ENZKREIS. Mädchen und Frauen mit Behinderung erleben je nach Gewaltform zwei- bis dreimal häufiger Gewalt als Mädchen und Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt. Die Ergebnisse der Sekundäranalyse „Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen im Leben gehörloser Frauen“ im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigen, dass gehörlose Frauen besonders häufig Gewalt erfahren.
Aufgrund eines stark erschwerten Zugangs gehörloser Frauen zu Aufklärung, Unterstützung und Beratung sowie fehlender spezifischer Angebote und konkreter Unterstützungsmaßnahmen erfahren gerade sie strukturelle Benachteiligung. Der Verbesserung dieser defizitären Struktur widmen sich die Gleichstellungs- und Inklusionsbeauftragten des Enzkreises und der Stadt Pforzheim schon seit Jahren in ihrer Projektarbeit „Gewaltschutz für Frauen mit Behinderung verbessern“.
„Wir arbeiten nun schon seit mehreren Jahren in Fokusgruppen daran, die spezifischen Bedarfe von Frauen mit Behinderung sichtbar zu machen und vor allem darauf zu reagieren“, erklärt Lena Gasde, Projektkoordinatorin Inklusion der Stadt Pforzheim.
Einer dieser Bedarfe wurde in einer der letzten Arbeitstreffen von den Frauen des Gehörlosenvereins Pforzheim benannt: „Wir möchten die Fachberatungsstellen kennenlernen“, formulierte Vereinsvorsitzende Claudia Reichelt-Vollmer den Wunsch der Gruppe. Das ließ die Leiterin der Fachstelle „Häusliche Gewalt“ Tanja Göldner sich nicht zweimal sagen und lud die Frauen vergangenen Dienstag in die Räumlichkeiten der Beratungsstelle in das Haus der Kirche ein.
Tanja Göldner und Marina Erlenbusch vom ökumenischen Frauenhaus sowie der Fachstelle „Häusliche Gewalt“ Pforzheim Enzkreis zeigten den Anwesenden das Beratungssetting und gaben anschließend Gelegenheit, im vertraulichen Rahmen Fragen zu stellen. In der Kommunikation unterstützt wurden sie von der Gebärdensprach-Dolmetscherin Karin Hasenhütl.
Wo erhalte ich im Gewaltfall Hilfe? Wie kann ich als gehörlose Frau in der Beratung kommunizieren? – waren Fragen, die an dem Nachmittag diskutiert wurden. „Glücklicherweise gibt es über das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen 116 016 auch Beratung in Gebärdensprache“, erklärt die Inklusionsbeauftragte des Enzkreises Anne Marie Rouvière-Petruzzi. Diese könne im Bedarfsfall auch von den Betroffenen angerufen werden, um bei Gesprächen mit den Beraterinnen in der Fachstelle zu unterstützen. „Wir wissen aber auch, wie schwer es für Betroffene ist, sich zu öffnen“, sagt Tanja Göldner. Deswegen sei es auch jederzeit möglich, eine Person seines Vertrauens zu den Beratungsgesprächen in die Fachstelle mitzubringen, die in Gebärdensprache dolmetschen kann.
Neben den Angeboten der Fachstelle skizzierten Göldner und Erlenbusch auch die Arbeit des Frauenhauses. Dabei verwiesen sie auf die bundesweite Informationsstelle autonomer Frauenhäuser www.frauenhaus-suche.de/. „Über diese Homepage kann man immer aktuell nachvollziehen, wo es freie Plätze gibt. Möglich ist auch nach speziellen Bedürfnissen wie beispielsweise verschiedenen Aspekten der Barrierefreiheit zu filtern“, so Göldner.
Die sieben Frauen des Gehörlosenvereins waren beeindruckt von den Hilfsmöglichkeiten, auch wenn diese nicht vollständig auf ihre Bedarfe gemünzt sind. Für sie sei es schlichtweg wichtig, die Informationen für andere gehörlose Frauen zugänglich zu machen. „Sie alle sind Multiplikatorinnen“, unterstreicht die Gleichstellungsbeauftragte des Enzkreises, Kinga Golomb. Je bekannter die Angebote, desto mehr Frauen könne geholfen werden. „Nur so kann es uns gelingen, Frauen mit Behinderung besser vor Gewalt zu schützen“, ergänzt Pforzheims Gleichstellungsbeauftragte Nur Bakkar.