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Gedenken an Deportationen: „Antisemitismus exisitert noch“

Vergangene Woche jährte sich der Jahrestag der Deportation jüdischer Mitmenschen nach Gurs zum 85. Mal. Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern des...
Drei Mädchen, die etwas vorlesen, eine hat ein Mikro in der Hand.
Schülerinnen und Schüler des Bergstraßen-Gymnasiums erinnerten anlässlich der Gedenkstunde an das Schicksal der deportierten Hemsbacher Juden.

Vergangene Woche jährte sich der Jahrestag der Deportation jüdischer Mitmenschen nach Gurs zum 85. Mal. Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern des Bergstraßen-Gymnasiums erinnerte die Stadt Hemsbach mit einer Feierstunde in der Ehemaligen Synagoge an diesen dunklen Tag der Geschichte. Und an gepackte Koffer, die angesichts wachsenden Antisemitismus wieder ins Bewusstsein von Juden rückten, wie Patrick Baumgärtner sagte.

Der Morgen des 22. Oktober 1940 war der Morgen der Deportationen der Juden aus Baden und der Saarpfalz nach Gurs. Sowohl die Familie Theodor Pflästerer als auch Rosa Schlösser und ihre Tochter erlebten ihn in Hemsbach. „Sie mussten packen. Nicht, weil sie wollten“, erinnerte Bürgermeister Jürgen Kirchner an die geplante Wagner-Bürckel-Aktion, einen Vorläufer des Holocaust. Und so wie der Holocaust kam auch die Deportation nicht von ungefähr. „Sie folge auf die schrittweise Ausgrenzung“, beschrieb es der Vorsitzende des Fördervereins Ehemalige Synagoge, Patrick Baumgärtner, der zugleich als Lehrer die Gedenkstunde mit den Schülerinnen und Schülern erarbeitet hatte. Er sah es als starkes Zeichen, dass sich die jungen Menschen der 9. bis 11. Stufe zusammengefunden hatten, um dem Geschehen der Vergangenheit zu gedenken.

Unmenschliche Zustände

Die Schülerinnen und Schüler taten das, in dem sie die Biografien von Theodor Pflästerer und Rosa Schlösser nachzeichneten – bis hin zum Morgen des 22. Oktobers. Sie beschrieben auch die unmenschlichen Zustände im Lager Gurs, in dem viele der Deportierten aufgrund von Krankheit, katastrophalen hygienischen Missständen oder Hunger starben. Sie gaben den Deportierten zugleich eine Stimme, als sie deren Gedichte vortrugen und auf einer Leinwand ihre Zeichnungen zeigten. Die Kunst als Flucht aus dem Grauen. Gegenwärtig war die jüdische Kultur während der Feierstunde ebenso durch eingespielte, auf jiddisch gesungene Lieder. Doch nichts konnte darüber hinwegtäuschen, was so viele damals erwartete: der Tod. Nur wenige der badischen Juden überlebten. Theodor Pflästerer gehörte dazu. Rosa Schlösser nicht.

Sorge vor wachsendem Antisemitismus

Für sie wie auch die anderen aus Hemsbach verschleppten Juden entzündeten die Schülerinnen und Schüler Teelichter. Zwei Koffer daneben standen für das, was den Menschen damals passierte. Zugleich sollten sie das Thema des diesjährigen Gedenkens unterstreichen. Das hieß „Nie wieder packen müssen“. Baumgärtner erinnerte jedoch an den Druck, unter dem Demokratien stehen und den Einfluss antidemokratischer Parteien, durch die gepackte Koffer wieder ins Bewusstsein jüdischer Mitbürger rückten. Er erinnerte daran, dass Juden nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa aus Angst ihre Identität verstecken, sprach von einer Zeit des wachsenden Antisemitismus, der nie der Vergangenheit angehört habe. „Antisemitismus existiert noch. Ebenso Hass“, verdeutlichte auch Bürgermeister Kirchner. Die Schülerinnen und Schüler gaben indes ihrem Hoffen auf ein entschiedenes Auftreten gegen Judenfeindlichkeit Ausdruck. Sie appellierten, das Geschehene nicht zu vergessen. Ein Gedanke, den auch Kirchner stützte. Erinnerungskultur, so sagte er, sei keine Bürde, sondern ein Zeichen von Reife. Und sie beginne im Kleinen, verwies der Bürgermeister auf ein respektvolles Miteinander. „Lassen Sie uns gemeinsam dafür einstehen, dass niemand in unserer Stadt, in unserem Land jemals wieder packen muss“, forderte er, dass Hemsbach ein Ort bleibe, in dem jede und jeder in Würde, Sicherheit und Respekt leben könne. (cs)

Hintergrund: Das Lager Gurs

Das Internierungslager Gurs lag im unbesetzten Teil Frankreichs, tief im Süden nahe der spanischen Grenze. Ursprünglich war es ein Ort, an dem politische Gegner und Kämpfer des spanischen Bürgerkriegs interniert waren. Das Lager erstreckte sich über 80 Hektar, war in seiner Größe aber nicht darauf ausgelegt, auch die aus Deutschland deportierten oder in Frankreich festgesetzten Juden aufzunehmen. Es war damit hoffnungslos überfüllt. Einigen Insassen gelang die Flucht, andere starben in Gurs oder später, als Züge sie in das Vernichtungslager Auschwitz brachten, in dem die Gaskammern auf sie warteten. (cs)

Zwei Koffer, dahinter brennende Teelichter und kleine Kacheln mit Namen und Daten.
„Nie wieder packen müssen“ – dafür standen zwei Koffer anlässlich der Gedenkstunde.Foto: cs
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von Redaktion NUSSBAUMRedaktion NUSSBAUM
30.10.2025
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