Mit einem sanften Ruck setzt sich der Zug in Bewegung, die Diesellok verlässt den Bahnhof von Jesingen und schlängelt sich durch die sanften Hügel der schwäbischen Voralb-Region. Hiermit beginnt eine Reise durch die Vergangenheit der Eisenbahnstrecke von Kirchheim nach Weilheim. Die Strecke, einst ein wichtiger Verkehrsweg, verband nicht nur Orte, sondern auch Erinnerungen an vergangene Zeiten und Hoffnungen für die Zukunft.
Als im frühen 19. Jahrhundert noch die Dampflok auf den Gleisen regierte, war die Eröffnung der Eisenbahnstrecke von Kirchheim nach Weilheim im Jahr 1908 ein Meilenstein für die Bewohner in der Region. Diese Geschichte ist mehr als nur die einer Bahnstrecke – sie ist ein Abbild des Fortschritts, des Niedergangs und der möglichen Wiederbelebung.
Die Eröffnung der Eisenbahnlinie durch die Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahnen am 15. September im Jahr 1908 markierte den Beginn eines neuen Zeitalters für die Gemeinden entlang der Strecke. Zuvor waren die Menschen auf Pferdekutschen und andere langsame Verkehrsmittel angewiesen, um sich fortzubewegen, und nun konnten sie mittels eines Dampfzuges auf der fast 8 Kilometer langen Nebenbahn von Weilheim bis Kirchheim reisen. Die neue Bahnverbindung brachte nicht nur die Städte näher zusammen, sondern ermöglichte es auch den Einwohnern der kleineren Orte wie Jesingen, sich schneller und komfortabler zu bewegen.
Der Bahnhof in Jesingen, heute ein unscheinbares Gebäude, war einst ein bedeutender Haltepunkt für die Region. Von hier aus reisten die Menschen entweder in Richtung Kirchheim, um über Stuttgart ihrer Arbeit nachzugehen, oder sie fuhren in entgegengesetzter Richtung nach Weilheim, um die Stille der Schwäbischen Alb und deren idyllische Landschaft zu genießen. So verband der Bahnhof sowohl die Arbeitswelt der Großstadt als auch die Ruhe der Alb und spielte eine zentrale Rolle im Alltag der Menschen.
In den Jahrzehnten nach ihrer Eröffnung erlebte die Strecke ihre Blütezeit. Die Bahn war das Rückgrat des regionalen Personen- und Güterverkehrs. Ende der 50er Jahren wurde der Dampflokbetrieb auf der Teckbahn auf Dieselloks umgestellt.
Auch für die Industrie, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in der Region ansiedelte, war die Strecke von unschätzbarem Wert. Unternehmen in Holzmaden und den umliegenden Gemeinden nutzten die Bahn, um Güter wie Dünger, Kohle oder Stammholz in die Städte und darüber hinaus zu transportieren.
Doch mit dem Aufstieg des Individualverkehrs und der zunehmenden Bedeutung von Lkws für den Gütertransport begann der Stern der Eisenbahn zu sinken. 1982 wurde der Personenverkehr auf der Strecke eingestellt und auf Bahnbusse umgestellt, und wenige Jahre später, 1986, folgte der Güterverkehr. Der Bahnhof in Jesingen, einst ein lebendiger Ort, verfiel allmählich, als die Züge ausblieben.
Nach Jahrzehnten des Stillstands gibt es heute jedoch wieder Hoffnung für eine Wiederbelebung der Strecke. Im Zuge der Diskussionen um nachhaltige Mobilität und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs steht die Reaktivierung der Strecke zwischen Kirchheim und Weilheim erneut zur Debatte. Eine Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2023, die von den Landkreisen Esslingen und Göppingen sowie den Regionalverbänden Stuttgart und Ostwürttemberg in Auftrag gegeben wurde, zeigte, dass eine Verlängerung der Stuttgarter S-Bahn-Linie S1 bis nach Weilheim realisierbar wäre. Dies könnte die Region nicht nur besser an die Metropolregion Stuttgart anbinden, sondern auch den Tourismus und die Wirtschaft vor Ort ankurbeln.
Besonders interessant ist dabei die geplante Nutzung von Kurzzügen, die den Betrieb auf der Strecke effizienter gestalten könnten. Auch ein Bahnhof in Jesingen könnte in diesem Szenario eine neue Rolle spielen, etwa als Haltepunkt für Pendler oder Ausflügler, die die Schönheit der Schwäbischen Alb entdecken wollen.
Während die technischen und finanziellen Details noch geklärt werden müssen, träumen viele Bewohner der Region bereits von einem Tag, an dem der Zug wieder durch das Tal von Kirchheim nach Weilheim fährt. Die Strecke könnte zu einem Symbol des modernen, nachhaltigen Verkehrs werden – eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft.
Die Geschichte der Eisenbahnlinie Kirchheim – Weilheim ist ein Beispiel dafür, wie sich Verkehrsinfrastrukturen im Laufe der Zeit verändern und an neue Anforderungen anpassen müssen. Der Bahnhof in Jesingen, einst ein belebter Ort, hat seine besten Zeiten gesehen, könnte aber schon bald wieder zu neuem Leben erweckt werden. Diese kleine Station erzählt die große Geschichte einer Region im Wandel – von den Anfängen der Industrialisierung bis hin zu den Herausforderungen und Chancen der heutigen Zeit.
Und so bleibt die Eisenbahnstrecke Kirchheim – Weilheim nicht nur ein Relikt vergangener Tage, sondern ein lebendiger Teil der Geschichte, der darauf wartet, wieder in Bewegung zu kommen.
Ich bin Maurice Böhme, 19 Jahre alt und leidenschaftlicher Eisenbahnfan sowie Fotograf. Meine Begeisterung gilt der Eisenbahn und den verschiedenen Bahnstrecken, mit einem besonderen Interesse an historischen Verbindungen. In meiner Freizeit reise ich viel mit der Bahn durch Deutschland und Europa, um neue Eindrücke zu gewinnen und interessante Fotomotive festzuhalten. Zusätzlich beschäftige ich mich intensiv mit Eisenbahnmodellen, alten Fahrplänen, Fahrscheinen und Büchern.
Aktuell arbeite ich an einem Buch über die alte Strecke zwischen Kirchheim und Weilheim. Für dieses Projekt suche ich historische Fotos, Fahrpläne, Fahrscheine oder andere Materialien. Wenn jemand solche Dokumente besitzt und bereit ist, sie für die Publikation zur Verfügung zu stellen, würde ich mich sehr über eine Kontaktaufnahme freuen. Sie erreichen mich unter folgender Nummer: 0176 82283300.
Text: Marius und Maurice Böhme