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Erich Waldbaur – ein Pfarrer in Bedrängnis

„Heute Nacht (12./13. Feb.) etwa um 00.45 Uhr wurde die elektrische Hausklingel anhaltend in Tätigkeit gesetzt, wie übrigens schon...
Gruppe von Konfirmanden mit dem Pfarrer
Langenargen. Konfirmation am 20. März 1955 mit Pfarrer WaldbaurFoto: Privatbesitz Waltraud Traub. Eriskirch

„Heute Nacht (12./13. Feb.) etwa um 00.45 Uhr wurde die elektrische Hausklingel anhaltend in Tätigkeit gesetzt, wie übrigens schon wiederholt. Als ich die Stromzuführung unterbrochen hatte, begann ein heftiges Stossen – wie die vorhandenen Abdrücke zeigen mit dem Absatz – gegen die Haustüre des Pfarrhauses, bis ein Stück der Türfüllung ausbrach [.] Darauf entfernte sich der (die?) Täter. Ein Einbruch ins Pfarrhaus erfolgte nicht. Meine Frau, meine Mutter, ich, unsere Hausangestellte und eines meiner Kinder waren im Schlaf empfindlich gestört.“

So steht es in einem Bericht des Hohengehrener Pfarrers Erich Waldbaur vom 13. Februar 1939, der mit der Bemerkung des Geistlichen endet, er überlasse es der Behörde, Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Nachtruhestörung und Sachbeschädigung zu erstatten. Wenn man nicht das Datum des Schreibens beachten würde, könnte man möglicherweise von einem Bubenstreich ausgehen oder hinter der wie auch gearteten Sachbeschädigung alkoholisierte junge Männer vermuten, die mit dem Pfarrer ein „Hühnchen zu rupfen“ hatten. Das anhaltende Klingeln an der Tür des Pfarrhauses war jedoch offenbar kein Einzelfall gewesen, die Beschädigung der Tür jedoch erstmals geschehen und keine Bagatelle. Das Vorgehen der Unbekannten richtete sich eindeutig gegen den Pfarrer und seine Familie. Wer war dieser Erich Waldbaur, der während des nationalsozialistischen Regimes einige Jahre der evangelischen Kirchengemeinde in Hohengehren vorstand?

Der am 19. Mai 1905 in Schwaigern als sechstes und letztes Kind des dortigen Ersten Stadtpfarrers geborene Waldbaur eiferte seinem Vater nach, studierte ab 1923 in Tübingen evangelische Theologie und stand seit 1927 im pfarramtlichen Dienst, zuerst als Vikar in Klein-Eislingen und Schwäbisch Hall, dann von 1930 bis 1934 als Pfarrer in Untergruppenbach im Dekanat Heilbronn. In jener Zeit begannen ab Ende Januar 1933 die Nationalsozialisten in kurzer Zeit eine Diktatur zu errichten und alle Bereiche des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens gemäß ihren Vorstellungen „gleichzuschalten“. Waldbaur meldete sich bei der NSDAP an und war ab Ende 1933 Parteianwärter, das soll in der Absicht geschehen sein, „dem positiven Christentum innerhalb der NSDAP Geltung zu verschaffen“. Aus demselben Grund schloss er sich offenbar auch der Glaubensbewegung der „Deutschen Christen“ an, der Strömung innerhalb der evangelischen Kirche, die den Protestantismus der nationalsozialistischen Weltanschauung anzugleichen versuchte. Als jedoch im sogenannten „Kirchenkampf“ 1934 die gegenkirchlichen Ziele der NSDAP erkennbar wurden, verzichtete Waldbaur ausdrücklich auf die bis dahin noch nicht erfolgte Aufnahme in die Partei und trennte sich auch von den „Deutschen Christen“. Im „Kirchenkampf“ stellte er sich eindeutig auf die Seite der „Bekennenden Kirche“ und des Landesbischofs Theophil Wurm. Bereits 1934 wurde er wegen der Verlesung einer Ansprache Wurms von der Gestapo vernommen und von den Parteistellen scharf überwacht.

Im Jahr 1935 musste die Hohengehrener Pfarrstelle neu besetzt werden, weil der bisherige Pfarrer Friedrich Herrmann in den Ruhestand trat. Mit Waldbaur kam nun am 2. Dezember 1936 ein junger Pfarrer in die Gemeinde, der eine ebenfalls junge Ehefrau, die seit 1931 mit ihm verheiratete Maria Bührle aus Klein-Eislingen, mitbrachte. Sie spielte Orgel (ohne Pedal) seit dem Herbst 1938, führte den Mädchenkreis und sang mit ihm auch in der Kirche. Einen ausgesprochenen Kirchenchor gab es aber wohl nicht mehr. Die Familie wuchs bis 1940, als das vierte Kind geboren wurde.

Bald nach der Machtübernahme der neuen Reichsregierung aus NSDAP und DNVP begann die sogenannte „Gleichschaltung“ in allen Bereichen. In Hohengehren hatte das Oberamt den bisherigen Bürgermeisteramtsverweser Ernst Haller auf den 30. April seines Amtes enthoben und zugleich den 39-jährigen Georg Amann, den Bürgermeister von Schnait, vorübergehend als neuen Amtsverweser bestellt. Kurz zuvor war auch der sechsköpfige Gemeinderat neu gebildet worden. In der Folgezeit gab es offenbar immer wieder Differenzen zwischen Waldbaur und den Vertretern des Staates und der Partei. Neben besagtem Amann war es vor allem der Revierförster und seit Dezember 1936 Stützpunktleiter der NSDAP Alfred Dalferth, der mit Ehefrau und fünf Kindern im Parkhaus wohnte. Bereits 1933 für ein paar Monate als Oberförster in Hohengehren gewesen, war der sogenannte „Alte Kämpfer“ und Träger des Goldenen Parteiabzeichens am 7. August 1935 von Königsbronn erneut in die Schurwaldgemeinde gekommen. Mit einigen Personen aus Hohengehren hatte Dalferth in der Folgezeit eine heftige und für den jeweils Betroffenen potenziell gefährliche Auseinandersetzung, so auch mit Waldbaur. Das belegt ein von diesem mit Datum vom 1. Oktober 1938 unterzeichneter Bericht, in dem es um eine Vorladung des Pfarrers durch den NSDAP-Stützpunktleiter ging. Dieser hatte an jenem 28. September 1938 eindeutig im Sinn, sein Gegenüber einzuschüchtern. Kurz darauf erschien noch der Lehrer und NSDAP-Mitglied Georg Thum, der bis wenige Tage zuvor noch den Organistendienst in der Kirche versehen hatte.

Nach Angriffen Dalferths gegen den Pfarrer wie dem Vorwurf, dieser nehme die Schulkinder sogar in den Ferien in Anspruch, brachte er zum Ausdruck, Waldbaur sei für ihn nach wie vor ein„Eidverweigerer und Staatsfeind“.Dabei ging es ganz offensichtlich um die Ablegung des Treueids der evangelischen Pfarrer auf Adolf Hitler im Jahr 1938. Mehr als einmal bezichtigte der Stützpunktleiter nun den Seelsorger der Lüge und sagte, er wolle Waldbaur noch einmal warnen. Er sehe in ihm einen Staatsfeind und wenn er, Waldbaur, so weitermache, werde er ihn dahin bringen, wohin die Volksverräter gehörten.

Laut Waldbaurkam der Höhepunkt, als er Dalferth sagte, er habe mit Freuden in der letzten Zeit den Eindruck bekommen, dass es in der Kirchenfrage ruhiger sei und dass auch die trennenden Glaubensfragen angesichts der ernsten Lage und eines möglichen Krieges zurückgestellt würden.Nach WaldbaursErinnerung antwortete Dalferth, diese Ruhe sei nur Politik der Kirche. Sie halte jetzt Ruhe, um dann, wenn der Konflikt nach außen da sei, ihre Interessen unter dem Volk vorwärtszutreiben. Der Ausdruck fiel zwar nicht, der Pfarrer interpretierte jedoch, der Sinn sei gewesen, die Kirche werde im Kriegsfall eine „Dolchstoß-Politik“ treiben. Waldbaur notierte in seinem Bericht: „Ich konnte vor Erregung kaum sprechen, erklärte, das sei das Verletzendste, was mir hätte gesagt werden können und hielt ihm vor, wenn er mich schon für solch einen Lumpen halte, der zu so etwas fähig sei, dann solle er mich doch gleich an die nächste Wand stellen und mich erschiessen. Weiter sagte ich, meine Liebe zu Volk und Vaterland sei grösser als dass ich sie mir durch solch ungehörige Behandlung mindern liesse.“Dalferth nahm trotzdem von seinen „ungeheuerlichen Verdächtigungen“ nichts zurück, sodass für Waldbaur der Sinn dieses Abends klar war:Er sollte offenbar als Staatsfeind davor gewarnt werden, im Kriegsfall in der Heimat Unruhe zu stiften.

Nach Waldbaurs Weggang zum 1. Dezember 1942 nach Langenargen hatte Hohengehren keinen eigenen Pfarrer mehr und wurde von Baltmannsweiler oder Reichenbach mitversehen. Die Erinnerung an den mutigen Geistlichen in den schweren Jahren der Diktatur bleibt aber bestehen: Im Innenraum der Cyriakuskirche hängt unweit des Altars eine Holztafel mit der Auflistung aller Pfarrer der Kirchengemeinde seit dem Jahr 1560. Als letzter Name steht dort: Erich Waldbaur, 1936 (das Jahr seines Amtsantritts). Am 28. Dezember 1987 verstarb er 82-jährig in Wangen im Allgäu.

Im „Pfarrbericht für die auf den 12./14. Juli 1940 ausgeschriebene Visitation der Pfarrei Hohengehren“ hielt Waldbaur fest: „Allgemein ist man im Verkehr mit dem Pfarrer und mit dem Pfarrhaus sehr zurückhaltend, wobei die Angst vor dem Gerede der Leute [...] eine grosse Rolle spielt. Es sind wiederum nur ganz seltene Ausnahmen, die aus ihrer freundlichen Haltung dem Pfarrer gegenüber keinen Hehl machen. Bei diesem kleinen Teil geniesst der Pfarrer wirkliches Vertrauen. Im übrigen macht sich die Hetze kirchenfeindlicher Kreise stark bemerkbar. Am deutlichsten kam das zum Ausdruck in der Nacht vom 12./13. Febr. 1939 nach der Verlesung der Kundgebung des Landesbischofs zum Weltanschauungsunterricht.“ [Es folgt die Erwähnung des am Anfang beschriebenen Vorfalls.] „Die Täter wurden zwar in der Gemeinde vielfach genannt, konnten aber polizeilich nicht ermittelt werden. Wenn auch dieser Vorfall bei dem grössten Teil der Gemeinde Unwillen hervor rief, so war es doch wieder nur ein kleiner Teil, der diesem Unwillen offen Ausdruck gab. Die systematische Unterhöhlung der Stellung des Pfarrers in der Gemeinde ist – darüber darf man sich keinem Zweifel hingeben – nicht erfolglos geblieben.“ (auh)

Holztafel mit den Namen der Pfarrer
Hohengehren. Tafel in der Cyriakuskirche. Aufnahme vom 19. Januar 2024.Foto: Alfred Hottenträger
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