Aus den Rathäusern

Erinnerungen an die Heimatvertriebenen Ignaz und Maria Geist

Meine interessierten Leserinnen und Leser haben es gemerkt, dass ich in meinen Erzählungen über die nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg in Malsch...
Foto: Karl Geist

Meine interessierten Leserinnen und Leser haben es gemerkt, dass ich in meinen Erzählungen über die nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg in Malsch sesshaft gewordenen Heimatvertriebenen einige Familien herauspicke, die ich als 1949 Geborener persönlich kennenlernen durfte. Heute sind alle diese Personen längst vom Herrgott zu sich in den Himmel genommen worden und dürfen nun all das schauen, was sie zu Lebzeiten geglaubt haben. Dazu gehörten auch Ignaz und Maria Geist, denen nach ihrer Flucht und Sesshaftmachung in Malsch zwei Kinder geboren wurden. Elfriede war eine Klassenkameradin von mir und Karl kam nach Elfriede auf die Welt. Ignaz und Maria stammen aus dem Sudetenland, das im heutigen Tschechien liegt. Ignaz wurde am 19.7.1917 in Hosterschlag und Maria am 5. Dezember 1920 im drei Kilometer benachbarten Tieberschlag geboren. Hosterschlag war eine Gemeinde mit nur knapp 500 Einwohnern. Der Ort selbst wurde im Jahre 1255 vom Deutschen Ritterorden gegründet und bestand damals aus 29 Häusern. Das Land selbst hauptsächlich aus landwirtschaftlichen Betrieben, die umfangreiche Ländereien mit Äckern, Wiesen, Wäldern und Teichen zum Eigentum hatten 1899 ließ der österreichische Kaiser Franz Josef in Hosterschlag einen Bahnhof bauen, wo dann eine kleine Bimmelbahn die Menschen in die nächstgrößeren Städte brachte. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg siedelten dort dann die Tschechen an. Aber: 98 Prozent der Bevölkerung blieben deutschsprachig! Nachdem Adolf Hitler im Jahre 1938 das Sudetenland ins Deutsche Reich eingliederte, gehörte Hosterschlag dem Reichsgau Niederdonau an. Maria, geborene Draxler, entstammte aus dem Dörfchen Tieberschlag. Nach der Vertreibung der Deutschstämmigen verödete dieses Dörflein und wurde von den Tschechen später in die Ortschaft Hosterschlag eingegliedert. Hatte Ignaz einst eine landwirtschaftliche Fläche von über 44 Hektar zu bearbeiten, bewirtschaftete der elterliche Betrieb von Maria etwas mehr als 26 Hektar. Nach Auflösung der österreich-ungarischen Monarchie kam das Sudetenland 1918 zur Republik Tschechoslowakei und nach Abschluss des Münchner Abkommens 1938 zum Deutschen Reich. Nach Besuch der Volksschule und Bürgerschule (vergleichbar mit unserer heutigen Realschule) absolvierte Ignaz Geist eine zweijährige Ausbildung auf der Landwirtschaftsschule, um für die Übernahme des elterlichen Betriebes gerüstet zu sein. Maria Draxler besuchte die Volksschule und schloss anschließend eine Ausbildung an der Hauswirtschaftsschule ab, bevor sie auf der Hofstelle ihrer Eltern mitarbeitete. Den Hoffnungen und Planungen von Ignaz und Maria machte der Zweite Weltkrieg ein jähes Ende. 1940 wurde Ignaz zur Deutschen Wehrmacht eingezogen. Er war zunächst an der Westfront in Südfrankreich eingesetzt und erlebte später hautnah die Invasion der Alliierten in der Normandie mit. Durch einen Granatsplitter verlor er im Mai 1942 sein rechtes Auge. Eine Schussverletzung im September 1944 verwundete ihn so schwer, dass er nach einem längeren Lazarettaufenthalt im April 1945 von der Wehrmacht in die Heimat entlassen wurde. Am 30. Mai 1945 mussten die Familien von Ignaz und Maria am eigenen Leibe die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei miterleben. Tschechische Partisanen zwangen sie mit vorgehaltenem Gewehr, innerhalb einer halben Stunde ihre frühere Heimat zu verlassen. Nur mit leichtem Gepäck versehen, mussten die beiden Familien unter ständiger Bewachung durch die Partisanen den langen Fußmarsch bis zur österreichischen Grenze bewältigen, wo sie dann ihrem eigenen Schicksal überlassen wurden. Wer auf dem Fußmarsch nicht mehr konnte, wurde erbarmungslos erschossen und an den Straßenrändern einfach liegen gelassen. Aufgrund ihrer Kenntnisse auf dem Gebiet der Landwirtschaft fiel es Ignaz und Maria nicht schwer, Arbeit und Unterkunft bei einem österreichischen Landwirt zu finden. Nach einem kurzen Aufenthalt im Flüchtlingslager Melk in Österreich wurden Ignaz und Maria im Februar 1946 nach Deutschland ausgesiedelt. Erste Station hier war für beide das Auffanglager Sinsheim. Von dort aus wurden die Vertriebenen auf die umliegenden Ortschaften verteilt. Fast selbstverständlich war es, dass sie in Deutschland ihre erste Arbeit wiederum in der Landwirtschaft untergebracht: Ignaz Geist bei dem Großbauer Theodor Müller in Ochsenbach und Maria Draxler bei Ernst Förderer in Malsch, der neben einem Schweinehandel auch eine Landwirtschaft betrieb. Mit unbändigem Fleiß und Ausdauer gelang es den beiden, aus dem Nichts eine neue Existenz aufzubauen, sodass sie sich am 27. September 1947 in der Pfarrkirche Malsch vor Pfarrer Josef Müller das Ja-Wort geben konnten. Schon ein Jahr später hatten beide eine feste Anstellung in der Industrie gefunden. Ignaz bei der Firma Impex in Walldorf (später BBC) und Maria in der Zigarrenfabrik Neuhaus (später Nendel, der selbst ein Heimatvertriebener gewesen ist). Als die Zigarrenfabrik Nendel für immer ihre Pforten schloss, arbeitete Maria bis zu ihrer Verrentung bei der Firma Kolbenschmidt in Rot Malsch. Der Lohn und der Fleiß von Ignaz und Maria führten schließlich dazu, dass sie im Jahre 1953 mit viel Eigenleistung gemeinsam mit den Eltern von Maria in der Pfalzstraße 8 ein eigenes Eigenheim schaffen konnten. Die ehemalige Landwirtschaft in der CSSR pflegten die beiden Eheleute auch in Malsch. Aber nicht mehr in den Hektargrößen, im früheren Sudetenland, sondern im einheimischen Garten in Malsch. Die aus der Ehe hervorgegangenen beiden Kinder Elfriede und Karl machten Karriere im gehobenen Beamtendienst und sind heute auch schon längst im wohlverdienten Ruhestand. Maria Geist verstarb am 17. Mai 2000. Ihr Gatte Ignaz folgte ihr am 9. Juni 2001. Beide waren sehr gläubige Menschen und dürfen nun das schauen, an das sie zeitlebens fest geglaubt hatten. Und beide mögen wohlbehütet in Gottes Gnaden weiterhin ruhen in Frieden ...

Foto: Karl Geist. Text: Reinhold Stegmeier

Anhang
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Erscheinung
Malscher Gemeinde Rundschau
NUSSBAUM+
Ausgabe 40/2024
von Gemeinde Malsch bei Heidelberg
02.10.2024
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