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Gedenken an die Dossenheimer Oppenheimer

Am vergangenen Montag, 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an alle Opfer des Nationalsozialismus, wurde ein Teil des Bahnhofsplatzes, zwischen Post- und...

Am vergangenen Montag, 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an alle Opfer des Nationalsozialismus, wurde ein Teil des Bahnhofsplatzes, zwischen Post- und Bankgebäude, umbenannt in „Oppenheimer Platz“, so einstimmig vom Gemeinderat Ende 2024 beschlossen. An dieser Stelle wurden bereits bei der 1. Stolpersteinverlegung am 17. Juli 2021 drei Stolpersteine zum Gedenken an das Schicksal von Sigmund, Klara und Walter Oppenheimer verlegt.

Die Initiative Stolpersteine Dossenheim dankt der Heidelberger Volksbank, Eigentümerin der Grundstücke Beethovenstr. 22 und 24, für die freundliche und unproblematische Genehmigung der Umbenennung dieses Platzes zum „Oppenheimer Platz“.

In Anwesenheit von Gaby Oppenheimer, Tochter von Max Oppenheimer und Enkelin von Leopold Oppenheimer, begrüßte Pfarrer Ronny Baier vor rund 100 Anwesenden im Namen der Initiative Stolpersteine Dossenheim die anwesenden Gäste. In Vertretung von Bürgermeister David Faulhaber enthüllte Helga Waller-Baus, 1. Stellvertreterin, das neue Namensschild. Den musikalischen Rahmen zu Beginn und am Ende gestalteten Pauline Pfeifer, Karla Schmitt und Elena Neumann mit den Werken „Pastorale“ von Kranz und „Pie Jesu“ von Fauré. Gaby Oppenheimer bedankte sich sehr herzlich bei den Dossenheimer Akteuren für diesen bedeutsamen Akt der Erinnerungskultur in unserer Bergstraßengemeinde. Die Namen der 23 Dossenheimer Oppenheimer verlasen Michelle Lara-Martinez und Adrian Bonifer vom Dossenheimer Jugendgemeinderat.

Stellvertretend für Norbert Giovannini, der kurzfristig verreisen musste, trug Rainer Loos dessen Rede zum Gedenken an die Dossenheimer Oppenheimers vor. Hier der vollständige Text:

Liebe Frau Oppenheimer, liebe Dossenheimerinnen, liebe Dossenheimer,

es ist inzwischen fester Teil der deutschen Gedenkkultur, am 27. Januar jeden Jahres an die Befreiung des Konzentrations- und Tötungslagers Auschwitz zu erinnern. In gleicher Weise erinnern wir an die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 und hier in der Region an die Oktoberdeportation jüdischer Menschen aus Baden, der Pfalz und dem Saarland nach Südfrankreich in das Lager Gurs ab dem 22. Oktober 1940. Es gibt in den letzten Jahren aber auch wieder bedenkliche Tendenzen, diese Gedenkkultur infrage zu stellen, sie beenden zu wollen. So, wie man alsbald nach dem Ende von Faschismus und Krieg einen Schlussstrich ziehen wollte.

Dass wir heute in Dossenheim einen Platz nach den Familien Oppenheimer aus Dossenheim benennen, ist ein Zeichen gegen diese bedenklichen Tendenzen. Erinnerung ist Bewahrung, Gedenken, Aufforderung und Appell. Eine Gesellschaft ohne Erinnerung ist geschichtsvergessen. Wie ein Mensch ohne Erinnerung will sie nichts wissen; gerne erinnert man an das Gute, an herausragende, positive, vielleicht sogar glorifizierte Geschehen. Aber die bösen, brutalen, menschenfeindlichen Geschehen sollen endlich vergessen werden. Eine Gesellschaft ohne Erinnerung will dieses Vergessen, weil es unangenehm, störend, belastend ist. Sie will die Opfer vergessen – aber auch die Täter. Sie will den Opfern ein zweites Mal den Namen, die Erinnerung, das Leid und ihre Existenz nehmen. Sie will, dass die beharrlichen Fragen nach den Ursachen und den Verantwortlichen, den Tätern und Mitmachern verschwinden. Dem stellen wir uns hier buchstäblich entgegen.

Jüdische Menschen gehörten zu unserem Ort. Hier sind sie groß geworden, hier haben sie gelebt, geliebt, gearbeitet, gefeiert, getrauert. Sie waren Teil der Gemeinde. Und sie sollen es in der Erinnerung auch bleiben. Sie wurden vertrieben, entehrt, beraubt, verletzt, getötet. Und deshalb umso mehr gehören sie zu unserem Ort und seiner Geschichte.

Der Name, den wir diesem Platz nunmehr geben, ist ein Impuls. Auch künftige Generationen werden fragen: Wer waren diese Oppenheimers? Welche Chancen hatten sie in ihrem Leben, welche Perspektiven, welche Zukunft? Und durch wen und wie wurde das zunichte gemacht? Wie haben sie gelebt – und wie überlebt? Was erzählen ihre Biografien über ihr Leben, ihr Leiden, ihr Überleben und ihre – oft gebrochene, oft gewaltige und unbeugsame – Lebenskraft?

Zu den Dossenheimer Oppenheimers zählen 23 Menschen.

Das sind aus der älteren, vor 1933 gestorbenen Generation Bernhard und seine Frau Auguste Oppenheimer.

Dann ihre Söhne und Töchter Sally (Gurs), Sigmund (Gurs, 1942 in Auschwitz getötet), Leopold (Gurs/Majdanek), die 1940 nach Gurs deportiert wurden und dort starben, dann Rosa, die aus Gurs in die USA fliehen konnte, und Lina, die in Argentinien überlebte und nach Deutschland zurückgekehrt ist. Mit den Söhnen wurden die Schwiegertöchter deportiert. Flora, die zwei Tage nach Ankunft in Gurs gestorben ist, sowie Klara, die im August 42 in Auschwitz getötet wurde. Und Rositta, die Gurs und das Lager Noé überlebte und nach Heidelberg zurückkehrte.

Ebenfalls nach Gurs deportiert wurden weiter Verwandte oder Kinder des Ehepaars Bernhard und Auguste Oppenheimer:

Rosa Oppenheimer, verh. Rosa Hirschbruch. Sie überlebte und ist in die USA ausgewandert.

Der Teegroßhändler Emil Oppenheimer, der am 17. September 1941 in Gurs gestorben ist.

Und die Modistin Berta Oppenheimer, die am 1. August 1942 aus Gurs nach Auschwitz deportiert wurde und dort getötet wurde.

Von den Enkelkindern überlebten im Exil Franz und Eleonore Oppenheimer, Walter Oppenheimer, Max Ludwig sowie Hermann und Sally Österreicher und die Kinder der Lina Bender, Liese Lotte und Paul. Hans Bernd Oppenheimer starb nach einem erbarmungslosen Hungermarsch aus Auschwitz in Buchenwald drei Tage vor der Befreiung des Lagers.

In einer Welt, in der Verfolgung, Unterdrückung, Lagerhaft, Flucht, Kindersoldaten, Vergewaltigungen als Kriegswaffe, Folter und monströse, autoritäre Regime, denen das menschliche Leben nichts wert ist – in einer solchen Welt rückt uns das „Damals“ unmittelbar als Gegenwart nahe. Wir erleben die Fortsetzung des Leidens mit neuen Ortsbezeichnungen und neuen Ländernamen. Dieses Leiden ist geprägt und begründet mit wahnwitzigen Ideologien. Und aus all diesem Leiden schöpfen wir, wenn wir die Augen nicht verschließen, Hoffnung. Auf Menschlichkeit, Solidarität, Humanität und Achtung. Deshalb erinnern wir. Deshalb stehen wir hier. Und deshalb gedenken wir der Oppenheimers. Hier in Dossenheim.

(Rainer Loos)

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