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Es passt nicht mehr – Gedanken von Gudrun Schultheiss

Vor kurzem lag ein Zettel vom Roten Kreuz in meinem Briefkasten, der eine Kleidersammlung ankündigte. Er war mich Motivation und Anlass zugleich, um mich...

Vor kurzem lag ein Zettel vom Roten Kreuz in meinem Briefkasten, der eine Kleidersammlung ankündigte. Er war mich Motivation und Anlass zugleich, um mich endlich einmal um meinen völlig überfüllten und aus der Mode gekommenen Inhalt meines Kleiderschrankes zu kümmern. Ich gehöre leider zu der Kategorie Mensch, die nichts wegwerfen kann, das noch einigermaßen brauchbar aussieht. Für die Gartenarbeit ist es immer noch gut genug, sage ich mir, wenn ich so ein zweifelhaftes Stück in der Hand halte und es dann schnell wieder in den Schrank lege.

Dabei ist mir aufgefallen, dass es nicht nur Teile aus meinem Kleiderschrank sind, die mir heute nicht mehr passen oder gefallen. Es gibt da so viel mehr, was ich aus meinem Leben räumen müsste, um es für mich wieder passend und harmonisch zu machen.

Da wäre zum einen meine bisher gute Bekannte, mit der ich über Jahrzehnte ein Herz und eine Seele war. Ich merke schon längere Zeit, dass mir ein Zusammensein mit ihr nicht mehr guttut. Ich versuchte es zu verdrängen, wollte an vergangenen, schönen Zeiten festhalten und es nicht wahrhaben. Aber inzwischen kam ich jedes Mal von unserem gemeinsamen Treffen verärgert und niedergeschlagen nach Hause. Ihre neue, seltsame Denkweise und Lebenseinstellung passten mir nicht mehr, ich fühlte mich unwohl in ihrer Nähe. Würde ich mich ihrem neuen Lebensstil anpassen, dann wäre ich nicht mehr ich selbst und müsste mich verbiegen, um nicht daran zu zerbrechen. Ich werde nun schweren Herzens von diesen, mir viel bedeutenden Begegnungen Abstand nehmen.

Es gibt kleine und große Dinge im Leben, die irgendwann nicht mehr passen. Ich stelle fest, dass man die kleinen Probleme leicht ändern kann, indem man z.B. Schuhe, die plötzlich nicht mehr passen, einfach eine Nummer größer kauft. Füße verändern sich nun mal im Alter, sie werden breiter oder länger, das lässt sich sehr leicht ändern.

Schwieriger wird es, wenn einem das vertraute Umfeld nicht mehr guttut, oder man sich in seinem Wohnort oder sogar in den eigenen vier Wänden nicht mehr zuhause fühlt. Da lässt sich nicht rasch etwas ändern und man ist sich auch nicht sicher, ob eine räumliche Veränderung wirklich alles besser macht. Gerne schiebt man das Problem vor sich her und bleibt lieber noch eine Zeit lang im vertrauten, aber unpassenden Zustand, um kein Risiko einzugehen.

So ähnlich geht es auch mir und meinem Mann. Über drei Jahrzehnte wohnen wir wunderschön auf dem Land in Perouse und haben hier ein großes Haus und einen noch größeren Garten. Seit unsere drei Kinder ausgezogen sind, fühlt sich unser Grundstück auch so an wie ein viel zu groß gekauftes Kleidungsstück. Es hat uns viele Jahre lang gepasst, aber nun müssten wir es eigentlich umtauschen gegen ein Zuhause, das zwei bis drei Nummern kleiner wäre. Doch das ist schwer, unser Herz hängt an allen Erinnerungen und an jedem Blumenbeet, das mit Liebe gepflanzt wurde. Ich könnte nicht mit ansehen, wie hier fremde Leute ein und aus gehen. Die Zeit ist noch nicht gekommen, in der wir zu dieser großen Veränderung ja sagen können.

Hier in unserem Zuhause bin ich gerne auch mit großer Begeisterung meinem langjährigen Hobby, dem Schneiden von anspruchsvollen, filigranen Fensterbildern, nachgegangen. Unsere Kinder, Freunde und Bekannte haben sich über den stets zur Jahreszeit passenden Fensterschmuck gefreut. Es gibt nun neue Aufgaben, die mich erfüllen und die zu meinem neuen Lebensabschnitt als Oma und Rentnerin passen. Nichts bleibt beständig, wir dürfen uns dem Lauf der Zeit anpassen und bleiben in Bewegung dabei. Es kostet so viel Kraft, an etwas festzuhalten, das sich einfach nicht mehr richtig und gesund anfühlt.

In den vergangenen Jahren hatte ich es auch mit Menschen zu tun, deren neue Lebenseinstellung mich sehr erschreckt hat und aufhorchen ließ. Sie waren der Meinung, es passt nicht mehr in die heutige Zeit, an Gott zu glauben oder in die Kirche zu gehen. Das wäre doch altmodisch und man könnte ihnen doch ansehen, dass sie auch ohne Gott ganz gut zurechtkommen. „Aber was ist, wenn es einmal nicht mehr so gut läuft?“, habe ich sie gefragt. An wen wollt ihr euch dann wenden? Meistens wussten sie keine Antwort darauf.

Ein Ehepaar im mittleren Alter sagte mir einmal: „Weißt du, wir würden schon gerne ab und zu in die Kirche gehen, aber was ist, wenn unsere Nachbarn das sehen und mitbekommen? Wir würden als spießig gelten und wohl aus der nachbarschaftlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Nein, wir lassen das lieber sein.“

Mit taten diese Leute leid, die sich von anderen einschüchtern lassen und nicht zu sich und ihren Bedürfnissen stehen. Ein fremdbestimmtes Leben ist ein hoher Preis dafür. Kann man sich da noch wohlfühlen in seiner Haut? Sich ständig zwanghaft anpassen zu wollen oder aber sein Leben in Liebe für sich passend zu machen, damit ein erfülltes Dasein daraus wird, darin besteht ein ganz großer Unterschied. Möge es jedem von uns gelingen, denselben in jeder Situation zu erkennen.

Gudrun Schultheiss

Erscheinung
Stadtnachrichten – Amtsblatt der Stadt Rutesheim
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Ausgabe 50/2025
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