Stein um Stein

Gefestigt im Leben

Wie Klemmbausteine neurodivergenten Kindern helfen können
Klemmfestung
Sascha Krause, Anke Wahrenberg und ihr Sohn FelixFoto: Klemmfestung

„Klemmbausteine sind modulare Konstruktionselemente, die üblicherweise aus Kunststoff gefertigt sind und die sich sowohl kraftschlüssig als auch formschlüssig zusammenbauen lassen.“ So die schlichte Definition auf Wikipedia. Klemmbausteine können aber so viel mehr sein und beispielsweise bei neurodivergenten Kindern wahre Wunder bewirken. Diese Erfahrung machten Sascha Krause und Anke Wahrenberg eher zufällig. Heute teilen sie ihr Wissen und ihre Leidenschaft mit anderen – auf zwei Arten.

Vor rund zweieinhalb Jahren sind Sascha Krause und Anke Wahrenberg mit ihren beiden Kindern Kim und Felix innerhalb von Sulz am Eck umgezogen. Dass sie im Untergeschoss ihres Neubaus bereits eine Gewerbeeinheit vorgesehen hatten, war purer Zufall. Ebenso, dass Sascha Krause seine Leidenschaft für Klemmsteine durch seinen Sohn Felix wiederentdeckte. Als Kind hatte er die obligatorische Lego-Kiste unter dem Bett, wie er erzählt. Vor allem Ritter- und Weltraumthemen haben ihn interessiert. Wie die meisten anderen ist er aus diesem Hobby irgendwann „herausgewachsen“.

Während Felix Zeit im Kindergarten fiel zunehmend auf, dass er sich anders entwickelt als andere Kinder. „Wir haben das als Eltern zuerst gar nicht akzeptiert“, erinnert sich das Paar. Dennoch ging die Familie in ein Sozialpädiatrisches Zentrum, wo man den Verdacht der Erzieher bestätigte. Felix besuchte daraufhin das Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentrum Ludwig-Haap-Schule in Calw, trotzdem verschlimmerten sich seine Defizite während der Schulzeit explosionsartig. Arztbesuche, Therapien, Eigenrecherche und vieles mehr folgten. „Wir haben uns da jahrelang durchgekämpft“, erzählen Sascha Krause und Anke Wahrenberg. „Viele wissen gar nicht, was alles möglich ist.“ Hier und da gebe es zwar Anlaufstellen, aber keine, die Eltern gezielt und umfassend informiere. Dabei sei es wichtig, sich früh auf die besonderen Bedürfnisse eines neurodivergenten Kindes einzustellen. „Umso früher man hilft, desto schneller können die Kinder in die Gesellschaft integriert werden.“

In der Folge haben sich Sascha Krause und Anke Wahrenberg selbst intensiv mit dem Thema befasst und einiges getestet, um Felix zu helfen. Eine Mischung aus ADHS und Asperger macht es ihm unter anderem schwer, sich lange zu konzentrieren. Seine Feinmotorik war nur sehr schwach ausgeprägt. Eines Tages kam Sascha Krause die Idee: Vielleicht hat Felix ja Freude daran, mit Klemmsteinen etwas zu bauen, das thematisch zu seinen Interessen passt? Damit traf der Vater bei seinem Sohn genau ins Schwarze. „Auf einmal hat er angefangen zu bauen und konnte sich lange konzentrieren, seine Feinmotorik hat sich verbessert und auch das Schreiben ging plötzlich besser“, berichtet Sascha Krause, der bis heute beeindruckt von diesem unglaublichen positiven Effekt eines eigentlich so simplen und gängigen Spielzeugs ist.

Fortan stand das gemeinsame Bauen mit Klemmsteinen regelmäßig im Kalender von Vater und Sohn. Dabei entdeckte Sascha Krause seine eigene Begeisterung für Klemmsteine wieder. Und Anke Wahrenberg stürzte sich noch tiefer in die Lektüre rund um das Thema Neurodivergenz. So schufen beide die perfekte Basis für das, was darauf aufbauen sollte: die Klemmfestung.

Die Klemmfestung: Stein um Stein

Klemmfestung Nummer eins ist der Einzelhandel für Klemmbausteine, den Sascha Krause seit Mai in den ungenutzten Gewerberäumen im Haus der Familie betreibt. Im Rahmen seines IHK-Betriebswirts widmete er sich für eine Projektarbeit dem Thema. Diese schrieb er über einen Klemmbaustein-Laden in Pforzheim, der sich damals vergrößern wollte. Die Räume in Sulz am Eck kamen für den Betreiber zwar nicht in Frage, doch Sascha Krause eignete sich dadurch das nötige Wissen an, selbst einen solchen Laden zu eröffnen. Eigentlich sei die Idee im Spaß entstanden, erinnert er sich, doch nach und nach wurde sie real. Innerhalb von sechs Monaten baute die Familie die vorhandenen Räume im eigenen Haus vom Rohbau zu einem gemütlichen und einladenden Geschäft aus. Wer heute die Treppe hinunter, vorbei am Logo der Klemmfestung geht, der ahnt erstmal nicht, was ihn hinter der Tür erwartet. Die Reaktionen sind immer gleich: „Wow“.

Die Klemmfestung ist ein Paradies für Klemmbaustein-Fans, liebevoll eingerichtet, mit Wohnzimmer-Atmosphäre und einer ungeahnt großen Auswahl an Sets. Etwa 350 Stück sind es aktuell, bis zum Jahresende sollen es 500 werden. Natürlich ist der bekannteste Hersteller am Markt – Lego – in den Regalen vertreten. Was jedoch überrascht, ist die große Auswahl anderer Hersteller. Das ermöglicht es Sascha Krause, von Marvel-Superhelden über Blumen bis hin zu Autos und beliebten Comic-Figuren wie Garfield eine unglaubliche Bandbreite anzubieten. Hier findet sich für jedes Interesse etwas – egal, ob Kunden jung oder alt, neurodivergent oder nicht sind.

Schon die Eröffnung bestätigte Sascha Krause in seinem Vorhaben. „Das war eine super Veranstaltung mit sehr vielen Besuchern“, erzählt er. Seit dem 3. Mai öffnet die Klemmfestung jeden Samstag ihre Türen. Und bislang schauten jede Woche Kunden vorbei.

Die Klemmfestung: gefestigt im Leben

Verbunden ist der Laden mit dem gleichnamigen Verein. Gewinne, die über die Kostendeckung hinaus erzielt werden, fließen in die Klemmfestung e.V. Dessen Ziel sind Austausch und die Weitergabe von Informationen – von Eltern, für Eltern. Denn Sascha Krause und Anke Wahrenberg haben sich im Lauf der vergangenen Jahre einiges an Wissen angeeignet und selbst erfahren, wie schwierig, verwirrend und herausfordernd die Situation ist, wenn das eigene Kind eine solche Diagnose erhält. Sie wollen anderen Eltern helfen, das durchzustehen, es ihnen einfacher machen, sich zurechtzufinden, ihr Kind zu unterstützen und zu fördern sowie Zugang zu Informationen und Therapieangebote zu finden. „Überall findet man ein paar Informationen, aber es gibt keine zentrale Anlaufstelle“, stellt Anke Wahrenberg, Vorsitzende des Vereins, fest. „Wir wollen jetzt die sein, die das angehen und anbieten.“

Kinder und Eltern finden in der Klemmfestung einen Raum, zu sein, wie und wer sie sind. Wortwörtlich gesprochen gibt es diesen Raum innerhalb des Ladengeschäfts in Sulz am Eck. Im übertragenen Sinne ist er im Netzwerk und den Veranstaltungen des Vereins Klemmfestung zu finden. Am 27. Juli fand die erste große Aktion des Vereins statt: eine Waldexkursion mit erfahrenen Jägern. Für Herbst ist ein Schnupperkurs bei der Tischtennisabteilung des TSV Hirsau geplant. Die Angebote richten sich an neurodivergente Kinder und sollen ihnen besagten Raum geben, etwas zu erleben, das auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Gleichzeitig wissen Eltern ihre Kinder in dieser Zeit in guten Händen. Mittelfristig ist geplant, solche Events für alle Kinder zu öffnen, um die Inklusion und die Begegnung zu fördern, erklärt Anke Wahrenberg.

Im Logo kommt alles zusammen

Anke Wahrenberg und Sascha Krause haben sich viele Gedanken gemacht, wie sie all das, was sie bewegt und antreibt, in einem Logo vereinen und nach außen hin für jeden sichtbar machen können. So entstand ein Kreis mit einem Logo und einem Klemmstein in der Mitte sowie einem umgebenden Schriftzug. Das K in Klemmfestung steht für Tochter Kim, das F für Sohn Felix. Die Festung symbolisiert Sicherheit und spielt auf das Mittelalter an – eine Epoche, die das Paar besonders begeistert. Das Blau ist Felix Lieblingsfarbe. Und der Klemmstein weist einen kleinen „Fehler“ auf, der eigentlich keiner ist – so wie neurodivergente Kinder.

Erscheinung
exklusiv online
von Redaktion NUSSBAUM
02.08.2025
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