Erinnerungen an die Malscher Willi Erhard und Eugen Becker, die in den Jahren nach 1931 gemeinsam „auf der Walz“ durch die deutschen Lande zogen. Längst ruhen sie in kühler Erde. Die Rede ist von Metzgermeister Willi Erhard und Schneidermeister Eugen Becker, beide Jahrgang 1910. Im April 1993 schrieb ich über beide einen Artikel in der RNZ, der die Überschrift „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“ trug. Meine geschätzten Leserinnen und Leser mögen sich nun bequem zurücklehnen und sich an den Erlebnissen dieser beiden ehemaligen Handwerker mit Meistertitel erfreuen. Anfangs will ich darauf hinweisen, dass es einst nach der Lehre und dem Gesellenbrief in der Tasche auf Wanderschaft ging, um die gerade erworbenen Erfahrungen als frischgebackene Gesellen bei anderen Handwerksbetrieben in Deutschland zu erweitern und zu verfeinern. Das Wandern der Handwerkergesellen war in der „Reichshandwerksverordnung“ aus dem Jahre 1737 streng geregelt. Jeder Geselle musste „Kundschaft“, ein gedrucktes Ausweispapier, mit sich führen, das Auskunft über sein Verhalten am jeweiligen Arbeitsort gibt, ihn aber zugleich als rechtschaffenen Handwerksgesellen legitimierte und ihn von anderen fahrenden Leuten, Vagabunden und Bettler abhob. Die „Kundschaften“ sind die Vorläufer der Wanderbücher, die am Anfang des 19. Jahrhunderts in den deutschen Staaten eingeführt wurden. Das Wandern selbst war für die Gesellen mit Strapazen und Entbehrungen verbunden. Ebenso auch die Suche nach einem vorübergehenden Arbeitsplatz und nach einem entsprechenden Lohn bei einem fremden Meister. Von wegen also „das Wandern ist des Müllers Lust!“ Besonders unangenehm war das Wandern zur Winterszeit! Wehe dem Gesellen, der vor Einbruch des Winters keinen festen Arbeitsplatz gefunden hatte. Manche wohlhabende Städte eröffneten seinerzeit Spitäler für kranke Pilger und wandernde Handwerksgesellen. Aus alten Wanderbüchern war zu entnehmen, dass die Wandergesellen pro Tag fast 30 Kilometer zurückgelegt hatten. Eine Wanderstrecke von 500 Kilometer im Verlauf von 17 Tagen war keine Seltenheit. Den Begriff „Auf der Walz“ gibt es schon lange nicht mehr. Mit der Bismarckschen Sozialgesetzgebung und der Erfindung der Eisenbahn verschwand das Bild der wandernden Handwerksgesellen auf den deutschen Straßen. Heutzutage sieht man ab und zu noch einen Zimmermannsgesellen, der mit seinem Bündel auf dem Rücken von Ort zu Ort zieht. In Malsch gab es noch zwei lebende Zeitzeugen, die in ihrer Jugendzeit selbst „auf der Walz“ waren.
Damit deren Erlebnisse den Nachkommen nicht ganz verloren gingen, entschloss ich mich im April 1993, die beiden zu interviewen und für die Nachwelt festzuhalten. Es waren dies Metzgermeister und Gastwirt Willi Erhard und Schneidermeister Eugen Becker. Beide waren im Jahre 1993 bereits 83 Jahre alt und beide waren von meiner Idee derart begeistert, dass mein Bericht nicht nur in unserer Malscher Gemeinderundschau veröffentlicht wurde, sondern auch in der RNZ. Ich erinnere mich heute noch mit großer Freude an die vielen Begegnungen mit den ehemaligen Wandergesellen, die später beide ihre Meisterprüfungen vor der Handwerkskammer mit Bravour ablegten. Beide wussten noch haargenau, an welchem Tag sie ihre Wanderschaft begangen, nämlich am 16. August 1931. Sowohl Willi Erhard als auch Eugen Becker sollten ein biblisches Alter erreichen und gehörten schon damals der Kolpingfamilie und dem Kolpingwerk an. Zu Fuß ging es rechts des Rheines über Köln hinaus. Übernachtet wurde meistens in Kolpinghäusern, welche in jeder größeren Stadt zu finden waren. Willi Erhard arbeitete längere Zeit in Solingen als Metzger, während es den Schneidergesellen Eugen Becker nach einigen Monaten vor lauter Heimweh zu Fuß wieder in das heimatliche Malsch zog. Zurück blieben für die beiden Malscher unauslöschliche und unvergessene Erlebnisse. Das Foto von Helmut Pfeifer zeigt Metzgermeister Willi Erhard (links) und Schneidermeister Eugen Becker (rechts) im April 1993. Beide waren damals 83 Jahre alt.
Eugen Becker sollte der Erste sein, den Gott am 22. August 1997 im Alter von 87 Jahren zu sich rief. Willi Erhard sollte seinen einstigen Schulkameraden und Wandergesellen Eugen Becker um sieben Jahre überleben. Er verstarb am 16. März 2004 und war damals 94 Jahre alt. Beide mögen auch weiterhin in Gottes Frieden ruhen!
Text: Reinhold Stegmeier