
Die Wespe, die Linsen wachsen lässt
Wer im Herbst unter Eichen nach unten blickt, entdeckt manchmal Blätter voll winziger flacher Scheiben. In regelmäßigen Häufchen zieren sie als runde Wucherungen das Laub. Verantwortlich für diese sogenannten Linsengallen ist die winzige Eichenlinsengallwespe (Neuroterus quercusbaccarum). Das nur drei Millimeter große Insekt ist schwarzbraun mit durchsichtigen Flügeln und zwingt die Eichen, für jede seiner Larven ein eigenes kleines „Kinderzimmer“ zu bauen.
Die Gallen sind selbst kaum größer als ein paar Millimeter. Oft sind Dutzende davon dicht gedrängt an der Blattunterseite platziert. Anfangs sind sie grünlich oder rötlich gefärbt, später hellbraun und leicht behaart. Auf der Oberseite des Blattes sieht man kleine Spuren der darunterliegenden verborgenen Kammern als helle Punkte.
Noch erstaunlicher als die kleinen Auswüchse selbst ist deren Entstehungsgeschichte. Im Herbst sitzen die Larven der Wespe geschützt in ihren Linsengallen. Mit den fallenden Blättern gelangen sie zu Boden, wo sich die Gallen mit Feuchtigkeit vollsaugen. Die Larven fressen sich aus den Blattbunkern heraus und verpuppen sich im Boden, wo sie den Winter überdauern. Im Frühjahr schließlich schlüpfen ausschließlich Weibchen. Sie benötigen keine Männchen, sondern legen die unbefruchteten Eier in Knospen von Blättern und den männlichen Kätzchen (Blüten) der Eiche ab. Dort entstehen kugelige saftige Falläpfel und der Generationswechsel von der ein- zur zweigeschlechtlichen Fortpflanzung beginnt. Im Mai schlüpfen daher sowohl Weibchen als auch Männchen. Nach der Paarung legen die befruchteten Weibchen ihre Eier an die Blattunterseiten. Dort wachsen im Sommer die charakteristischen Linsengallen heran, die im Herbst wieder zu Boden fallen. Der Zyklus kann von Neuem beginnen.
Was auf den ersten Blick parasitär aussieht, ist für den Baum kaum schädlich – und für uns äußerst faszinierend. Bei aufmerksamer Betrachtung finden sich sogar viele verschiede Varianten, die von den zahlreichen Gallwespenarten verursacht werden.