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Euphorie weicht Ernüchterung: „Stambulant“-Konzept weiter in der Warteschleife der Bundespolitik – BeneVit hält trotzdem an Meßstetten fest und holt Plan B fürs Sozial- und Gesundheitszentrum aus der Schublade

Im Entwurf des Pflegekompetenzgesetzes, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am 6. November zur Verabschiedung im Bundeskabinett vorlegt,...
So soll es aussehen: Das Meßstetter Sozial- und Gesundheitszentrum mit Ärztehaus. Inwiefern sich diese alten Pläne nun ändern, wird sich zeigen.
So soll es aussehen: Das Meßstetter Sozial- und Gesundheitszentrum mit Ärztehaus. Inwiefern sich diese alten Pläne nun ändern, wird sich zeigen.Foto: Visualisierung: BeneVit

Im Entwurf des Pflegekompetenzgesetzes, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am 6. November zur Verabschiedung im Bundeskabinett vorlegt, ist das von BeneVit erarbeitete und erprobte „stambulante“ Pflegekonzept nicht verankert. Die Hiobsbotschaft trifft Meßstetten überraschend, hatte der Minister doch angekündigt, spätestens im Sommer 2024 die gesetzlichen Grundlagen schaffen zu wollen, damit BeneVit dieses innovative Modell im Sozial- und Gesundheitszentrum etablieren kann. Trotz allen Frusts steckt der Investor den Kopf aber nicht in den Sand: Mit einem modifizierten Konzept soll im Sommer 2025 Baustart sein.

Wäre alles nach Plan gelaufen, könnte Meßstetten heute in der Hossinger Straße ein modernes Sozial- und Gesundheitszentrum mit Ärztehaus haben. Schon vor langem waren die Pläne von Stadtverwaltung und Investor BeneVit samt gemeinderätlichem Segen auf den Weg gebracht. Was fehlte und noch immer fehlt, ist aber das Okay des Bundesgesundheitsministeriums und somit die Rechtssicherheit für das sogenannte „Stambulant“-Pflegekonzept, welches Betreiber BeneVit in Meßstetten realisieren wollte. Viel wurde in den vergangenen Monaten und Jahren darüber geschrieben und berichtet (vielfach auch in unserem Amtsblatt); unzählige Zeitungsartikel, Radio- und Fernsehbeiträge widmeten sich diesem innovativen Pflegekonzept und versahen es mit dem Etikett zukunftsweisend. Es spart immens viel Kosten für die Krankenkassen, schont den Geldbeutel der Angehörigen, vor allem kommt es aber für die zu pflegenden Menschen mit einer nicht zu unterschätzenden sozialen Komponente daher: Den Lebensabend spürbar verschönern und mit Sinn fühlen, niemand soll mehr „ins Bett gepflegt“ werden.

Umso erstaunlicher, dass die Berliner Politik das Stambulant-Konzept – wie der Name sagt, bekanntlich eine Mischung aus ambulanten und stationären Pflegeformen – nach wie vor nicht anerkennt und im Entwurf des Pflegekompetenzgesetzes vorsieht. Diese gesetzliche Blockade, die für den Betreiber und somit in Folge die Pflegekassen und weitere Träger eine Rechtssicherheit verweigert, stößt auf größtes Unverständnis. „Es ist frustrierend, dass Deutschland bei Innovationen im Pflegebereich nicht weiterkommt. Das Konzept wurde mehrfach wissenschaftlich geprüft und von vielen Politikern, Krankenkassen und Kommunen unterstützt“, kritisiert Kaspar Pfister, BeneVit-Chef und geistiger Vater von „Stambulant“ bei einem Pressegespräch, zu dem Meßstettens Bürgermeister Frank Schroft vergangene Woche ins Rathaus eingeladen hatte.

„Wir sind zutiefst enttäuscht“, kommentiert der Schultes die jüngsten Infos aus der Hauptstadt, wonach „Stambulant“ nicht in den Entwurf des von Gesundheitsminister Karl Lauterbach vorgestellten Pflegekompetenzgesetzes aufgenommen ist. Stattdessen weiter in der Warteschleife verharrt, weil politische Entscheidungsträger – wie es heißt – noch weitere Details klären lassen möchten. Welche eigentlich? Sind nicht alle längst und mehrfach geklärt? Auf dieser Grundlage glaubten BeneVit und seine Mitstreiter die Ziellinie vor Augen: Noch vor einigen Monaten standen nämlich die Signale auf Grün. Zumal „Stambulant“ seit acht Jahren ausgiebig erprobt ist. Bekanntlich hatte BeneVit in seinem Haus im badischen Wyhl das „Stambulant“-Konzept in einem Modellprojekt seit 2016 auf dem Prüfstand; Ergebnis: durchweg positiv. Das sagen nicht nur Betreiber, Fachkräfte und Betroffene, sondern auch unabhängige Fachleute. Wie beispielsweise jene vom IGES-Institut. Das ist ein unabhängiges Forschungs- und Beratungsinstitut für Infrastruktur- und Gesundheitsfragen mit Sitz in Berlin.

Die bejahenden Erkenntnisse und guten Empfehlungen zu „Stambulant“ liegen auf dem Tisch. Selbst wer nur rein auf die Kostenseite blickt, versteht nicht, warum dieses innovative Gesundheitsmodell ausgebremst wird. Bis zu 14.000 Euro geringere Heimkosten pro Person und Jahr, bis zu 1000 Euro geringerer Eigenanteil für Angehörige, bis zu 220 Millionen könnten die Kassen jährlich sparen. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Pflegeversicherung der Kollaps droht, ist das Agieren im Bundesgesundheitsministerium nicht nachvollziehbar. „Es ist traurig und lässt das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in staatliches Handeln nicht wachsen“, warnt Bürgermeister Frank Schroft. Vor allem er selbst, aber auch im Verbund mit zwei Dutzend Bürgermeisterkollegen, hat sich der Meßstetter Schultes unablässig für Pfisters „Stambulant“-Idee verkämpft. Mehrere gemeinsame Briefe an Minister Lauterbach persönlich und andere Politiker in Bund und Land haben sie verfasst. Fast ausnahmslos haben sie positive und hoffnungsvoll stimmende Rückmeldungen bekommen. Umso schlimmer nun die plötzliche politische Kehrtwende, sie ist für alle lokal Beteiligten ein regelrechter „Schlag ins Gesicht“. Frank Schroft will trotz Widrigkeiten nichts unversucht lassen. So ist er Anfang November zu Gast bei einem Parlamentariertreffen mit Mitgliedern des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages in Berlin, wo er erneut für „Stambulant“ werben möchte.

Dass solche Mühen erfolgversprechend sind und „Stambulant“ doch noch Niederschlag im Pflegekompetenzgesetz findet, welches am 6. November verabschiedet werden soll, daran glaubt Kaspar Pfister nicht mehr; allein schon wegen der Kürze der Zeit. Weil der Investor aber an Meßstetten und seinem Sozial- und Gesundheitszentrum samt Ärztehaus festhalten will, zieht er nun die alternative Karte …

Plan B, wie man auch sagen könnte, kostet BeneVit viel Geld. Rund 100 Millionen Euro hält Pfister in der Pipeline für die Umsetzung des „Stambulant“-Konzeptes in mehreren Häusern. Das Meßstetter Sozial- und Gesundheitszentrum war einst mit elfeinhalb Millionen Euro veranschlagt, vergangenes Jahr war noch von 16 Millionen die Rede, heute geht der Burladinger Investor von 17 Millionen aus. Schon deshalb ist weiteres Warten nicht mehr angesagt.

Den Weg, welchen Kaspar Pfister und seine Tochter Claudia Kanz (als Architektin zuständig für bauliche Ideen und Umsetzungen bei der Firma BeneVit) nun gehen wollen, ist zweigleisig. Realisiert wird in Meßstetten zwar das „klassische“ Hausgemeinschaftskonzept, wie es bereits an 27 BeneVit-Standorten zu finden ist. Allerdings soll so gebaut werden, dass zukünftig doch noch auf das Stambulant-Konzept gewechselt werden kann. Diese Flexibilität treibt jedoch die Kosten deutlich nach oben, denn bei jedem der beiden Baukonzepte gelten andere Brandschutz-Vorschriften. „Deutscher als deutsch geht es nicht mehr“, kann sich Kaspar Pfister einen Seitenhieb nicht verkneifen.

Es entstehen 57 Einzelzimmer, eine Tagespflege mit Sozialstation und ein Kindergarten. Integriert wird eine Apotheke; hier hat Pfister ebenfalls eine Zusage wie für drei der vier Arztpraxen, die unter das Dach des Gesundheitszentrums kommen. Liegt Ende des Jahres die Baugenehmigung auf dem Tisch, erfolgt im Sommer 2025 der Baustart und Ende 2026 soll das Haus bezugsfertig sein. Seitens der Stadt Meßstetten ist der Weg geebnet: Am 23. Oktober – nur wenige Stunden nach dem Pressegespräch im Bürgermeister-Dienstzimmer – hat der Meßstetter Gemeinderat einstimmig den Satzungsbeschluss für den Bebauungsplan „Rechts der Hartheimer Straße/Links der Hossinger Hossinger Straße“ gefasst und somit den baurechtlichen Rahmen für die Realisierung des Sozial- und Gesundheitszentrums geschaffen.

(VB)

Hand drauf aufs gemeinsame Projekt: Kaspar Pfister, Claudia Kanz und Bürgermeister Frank Schroft.
Hand drauf aufs gemeinsame Projekt: Kaspar Pfister, Claudia Kanz und Bürgermeister Frank Schroft.Foto: Karina Eyrich / Schwarzwälder Bote
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Ausgabe 44/2024

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von Stadt Meßstetten
31.10.2024
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