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Gasthaus Löwen – Ende einer Ära nach 222 Jahren

Der Löwen war nach dem Lamm und dem Ochsen in Oberurbach und dem Hirsch und der Traube in Unterurbach der älteste Gaststättenbetrieb in Urbach. Er wurde...
Der Löwen um 1910
Der Löwen um 1910Foto: Museumsarchiv

Der Löwen war nach dem Lamm und dem Ochsen in Oberurbach und dem Hirsch und der Traube in Unterurbach der älteste Gaststättenbetrieb in Urbach. Er wurde bereits 1801 von Johann Georg Kaufmann eröffnet und hatte bis zum Jahr 1873 fünf verschiedene Besitzer. Im Jahr 1873 übernahm Johannes Härer, Wirt und Metzger, die Gaststätte. Es gab dann mit Johann Jakob Schabel, Metzger und Karl Espenlaub, Wirt und Metzgermeister, der anschließend das Rössle in Oberurbach übernahm, noch zwei andere Inhaber, bevor Julius Härer, Metzgermeister und Wirt, 1904 Metzgerei und Gaststätte übernahm. Er baute bereits 1905 eine „Schlächterei“ ein und betrieb eine weithin bekannte Metzgerei. Dieser Julius Härer (1879 – 1961) verheiratet seit 1906 mit Friederike geb. Kerler war ein Unterurbacher Original. Er war langjähriger Gemeinderat, war beiläufig noch „Zinsamichel“ und fuhr bereits in den ersten Nachkriegsjahren einen Opel Kapitän. Das Ehepaar hatte fünf Kinder: Alfred *1907, Julius *1908, Otto *1912, Helene *1913 und Rudolf *1919. Otto und Rudolf starben früh, Julius zog nach Plüderhausen, Helene blieb in Urbach, heiratete Ernst Morlok und arbeitete, nachdem ihr Mann im Krieg vermisst wurde, im Betrieb des Vaters bzw. des Bruders. Sie war eine stämmige, energische Person und bei den Urbächern beliebt und bekannt.

Der Sohn Alfred, Metzgermeister und Wirt, übernahm 1952 Metzgerei und Wirtschaft. Er war mit Emilie geb. Hägele verheiratet. Auch er fuhr später einen Opel Kapitän, in den er allerdings aufgrund seiner Leibesfülle seitlich hineinrutschen musste. Das große Fahrzeug war auch notwendig, da die Härers sich ihr Schlachtvieh nicht vom Händler liefern ließen, sondern selbst bei Bauern in der Region kauften und holten. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, Christa, genannt „Christel“ und Eva-Maria. Alfred Härer verstarb 1972. Nach dem frühen Tod des Ehemannes übernahm Emilie Härer den Gaststättenbetrieb ohne die Metzgerei. Die Hauptstraße war damals noch Bundesstraße und 1962 fuhr ein Lkw-Zug, der die gepflasterte „Kurve nicht mehr kriegte“, ins Gebäude. Es musste daraufhin weitgehend abgerissen werden und es entstand der heute noch vorhandene „Umbau“ ohne Saal und ohne Metzgerei, dafür mit Fremdenzimmern und Wohnung in den Obergeschossen.

Im Jahre 1972 wurde dann ein neuer Anbau mit einem großen Lebensmittelgeschäft der Firma Nanz aus Stuttgart verwirklicht. 1998 wurde im vorderen Teil des ehemaligen Lebensmittelmarktes eine Apotheke eingerichtet und die restlichen Räume als Lager verwendet. Bereits seit 1959 war Marko Cubelic in der Familie tätig und führte als Koch die bis zuletzt noch angebotenen Balkanspezialitäten ein. Im Jahr 2001 übernahm die Tochter Christel Härer die Wirtschaft und führte sie bis zur altersbedingten Aufgabe im Jahr 2023 gemeinsam mit ihrem Küchenchef Andreas Trautmann weiter.

Christel war eine beliebte Wirtin, belesen, zeitgeschichtlich informiert und politisch engagiert. Sie war von 1993 bis 2001 und von 2014 bis 2019 im Urbacher Gemeinderat. Man ging gerne zur „Christel“. Ob es der Gemeinderat bei der Nachsitzung, der Stammtisch der Lehrer des Schorndorfer Gymnasiums, die Männer des Gesangvereines nach der Singstunde oder einfach bei einer Familienfeier war, man fühlte sich im Löwen wohl. Es war eben eine typische Dorfwirtschaft, was auch Anekdoten aus verschiedenen Jahrzehnten belegen können.

1947 kam der Förster Rudolf Gatter nach Urbach, um das Forstrevier Eulenhof zu übernehmen. Das Forsthaus war aber noch durch Bessarabiendeutsche Familien belegt und eine andere Wohnung nicht sofort zu finden, sodass er bis zum Familiennachzug 1949 in Urbach logierte und deshalb zum Essen Stammgast im Löwen war. Dort war die Bedienung Helene und ihr kleiner Sohn Peter in der Gaststätte und Rudolf erzählte später, dass er nach dem Essen dem Erstklässler Peter das Rechnen beigebracht hat.

In den 50er-Jahren hatten die Hausärzte Dr. Willy Häusermann aus Plüderhausen und Dr. Otto Scherer aus Unterurbach engen Kontakt und sind zuweilen auch im Löwen zur Mittagspause eingekehrt. Wenn Sie nach dem Essen noch nicht zur Sprechstunde mussten und noch Lust auf ein Kartenspiel hatten, fehlte manchmal der dritte Mann. Hier wurde Abhilfe geschaffen, indem man zum gegenüberliegenden Schmied und Schlosser Albert Walter, in Urbach auch unter seinem Necknamen „Gottverdore“ bekannt, schickte und dieser dann auch kam. Er hatte an seiner Schmiede schon ein Schild vorbereitet, mit der Aufschrift auf der Vorderseite „bin im Löwen“ und auf der Rückseite „bin zu Hause“, denn er wohnte in der Bachstraße. Dies war praktisch, denn man meldete sich damals beim Handwerkerbesuch nicht telefonisch an, sondern ging einfach vorbei.

In den 80er-Jahren waren die „Nachsitzungen“ des Gemeinderates nahezu ausschließlich im Löwen. Man kam kurz vor 23 Uhr, bekam sogar noch was zu essen und ging meist erst nach Mitternacht. Es konnte passieren, dass der damalige katholische Pfarrer Hochwürden Martin Schultz schon drin war und diskutierte und nach Auszug der Räte immer noch bei seinen Freunden saß. Nachdem seine Schwester, mit der er zusammen wohnte, im Gemeinderat war, wurde es ihm wohl an den Sitzungsabenden zu Hause zu langweilig.

Selbstverständlich gönnen alle Urbacher „Christel“ Härer ihren verdienten Ruhestand mit mehr Freizeit für sich, ihren Martin und ihre Hobbys. Dennoch bedauern es wohl alle, dass mit dem Löwen eine weitere traditionsreiche und gute Gaststätte verschwunden ist. Es bleibt die Hoffnung, dass sich möglicherweise doch noch ein Gastronom oder eine Gastronomin findet, die die gemütliche Speisewirtschaft weiterführen.

Erscheinung
Urbacher Mitteilungen
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Ausgabe 19/2024
von Geschichtsverein Urbach
08.05.2024
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