Gleichzeitig mit vielen bundesweiten Feierlichkeiten wurde am 23. Mai 2024 ab 19:00 Uhr auch in Gomaringen das Jubiläumsjahr „75 Jahre Grundgesetz“ sichtbar gemacht. Gut 30 Gäste waren der Einladung der Gemeinde zur Eröffnung der „Gomaringer Grundgesetz-Galerie“ gefolgt. Aufgrund des Regens bat sie Bürgermeister Steffen Heß zur Begrüßung zunächst ins Rathaus. Heß erklärte den Rahmen und die Idee der Galerie:
„Warum haben wir den Abend dem Grundgesetz gewidmet? Wir wollen unser Grundgesetz mehr in den Mittelpunkt und in das Bewusstsein unseres Denkens rücken. Durch die Grundgesetz-Galerie können wir es auch in Gomaringer Alltag sichtbar machen. Hierzu haben wir 26 Artikel im Ort an 24 Stationen – öffentlichen Gebäuden – gut einsehbar angebracht. So wie hier am Eingang des Rathauses, an der Bibliothek und am Schloss, aber auch den Kinderhäusern oder an der Sport- und Kulturhalle.“ Die Entstehungsgeschichte der Galerie und das „Making-of“ erläuterten die beiden Auszubildenden Celina Hausch und Gregor Taxis, die den Auftrag zu ihrer Entwicklung hatten.
„Außer dem Anlass ‚Jubiläum‘ – warum müssen wir deutlich an unser Grundgesetz erinnern?“, fuhr Steffen Heß fort. „Dieses Rechtswerk ist die fundamentale und unerschütterliche Basis unserer Demokratie, seit 75 Jahren Garant für unsere Freiheit und den Frieden in Deutschland und in Europa. Doch Demokratie wird von vielen, die es meist gar nicht mehr anders kennen, als Selbstverständlichkeit betrachtet. Leider ist das nicht so. Denken Sie an die Angriffe auf unsere Demokratie hier in Deutschland. Diese sind vielschichtig: Rechtsradikalismus, Linksradikalismus, Antisemitismus, islamistisches Kalifat sowie bewusste Falschmeldungen, Hassmeldungen, Fake News in den sozialen Medien; es kann ja jeder ein Medium bedienen oder eine Webseite oder einen Blog betreiben. Also Menschen, Gruppen, die die Vorzüge der Demokratie mitnehmen, sich selbst aber nicht zur Demokratie bekennen wollen oder sie offen bekämpfen.
Es gilt also wachsam zu sein, die Demokratie zu schützen und zu schätzen. Wir brauchen mehr Demokratiefreunde als Demokratiefeinde.
Vor diesem Hintergrund gab es in den vergangenen Monaten viele Demonstrationen und Gründungen von Bündnissen für die Demokratie. Am 10. März 2024 haben auch alle Oberbürgermeister/Bürgermeister des Landkreises Tübingen gemeinsam mit Landrat Joachim Walter die öffentliche Erklärung unterzeichnet: „Gemeinsam für unsere Demokratie und gemeinsam gegen jegliche Art von Extremismus“. Sie ist ein Bekenntnis zu unserer Demokratie in den Städten und Gemeinden.
Mit Hilfe der Gomaringer Grundgesetz-Galerie wollen wir unseren Teil dazu beitragen – einen dauerhaft sichtbaren, der auch nach den Feierlichkeiten an den Wert dieser fundamentalen Rechtsgrundlage erinnert. Alle Stationen sind auch mit einem QR-Code versehen, der auf die Webseite der Gemeinde verweist (www.gomaringen.de/unser-gomaringen/geschichtliches/gomaringer-grundgesetz-galerie). Hier sind die Stationen mit den ersten 26 Artikeln des Grundgesetzes aufgelistet.“
Der zweite Teil fand dann im Bürgersaal des Schlosses statt. Der Bürgermeister knüpfte an seine Erläuterungen an:
„Auch aus der Sicht der Kommunen hat das Grundgesetz einen ganz hohen Stellenwert, es ist ihr Fundament, denn Artikel 28 schreibt das Selbstverwaltungsrecht der Städte und Gemeinden fest. Die Demokratie steht auch unter Druck, weil sich die große Politik in der Wahrnehmung vieler Menschen immer weiter von der Realität vor Ort zu entfernen scheint. Diese Realität wird in den Kommunen konkret: bei der Schaffung von Wohnraum, der Migration, bei der Suche nach Antworten auf den Klimawandel, bei der Bildung und Betreuung, der Digitalisierung oder der Mobilitätswende. Die entscheidenden Fragen landen im Kreistag, im Gemeinderat, im Ortschaftsrat, in der Verwaltung – bei Ihnen, bei uns, in der Gemeinschaft vor Ort. Und immer häufiger stellen wir fest: Es gibt noch nicht die richtigen Antworten auf viele dieser Zukunftsfragen.
Die Städte und Gemeinden aber sind auch verfassungsrechtlich eine tragende Säule unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Sie sind stabil zu halten und zu stärken. Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, fordert dafür ‚echte Gestaltungsfreiheit, einen erfüllbaren Aufgabenkatalog, mehr Vertrauen in die örtlichen Verantwortungsträger‘. Politik sollte nur das versprechen, was auch dauerhaft finanzierbar ist – und nicht, was wünschenswert ist. Denn gerade das Versprechen und Nicht-umsetzen-Können führt in Teilen zur Demokratieverdrossenheit. Die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene würde sicher die Demokratie stärken: etwa zu den Themen Migration, Klimaschutz, Cannabis-Teillegalisierung, Flächenversiegelung, Rentenreform …“
Bei allem Herausheben der Vorzüge unserer Demokratie und des deutschen Grundgesetzes sollten und müssen wir uns daran erinnern, dass es einst auch ganz andere Zeiten gab. Prof. Dr. Sannwald war aus diesem Grund der Einladung der Gemeinde anlässlich dieses Gedenktages nach Gomaringen gern gefolgt. Sein spannender Vortrag „Archivbunker, Grundgesetz und ein Gomaringer Wahlkrimi 1933“. Diese drei Schlagwörter verweisen auf die drei Zugänge, die der Tübinger Kreisarchivar zum Thema Grundgesetz gewählt hatte. Er berichtete vom Verfassungskonvent von Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, insbesondere auf Carlo Schmid, dessen Rede in der Sitzung des parlamentarischen Rats er auszugsweise im Originalton hören ließ (YouTube). Schmid war maßgeblich an der Gestaltung des Grundgesetzes beteiligt, das auf Empfehlung der Sechsmächte-Konferenz über Deutschland – als auf demokratischen Grundsätzen beruhende, föderalistische Verfassung – ausgearbeitet werden sollte. Sie sei in Teilen eine „erinnerungskulturelle Reaktion auf die 30er-Jahre und in Teilen Weimarer Republik“.
Eine „vorbildhafte Aktivität“ habe in den Dreißigerjahren die Gomaringer Geschichte gezeigt, einen großen Bezug zu dem, was damals die Verteidigung der verfassungsgemäß geltenden Rechte bedeutete. Er erzählte von der Bürgermeister-Wahl am 25.03.1933, wo statt des erwarteten Kandidaten der NSDAP der damals eigentlich unbeliebte Bürgermeister Elsässer wiedergewählt wurde: Diese Wahl hatte „Seltenheitswert“ in Deutschland. Er sprach von der schnellen Reaktion der NSDAP damals, von der „Heubergsache“, wo mit der umgehend der Wahl folgenden Deportation von 14 Gomaringern ins „Schutzhaftlager auf dem Heuberg“ – nachdem durch die „Reichstagsbrandverordnung“ Grundrechte ausgehebelt worden waren und mit dem „Ermächtigungsgesetz“ am 24.03.1933 die NSDAP die Macht hatte ergreifen können.
15 Jahre später setzte sich Carlo Schmid im Verfassungskonvent vehement dafür ein, dass die Grundrechte nicht mehr außer Kraft gesetzt werden können.
Sannwald schloss seinen Vortrag mit dem Aufruf: „Es lohnt sich, für das Errungene zu stehen! Wahlen am 9. Juni 2024: Wählen gehen!“
Diesen Wahlaufruf bekräftigte auch Bürgermeister Heß, bevor er sich bei Prof. Dr. Sannwald mit einem Präsentkorb und bei den Auszubildenden Celina Hausch und Gregor Taxis mit einem Eisgutschein bedankte. „Demokratie muss weiterhin Inhalt unseres Denkens und Handelns sein. Gehen Sie daher am 9. Juni zur Wahl. Gerade die Wahl der Gemeindeparlamente ist eines der stärksten demokratischen Instrumente der Mitgestaltung vor Ort!“
(Bilder: Gemeinde Gomaringen)
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1. Am 09.06.2024 – am Tag der Europa-, Kommunal- und Landkreiswahlen – bietet der Schwäbische Albverein Gomaringen eine Wanderung auf der Spur der Grundgesetz-Galerie an. Treffpunkt ist um 10:00 Uhr auf dem ZOB (s. a. Amtsblatt KW 22/Vereinsnachrichten).
2. Lesenswert zum o.g. „Wahlkrimi“: Hon. Prof. Dr. Wolfgang Sannwald: „NS-Getreue in der Provinz. Gomaringen zwischen Weimar und Bonn und SS-General Gottlob Berger“ (= Gomaringer Heimatbuch Band 3), Gomaringen 2021.