Gedenkfeier zur Reichspogromnacht

„Nie wieder ist jetzt“ Am Sonntagabend fand wie jedes Jahr auf dem Synagogenplatz in der Mosbacher Altstadt die Gedenkfeier anlässlich der Reichspogromnacht...
Die Schülerinnen und Schüler der beiden allgemeinbildenden Gymnasien im Stadtgebiet Mosbach trugen historische Texte und Lieder zur Reichspogromnacht in Mosbach vor.
Die Schülerinnen und Schüler der beiden allgemeinbildenden Gymnasien im Stadtgebiet Mosbach trugen historische Texte und Lieder zur Reichspogromnacht in Mosbach vor.Foto: rb

„Nie wieder ist jetzt“

Am Sonntagabend fand wie jedes Jahr auf dem Synagogenplatz in der Mosbacher Altstadt die Gedenkfeier anlässlich der Reichspogromnacht am 10. November 1938 statt. Dabei wurde an das Leid der jüdischen Bevölkerung während der Zeit des Nationalsozialismus erinnert, welches sich auch in Mosbach ereignete.

Die Reichspogromnacht steht für den Antisemitismus in Deutschland und den Wandel hin zu einer Entwicklung, die in einer „Endlösung der Judenfrage“ im Sinne der Ermordung der europäischen Juden im deutschen Machtbereich mündete. „Pogrom“ bedeutet definitionsgemäß „Hetze und gewalttätige Angriffe gegen Leben und Besitz einer religiösen, nationalen oder ethnischen Minderheit mit Duldung oder Unterstützung der Staatsgewalt“.

Die Veranstaltung sollte nicht nur an die Vergangenheit erinnern, sondern auch die Frage aufwerfen: „Was bedeutet Gedenken heute?“

APG & NKG

Die Feierlichkeiten wurden dieses Jahr von Schülerinnen und Schülern des Auguste-Pattberg-Gymnasiums (APG) in Neckarelz und des Nicolaus-Kistner-Gymnasiums (NKG) in der Mosbacher Kernstadt gestaltet. Den Auftakt bildete eine Musikgruppe des NKGs mit dem Lied „Donna, donna“, das die Situation der Juden in der Zeit des Dritten Reiches reflektiert. In seiner Begrüßung betonte Oberbürgermeister Julian Stipp, dass die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die Ergebnisse der Präsidentenwahl in den USA sowie der Zerfall der deutschen Bundesregierung sich kaum als gute Vorzeichen für eine Verbesserung deuten ließen.

Grundgesetz

Mit Stolz und Dankbarkeit könnte man auf den Mauerfall vor 35 Jahren als größten Höhepunkt des europäischen Einigungsprozesses zurückblicken. Aber auch 75 Jahre Grundgesetz, mit seinem klaren Bild des einzelnen Menschen als Individuum samt dessen „unantastbarer“ Würde, stünde dafür. Er zeigte sich auch dankbar, dass so viele Menschen aus der Stadtgesellschaft, der Politik, den Kirchen, Vereinen und Organisationen gekommen seien und Flagge zeigten. Man könne als deutscher Staatsbürger fest an der Seit Israels stehen, auch „wenn man nicht jeden Tag gutheißen müsse, was eine israelische Regierung tut“. Stipp lobte besonders das Engagement der jungen Menschen von NKG und APG.

Hebräische Lieder

Im Anschluss und auch später wurden von einer Schülerin mit eindringlicher und klarer Stimme hebräische Lieder vorgetragen, die das Gedenken unterstrichen. Ein Text lautete: „Nächstes Jahr, du wirst sehen, verbringen wir die Tage ohne Angst, froh und frei vor dem Haus, Kinder spielen um uns her, befreit von Angst und Schrecken. Und am Himmel ziehen Vögel dahin, nächstes Jahr, du wirst sehen, ist vorbei aller Krieg, und der Friede kehrt ein in dein Herz“.

Jüdisches Leben

Danach berichteten die Schülerinnen und Schüler, unterstützt von an die Wand projizierten Bildern, dass Anfang der 30er Jahre etwa 130 jüdische Bürgerinnen und Bürger in Mosbach lebten, die zahlreiche Geschäfte, wie eine Weinhandlung, ein Schuhgeschäft oder ein Modehaus betrieben.

Auch die jüdischen Kinder waren Klassenkameraden in der Volksschule. Dabei wurde die 13-jährige Elfriede Greilsheimer erwähnt, die 1944 mit ihren Eltern und den 10-jährigen Zwillingsschwestern in Auschwitz ermordet wurde. Ihre Geschichte ist im Stadtmuseum Mosbach nachzulesen.

Synagoge

Bereits seit 1860 stand eine Synagoge in Mosbach auf dem jetzigen Gedenkplatz. Die Menschen jüdischen Glaubens waren fest in die Stadtgemeinschaft integriert – viele davon angesehene Bürger, wie der Rabbiner und Historiker Dr. Leopold Löwenstein, der 1923 die Ehrenbürgerschaft erhielt. Ab 1933 hatten sich die politischen und gesellschaftlichen Zustände jedoch geändert. Jüdinnen und Juden wurden in ihrem Leben und ihrer Arbeit immer mehr bedrängt, ausgegrenzt und ihrer Rechte beraubt – auch in Mosbach. 1940 wurden die letzten 13 Juden nach Gurs (Südfrankreich) deportiert.

Erich Kästner

Die Schüler des APG berichteten zudem über Erich Kästner, einen deutschen Schriftsteller mit weltweitem Ansehen, dessen Werke für Freiheit und Menschlichkeit stehen. Eben das hatte ihn zu einem Ziel für die NS-Diktatur gemacht. Am 10. Mai 1933 wurden u. a. Kästners Bücher in Berlin und vielen anderen Städten verbrannt – ein Akt, der symbolisch für die Unterdrückung von Gedanken und freier Meinungsäußerung unter dem Naziregime stand. Kästner war einer der wenigen deutschen Autoren, die trotz dieser Verfolgung im Land blieben und das Geschehen aus nächster Nähe erlebten.

Bücherverbrennungen

Verschiedene Textstellen belegten seine Einstellung und Formulierungen: „Seit Bücher geschrieben werden, werden Bücher verbrannt“, oder: „man braucht nur einen kleinen Funken, um ein großes Feuer zu entzünden“.
Aber auch folgende Aussage wurde zitiert: „Die nationalsozialistischen Strömungen hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen, später war es zu spät“. Die Warnung daraus laute, so die Schülerinnen und Schüler: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat“.
Auch aus Heinrich Heines Tragödie „Almansor“, der selbst jüdischer Herkunft war, wurde schließlich ein bekanntes Zitat wiedergegeben: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“.

„Reichskristallnacht“

In der historisch-dokumentierenden Rückschau auf die sogenannte „Reichskristallnacht“ wurde ferner der überlieferte Bericht eines Mosbacher Schülers vorgetragen, der am 10. November 1938 mit seinen Klassenkameraden hatte „antreten“ müssen und zum Marktplatz geführt worden war. Dort hatte man einen großen Scheiterhaufen von Büchern und Möbelstücken aus jüdischem Besitz aufgetürmt, der von einem Uniformierten angezündet wurde. Bald darauf war, so der Aufschrieb, eine Sirene losgegangen und die Feuerwehr erschien, die Schläuche in die Gassen legte, um die Altstadt zu schützen, während die Synagoge weiter brannte. Später habe man gesehen, dass das Innere der Synagoge zerschlagen oder verbrannt war.

Das Zentrum der jüdischen Gemeinde in Mosbach war damit vernichtet worden. Einige Zeit später sei die Ruine abgebrochen worden.

Stellvertretend für die Stadt Mosbach verneigte sich Oberbürgermeister Julian Stipp vor dem Kranz bei der jüdischen Stele.

Schlusslied

Zum Abschluss stimmte Christof Roos das Lied „Shalom chaverim“ an. Die deutschsprachige Übersetzung: „Friede sei mit euch, Freundinnen und Freunde, wir wollen uns wiedersehen“. Nach einer gemeinsamen Strophe gelang es den Anwesenden sogar erstaunlich gut, das Lied vierstimmig als Kanon zu singen.

Mit dem Dank von Oberbürgermeister Julian Stipp an die Schülerinnen und Schüler von APG und NKG sowie allen Mitwirkenden endete die gemeinsame Gedenkfeier zur Reichspogromnacht. Stehen blieb noch eine Weile die aussagekräftige Einrahmung des Platzes mit beklebten Kartons, die jeweils einen großen Buchstaben zeigten und sich zusammen als „Nie wieder ist jetzt“ lesen lassen. (rb)

Erscheinung
Stadtanzeiger Mosbach
Ausgabe 46/2024
von Redaktion Nussbaum
14.11.2024
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