Großes Premieren-Publikum genoss das Anbieten des Schlosses und des Rokokotheaters am Freitagabend, alles im erweiterten Dunstkreis der SWR-Festspiele aus Kultur und Politik war geladen, um die Eröffnung der 73. Schwetzinger Festspiele zu feiern.
Die in diesem Jahr unter dem Thema „Verführung“ stehen und mit über 60 Veranstaltungen ein umfassendes Angebot in den zur Verfügung stehenden 4 Wochen bieten. Und passend zum Thema „Verführung“ war die Premiere zur Eröffnung die älteste Geschichte der Menschheit um ADAM & Eva und den Sündenfall ins hier und jetzt geholt. Und es wurde alles geboten: Musik, Schauspiel, Tanz und Theater! Als Auftragswerk für die Schwetzinger Festspiele in Kooperation mit dem Landestheater Linz. Die Musik komponierte Mike Svoboda, ebenso wie die 30 Sekunden dauernde Festspiel-Fanfare, die von drei Schülern der Musikschule Schwetzingen als Einstimmung des Publikums im Pausenraum gespielt wurde. Die Inszenierung steht unter der Regie von Andrea Moses.
Als Grundlage nahmen die Librettistin Anne-May Krüger Peter Hacks´ gleichnamige Komödie. Aber eine leichte Komödie wurde dieser Abend nicht, auch wenn einiges mit Humor erzählt wird, oder eher satirisch? Im Original ist der Stoff eine Parabel mit Gegenüberstellung der DDR-Gesellschaft und der persönlichen Freiheit jedes Einzelnen. Und darum geht es auch hier: Die Entscheidung „Ja oder Nein“ sagen zu dürfen. Gott gibt Adam diese Freiheit, wünscht sich ein Gegenüber, das nicht wie der Engel Gabriel ein Ja-Sager ist oder Satanael ein ewiger Nein-Sager. So schuf Gott den Menschen und gab ihm in Form des Apfels und dem Verbot diesen zu essen die Wahl. So nahm das Drama der Menschheit bekanntermaßen und an diesem Abend unter der Dramaturgie von Christoph Blitt seinen Lauf.
Gott (Sebastian Hufschmidt) als Übervater, einst von seinen Jüngern hofiert, die ihm die Stimme gaben, denn er hat eine Sprechrolle, hat irgendwann das Heft nicht mehr in der Hand. Der gute Engel Gabriel übernimmt die Regie. Morgane Heyxse leistet Großartiges: Ihr Gesang bis in die hohen Töne ist ebenso perfekt wie ihr rezitativer Sprechgesang. Ihre physische Leistung, ihre Wegstrecke durchs Theater - mal vom Balkon herunter, mal im Parkett und natürlich auf der Bühne - ist trotz ihrer Verletzung am Bein und dem nötigen Gehstock eine grandiose. Oder gerade dadurch? Manuela Leonhartsberger als ihr Widersacher Satanael sorgt für das Böse, wird als Schlange auf die Bühne gekarrt. Und bescherte dem Publikum einen der innigsten Momente der Partitur im Duett mit Eva (Tina Josephine Jäger). Verführt biss Eva in den Apfel und musste nun Adam (Alexander York) überzeugen. Der weibliche Part des Chores half ihr. Der männliche Part des Chores half Adam sich zu wehren: „Eins mit Gott – oder vereint mit Dir? Vater vergib!“ Die weibliche Verführung gewann, wie wir wissen. Somit war es vorbei mit dem harmonischen „Werk der Liebe“. Ein musikalisches Gewitter unterstreicht die Dramatik. Überhaupt ist die neue Musik des Komponisten eine wunderbare Untermalung oder akzentuierende Unterstreichung der Handlung, die nicht aufdringlich, sondern eher begleitend wirkt. Streicher, Bläser, Perkussionisten und sogar ein Akkordeon des hr Sinfonieorchesters spielen flüssig, dirigiert von Mike Svoboda. Die renaissancehaften Einspielungen des SWR-Ensembles, teilweise sichtbar auf kleinen Monitoren, sind unterstützend für den auf der Bühne agierenden Extrachor des Landestheaters Linz und schauspielerisch in das Geschehen eingebunden ist. Viele Szenen werden mit Videos auf Großleinwand im Hintergrund eindrucksvoll verstärkt. So die Analyse des Bisses nach Tatort-Manier, Gott erkennt: Er hat seine Geschöpfe im Paradies als gleichwertiges Gegenüber verloren, das macht IHN nackt.
Bei all dem turbulenten Geschehen gaben die beiden Einhörner (Génesis Beatriz López Da Silva und Felix Lodel) jeweils realistischen Zwischenbericht: als Pop-Musiker, als Entertainer, als Skifahrer die kalte Neuzeit symbolisierend.
Die Geschichte der Menschheit im Zeitraffer wird auf der Bühne deutlich: das von Gott angebotene Paradies, ein Fels in einem abgegrenzten Bereich hinter Gaze-Mauern wird nach dem Sündenfall zum eröffneten Chaos, vermüllt, verdreckt und in die verdickte Luft des Klimawandels getaucht (Bühnenbild von Heike Vollmer). Werteverfall und Klimakatastrophe nehmen zu, wie lange geht das noch gut? Und noch etwas hat sich verändert: Liebe ist nicht mehr leicht, verführerisch und tanzhaft, sondern wird zu Kampf und Pein, zwanghaft und schamhaft. Die Vertreibung aus dem Paradies ist vollzogen. (aw)