt, das der Industrialisierung die benötigte Holzkohle für die hungrigen Maschinen geliefert hat. Bisher zeigten die Köhlertage im Sommer ein Mal im Jahr den mühseligen und dreckigen Prozess der Holzkohle-Herstellung. Ab sofort aber ist diese Tradition das gesamte Jahr über zu sehen – auch ohne Ruß und beißenden Rauch. Denn in Baiereck steht ein Schaukohlenmeiler. Zur offiziellen Weihe am Samstag, 27. September, ist die Bevölkerung eingeladen.
Uhingen. „Es ist ein besonderes Gefühl, dass nun wieder das ganze Jahr ein Kohlenmeiler im Nassachtal steht, so wie es seit vielen Jahrhunderten meine Vorfahren erlebt haben“, sagt Ortsvorsteher Vincent Krapf, der einer Köhlerfamilie entstammt und heute noch gemeinsam mit seinem Vater Thomas und Bruder Maurice die Familientradition der Köhlerei am Leben erhält. Gemeinsam mit den Mitgliedern des Ortschaftsrates Nassachtal-Diegelsberg, dem Bürgerverein Nassachtal-Diegelsberg und den Köhlerfamilien Hees und Krapf war der 29-Jährige die vergangenen Monate mit dem Bau der Nachbildung beschäftigt.
Die Idee des Schaukohlenmeilers auf einer ehemaligen Kohlplatte in Baiereck – vor 150 Jahren gab es um die 30 Kohlenmeiler im Nassachtal – wurde bereits im Ortschaftsrat Nassachtal-Diegelsberg unter der Führung des damaligen Ortsvorstehers Eberhard Hottenroth in der vorangegangenen Legislaturperiode (2019 bis 2024) ins Leben gerufen und vom auf ihn folgenden Ortsvorsteher Andreas Herfort weiter vorangetrieben. „Schon vor vielen Jahren hatte mein Vater den Gedanken, den zerfallenen Backsteinmeiler auf der alten Kohlplatte mit einem Monument zu ersetzen, das die Holzkohleherstellung im Tal würdig symbolisiert“, erinnert sich der stellvertretende Ortsvorsteher Volker Krapf, der bereits während der Planung des Schaukohlenmeilers Teil des Ortschaftsrats war. Das Ziel war es, die traditionelle Holzkohle-Herstellung ganzjährig und anschaulich darzustellen. „Die Produktion der Holzkohle hat einst die Menschen im Nassachtal ernährt“, weiß Uhingens Bürgermeister Matthias Wittlinger. „Deshalb ist es sinnvoll, an diesen wichtigen Teil der Geschichte des Nassachtals und somit auch der Entwicklung Uhingens zur Stadt zu erinnern.“
Während die Stadt das Vorhaben mit dem Bau eines Holzpavillons unterstützt hatte, baute der Ortschaftsrat unter Eigenregie mit den Köhlerfamilien Hees und Krapf den Schaukohlenmeiler auf. Außerdem wurden Schilder entworfen und angebracht, auf denen die Geschichte der Köhlerei im Nassachtal und der Herstellungsprozess skizziert werden. Um zu zeigen, welches Material und welche Werkzeuge die Vorfahren der Nassachtäler Tag für Tag benötigt haben, wurden auch diese zusammengetragen und um den Meiler zum Erleben angebracht. „Hier ist ein regelrechtes Freilichtmuseum entstanden“, lobt der Nassachmühler Ortschaftsrat Jens Schwarz die Arbeit der vergangenen Monate. Schwarz hat durch seine jahrzehntelange hauptberufliche Tätigkeit in der Wilhelma viel Erfahrung in der Modellierung von Landschaften. Entsprechend war er für die Auswahl der Materialien und die Planung der täuschend echt aussehenden Nachbildung des Schaukohlenmeilers verantwortlich.
„Der Schaukohlenmeiler ist nicht nur für Uhingen von großer Bedeutung“, betont Bürgermeister Matthias Wittlinger, „sondern auch für den gesamten Landkreis Göppingen und über dessen Grenzen hinaus“. Denn durch den vier- bis siebenfach höheren Brennwert von Holzkohle im Vergleich zu Holz konnte so viel Hitze entstehen, die beim Schmelzen von Eisen nötig ist. „In Zeiten der Industrialisierung wurde die Nassachtaler Holzkohle als Brennstoff ins gesamte Filstal und Teile des Neckartals geliefert – von der WMF in Geislingen über die Fabriken Bad Cannstatts bis zu den Eisengießereien in Ludwigsburg“, sagt Ortsvorsteher und Köhler Vincent Krapf.
Entsprechend der Bedeutung dieser Tradition wird die Einweihung des Schaukohlenmeilers an der Straße Am Kugelrain am Samstag, 28. September, um 14 Uhr gefeiert. „Wir hoffen“, ergänzt Krapf, „dass viele Menschen mit uns dieses besondere Ereignis begehen wollen.“
Info: Die erste urkundliche Erwähnung einer Köhlerei im Nassachtal ist aus dem Jahr 1583 datiert. Mit der Ansiedlung der Glasbläser-Familie Greiner im Jahr 1450 stieg der Bedarf an Holzkohle, es begann die 100-jährige Blütezeit des Tals durch die Einnahmen der wohlhabenden Glasbläser. Nach deren Abwanderung um 1600 und den Folgen des 30-jährigen Kriegs (1618 bis 1648) aber galt das Nassachtal zwischen 1650 und 1850 als eine der ärmsten Gegenden Württembergs. Immer weniger Menschen pflegten das Köhlerhandwerk, auch weil Holz knapp wurde. Erst mit der Industrialisierung erlebte die Köhlerei im Nassachtal einen ungeahnten Aufschwung. Eisengießereien in Ludwigsburg, Stuttgart, Göppingen und später die WMF in Geislingen hatten einen schier unstillbaren Hunger nach Holzkohle. Mitte des 20. Jahrhunderts verdrängte die Steinkohle aber nach und nach die Holzkohle, der heiß begehrte Brennstoff aus dem Nassachtal wurde zum Ladenhüter und die Köhlerei nicht mehr rentabel. Und das Handwerk der Holzkohle-Produktion verschwand zusehends aus dem Alltag.