„Grundgesetz, Artikel 1, (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ 2024 feiern wir 75 Jahre Grundgesetz. Eine Foto-Ausstellung würdigt dies.
„Ich wollte daran erinnern, worauf dieser Satz beruht“, sagt Jörg Winter. „Das gerät durch die historische Distanz in Vergessenheit.“ Der Satz sei vor 75 Jahren ins Grundgesetz aufgenommen worden, resultierend aus der nationalsozialistischen angestrebten „Endlösung der Judenfrage“. Ihr Ziel war, alle europäischen Juden zu ermorden.
Da der Durlacher Jörg Winter jedoch nicht nur Professor für Kirchenrecht ist, sondern auch Hobby-Fotograf, entschied er sich für einen besonderen Ansatz: Er stellte zwölf Fotografien mit Begleittexten zum Thema „Menschenwürde“ zu einer Ausstellung zusammen. Zu sehen war sie im Gemeindesaal Am Zwinger, nächstes Jahr wird sie im Evangelischen Oberkirchenrat in der Blumenstraße in Karlsruhe gezeigt werden.
Mit seinen Fotografien spannt Jörg Winter einen weiten Bogen von etwa 1940 bis heute. Der Schriftzug „Arbeit“ spannt sich über dem Eingangstor zum Konzentrationslager Auschwitz. „Arbeit macht frei“, steht dort. „Das ist zynisch“, sagt Jörg Winter. „Auschwitz ist zum Synonym für die Entwürdigung des Menschen geworden.“ Auch die Blechdosen, aus denen das Giftgas Zyklon B kam, zeigt er. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland … er schenkt uns ein Grab in der Luft“, so ein Zitat aus der „Todesfuge“ von Paul Celan, die im Begleittext steht.
Andere Fotos zeigen die Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee, das Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen, die Folterkammer in der Haftanstalt Sighetu Marmatiei in Rumänien, in der bis 1964 politische Gefangene unter „miserablen Haftbedingungen“ interniert waren. „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“ verweist Jörg Winter auf Artikel 5 der Allgemeine Erklärung der Menschrechte vom 10. Dezember 1948... Ein obdachloser Mensch ist zu sehen, der unter eine Brücke in Paris schläft. In der Erklärung der Menschenrechte steht im Artikel 25: „Jeder hat das Recht auf [...] Wohnung… …“
Auf eine im Wesentlichen geschlechtsspezifische Verletzung der Menschenwürde weist ein Foto von einem Laufhaus in der Karlsruher Brunnenstraße hin. Auch ein alter Mensch, der gefüttert wird, ist zu sehen. Hier verweist Jörg Winter auf die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen 2006. Nicht zuletzt demonstriert ein Foto mit einem halb abgerissenen Plakat die Aushöhlung des Asylrechts.
„Die Menschenrechte an den Außengrenzen der EU sind ramponiert“, sagt Jörg Winter. „Für eine humane Gesellschaft ist es essenziell, dass die Menschenwürde jedes Einzelnen gewahrt wird.“ Der Mensch dürfe nicht zum Ding gemacht und er dürfe nicht „verzweckt“ werden. Eine Prostituierte sei ein Objekt sexueller Ansprüche, das sich Männer kaufen könnten. Menschen dürften nicht wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder Religion menschenunwürdig behandelt werden.
„Mir ist es wichtig, die Erinnerung daran wachzuhalten, welche Folgen solche Denkweisen haben“, sagt er. Es wird derzeit wieder nationalistisches Gedankengut produziert. „Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Menschen verzweckt werden“, sagt er, „und ich möchte auch nicht, dass andere Menschen nicht selbstbestimmt leben können.“ Mit seinen Fotos wolle er dafür sensibilisieren, was heute die Menschenwürde berührt und dazu beitragen, dass sich das nicht verstärkt. Auch in Bezug auf die anstehenden Neuwahlen kann es wichtig sein, im Auge zu haben, welche Parteien sich für die Würde des Menschen einsetzen. (rist)