Kraichgau ... von Hans-Joachim Of
Dass Friedrich Karl Franz Hecker am 28. September 1811 in Eichtersheim (heute Angelbachtal) im damaligen Großherzogtum Baden geboren wurde, dürfte bekannt sein. Eine Gedenktafel im ehemaligen Venningenschen Rentamt, Heckers Geburtshaus, erinnert ebenso an den radikaldemokratischen Agitator und populären Redner, der in der Anfangsphase der Badischen und Deutschen Revolution 1848/49 eine zentrale Rolle spielte, wie das Friedrich-Hecker-Gymnasium in Radolfszell oder die Friedrich-Hecker-Schule in Sinsheim. In Heidelberg, wo der ausgezeichnete Schüler Hecker an der Universität Jura studierte, ist eine Straße nach ihm benannt, wie auch in zahlreichem anderen Städten Badens.
Kürzlich hat der in Karlsruhe geborene und im Kraichgau aufgewachsene Autor und Journalist Frank Winter in der Stadtbibliothek Bruchsal vor zahlreichem Publikum, darunter auch Gäste aus Kraichtal und angrenzenden Ortschaften, in einer Lesung aus seinem 2019 erschienenen Werk „Den Feigen tritt jeder Lump“ das Leben und Wirken des Revolutionärs und aufrichtigen Demokraten Friedrich Hecker (1811-1881) nachgezeichnet. Nicht zuletzt deshalb, weil es auch in seiner eigenen Vita viele Gemeinsamkeiten gebe und ihn das spannende Thema schon seit seiner Kindheit berühre, „zumal mein Vater auch aus dem Kraichgau stammt und mein Onkel Johann Winter 1845 und drei Jahre vor Friedrich Hecker, ebenfalls nach Illinois/USA emigrierte“.
Frank Winter, früherer Schüler am Karlsruher Goethe-Gymnasium, studierte in Frankfurt Germanistik, Soziologie und Philosophie, und hat für sein inzwischen neuntes Buch viele Monate recherchiert, Archive gesichtet und mit Nachfahren Heckers in St. Louis/Missouri gesprochen. Lansing Hecker, Deutsch-Amerikaner der vierten Generation, hat in einem Vorwort sowohl seinen Ururgroßvater, „den stürmischen, rothaarigen Heißsporn“ Friedrich Hecker, als auch den Autor gewürdigt. In einer Video-Liveschaltung beantwortetet der heute 75-jährige Lansing Hecker aus seinem Arbeitszimmer – im Hintergrund sieht man neben der Deutschlandfahne auch den Heckerhut mit Feder und schwarz-rot-goldener Kokarde – nun die Fragen Winters, der die Antworten ins Deutsche übersetzte. Der Ururgroßenkel von Friedrich Hecker erzählte vom amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865), wobei die meisten Deutschen aufseiten der Nordstaaten und Demokraten gewesen seien. Lansing's Onkel George Hecker habe auf dem Dachboden des Farmhauses, in dem Friedrich Hecker lebte, im Nachlass zahlreiche Dokumente gefunden, die als „Hecker-Papers“ heute auch in deutschen Archiven zu finden sind.
„Friedrich Hecker hat auch Wahlkampf für den späteren US-Präsidenten Abraham Lincoln gemacht“, erzählt Lancing. Heute seien „weit über 100 Nachfahren“ des Revolutionärs in alle Winde verstreut, arbeiten als Anwälte oder Ärzte, doch nicht wenige lebten noch immer im südlichen Illinois am großen Fluss Mississippi. Lancing Hecker wurde am Ende des Interviews mit großem Beifall des Auditoriums verabschiedet. Winter beschreibt in seiner Hommage an Friedrich Hecker einen überzeugten Demokraten, der frustriert im Alter von 37 Jahren nach der Niederlage des nach ihm benannten, revolutionären Aufstandes („Heckerzug“) nach Amerika auswandert, um dort neu zu beginnen. Nach den in Deutschland geborenen Kindern Arthur, Malvina und Erwin kamen später in Belleville/Illinois die zwei weiteren Söhne Alfred (1852) und Alexander (1854) zur Welt. Verheiratet war Friedrich Hecker seit 1839 mit der Mannheimerin Marie Josefine Eisenhardt. Als guter Redner sei Hecker von seinen radikaldemokratischen, sozialistischen Ideen überzeugt gewesen, forderte 1847 unter dem Eindruck grassierender Hungersnöte und des Missverhältnisses zwischen Kapital und Not eine deutsche Republik und die Demokratie ein. Versammlungen in Offenburg und Karlsruhe hatten im Frühjahr 1848 Hoffnung geschürt, doch die Eingaben am Frankfurter Vorparlament scheiterten.
Enttäuscht unternahm Hecker zusammen mit seinem Gesinnungsgenossen und Freund Gustav von Struve am 13. April 1848 einen bewaffneten Aufstand von Konstanz nach Karlsruhe, der als Heckerzug in die Geschichte einging – doch an der übermächtigen gegnerischen Militärmaschinerie im „Gefecht auf der Scheideck“ bei Kandern im Südschwarzwald scheiterte. „Wir standen auf und unterlagen, weil beim Volke der Mut der Tat nicht dem Mut des Wortes gleichkam“, so Hecker 1848 in Straßburg. Nach der Niederlage war Hecker zunächst nach Muttenz bei Basel geflohen und später ins Elsass weitergezogen, wo ihm die Behörden umgehend mit Ausweisung drohten.
Er beschließt, in die USA auszuwandern und setzt am 20. September 1848 von Le Havre aus nach New York über, wo ihm bei seiner Ankunft 20.000 Menschen zujubeln. Frank Winter begleitet im spannenden Lesewerk seinen Protagonisten in die fremde Welt, wo er auf einer Farm in Illinois – landschaftlich mit vielen Ähnlichkeiten zum Kraichgauer Hügelland – Viehzucht und Weinbau betreibt. Auch Heckers Vater Joseph Hecker hatte Wein angebaut. Im Mai 1849 reist Hecker nochmals für kurze Zeit per Schiff nach Europa zurück, doch die Badische Revolutionsarmee, die er unterstützen wollte, wurde schon kurze Zeit nach seiner Ankunft durch den Sieg preußischer Truppen über die Revolutionsarmee am 23. Juli 1849 in Rastatt, blutiger als zuvor, niedergeschlagen. Hecker war zu spät gekommen und kehrt Baden endgültig den Rücken, fristet das harte Leben eines Bauern in Illinois und erreicht, was kaum einem Akademiker gelingt. Seine Farm in der Prärie floriert, doch auch in den USA legte er seine Überzeugungen nicht ab. Er zieht als Oberst des „24th Illinois Infantry Regiment“ in den amerikanischen Bürgerkrieg und kämpft auch dort für Freiheit und Gerechtigkeit. Einmal noch, im Jahr 1873, besucht er Deutschland. In Mannheim ist die Rheinbrücke vor lauter Menschenvolk nicht zu sehen. Seine Landsleute erzählen stolz von der Einheit. Der promovierte Jurist Hecker, der seine gut gehende Anwaltspraxis in Mannheim verließ, um für die Demokratie zu kämpfen, nahm auch hier kein Blatt vor den Mund und erklärte den Leuten, dass Einheit ohne Demokratie und Freiheit gar nichts bedeute. Am 24. März 1881 stirbt Hecker in Summerfield/USA. Am Ende blieb lediglich die Frage offen, welche Aussage im Buchtitel steckt? Dieser Satz entstammt einem Dialog, in dem es um Einwanderer und Sklavenhaltung im Amerika des Jahres 1855 geht. „Wer sich selbst nicht achtet, der wird verachtet. Den Feigen tritt jeder Lump“, hatte Revolutionär Hecker ausgerufen. Im Vorjahr waren anlässlich des 175-jährigen Jubiläums der Badischen Revolution zahlreiche Nachfahren Heckers in der vierten Generation auf Spurensuche in den Kraichgau gekommen.