Geologie, Natur und Geschichte(n) rund um die Gerlinger Heide mit Klaus Herrmann

Mehr als 200 Interessierte, darunter die Stadträte Jürgen Fritz, Rainer Gutekunst, Ulrich Stirner-Sinn und Jürgen Wöhler kamen bei schönstem Sommerwetter...
Klaus Herrmann erläutert die Geschichte des Gerlinger Schafstalls auf der Heide
Klaus Herrmann erläutert die Geschichte des Gerlinger Schafstalls auf der Heide

Mehr als 200 Interessierte, darunter die Stadträte Jürgen Fritz, Rainer Gutekunst, Ulrich Stirner-Sinn und Jürgen Wöhler kamen bei schönstem Sommerwetter am Samstag und Sonntag zur 23. Führung des Leiters unseres Stadtarchivs, die, wie schon im Jahre 2004, auf die Heide hoch über Gerlingen führte. Von der Einmündung Forchenrainstraße in die Stuttgarter Straße mit Sicht auf den Engelbergturm ging es in kurzweiligen 2 Stunden über die Heide nach Osten, auf dem Heide- und Steinbruchweg nach Norden und dann im Gewann Füller/Forchenrain entlang der Weinberge mit Blick auf Gerlingen wieder zurück.

Der Engelbergturm wurde 1928 als Wasserturm mit Aussichtsplattform gebaut. Er sollte nicht nur der Wasserversorgung Leonbergs dienen, sondern auch den ab 1927 auf der Leonberger Heide angelegten Stuttgarter Golfclub Solitude sowie die ersten Häuser im Forchenrain mit Wasser versorgen. Präsident des Golfclubs war von 1929 bis zu seinem Tod 1942 Robert Bosch. Wassermangel und unfruchtbarer Boden hatten Obstbaum- und zu Beginn des 20. Jahrhunderts Kartoffelpflanzungen scheitern lassen. Der erste Halt war an einem unscheinbaren Holzschuppen, dem 1973 errichteten Schafstall. Schon immer wurde die Heide intensiv als Schafweide genutzt. Deshalb wurde 1929 dort ein Schafstall errichtet. Schon ab 1931 wurde er im Gefolge der Weltwirtschaftskrise als Unterkunft für Notstandsarbeiter genutzt, dann als Freizeitlager der Hitlerjugend und ab 1944 wurden dort 53 Zwangsarbeiter aus Osteuropa untergebracht. Diese mussten im 1938 erbauten alten Engelbergtunnel ab 1944 zusammen mit etwa 3.000 KZ-Häftlingen, von denen 374 starben, für die Messerschmitt AG die Tragflächen des ersten Düsenjägers ME 262 montieren. Die im April 1945 gesprengten Tunnelröhren waren erst 1950/1961 wieder befahrbar und wurden 1998/99 durch den jetzigen Basistunnel ersetzt. Der Schafstall wurde 1947 als Unterkunft für Vertriebene in die Siedlung an der Kreuzung Mesneramt / Mathildenstraße versetzt und 1957 abgerissen.

Nachdem ein 1932 eingebrachter Plan zur Bebauung der Gerlinger Heide am öffentlichen Widerstand gescheitert war, wurde sie 1941 zum Landschaftsschutzgebiet. 1992 wurde das ca. 15 ha große Gelände mit zahlreichen Vogelarten und großer Vegetationsvielfalt wie Magerrasen, Wacholderhecken und Kiefernwald zum Naturschutzgebiet erklärt. 1860 waren in Gerlingen noch 63 ha als Heideland ausgewiesen. Die „Vordere Heide“ war dort, wo in den 20er und 30er Jahren die Wohnsiedlung Schillerhöhe entstanden ist. Wirtschaftlich bedeutsam für Gerlingen waren die schon im 18. und 19. Jahrhundert auf der Heide betriebenen Steingruben, aus denen Steine ausgegraben - sogar ein Mühlstein für Ditzingen - und der zum Scheuern der Holzfußböden genutzte feinkörnige weiße Stubensandstein gewonnen wurde. Der harte für Bauvorhaben nutzbare rote Schilfsandstein wurde bis 1880 im Gewann Füller / Forchenrain gebrochen. Anschließend wurden bis ins 20. Jahrhundert Steine in Steinbrüchen im Krummbachtal gebrochen. Im Gebiet Füller / Forchenrain wurden zeitweise bis zu 100 Personen beschäftigt, die besser bezahlt wurden als Tagelöhner und anders als die Wengerter und Bauern, unabhängig vom Wetter ganzjährig arbeiten konnten. Gerlinger Steine wurden ab 1843 für Eisenbahnbrücken wie das Bietigheimer Viadukt, den Pragtunnel in Feuerbach und viele Häuser im Stuttgarter Westen verwendet. Lieferungen bis nach Köln sind überliefert, aber noch fehlt der Beweis, dass sie auch beim Kölner Dom Verwendung fanden. Der Steingrübenweg und der Steinbruchweg erinnern an diese Zeit, vor allem aber die Senkungen im Bereich der Forchenrainstraße 29 und vor allem beim Haus Nr. 30, das seit der Erbauung 1925 schon 3 m in die Tiefe gerutscht ist. Der Abraum der Steinbrüche wurde dort auf einer 5 ha großen Gesteinsscholle abgelagert, die seit mehr als 10.000 Jahren in 30 m Tiefe lag und erst durch die Belastung mit dem Abraum wieder ins Rutschen kam. Zwei Häuser, die an der Nahtstelle gebaut wurden, zerbrachen wegen der unterschiedlichen Rutschgeschwindigkeiten und auch aktuelle Neubauten dort müssen besonders gesichert werden.

Der Blick nach Norden geht über die Weinberge weit ins Tal bis zu den Löwensteiner Bergen. Wir trafen Wengerter Hans-Jörg Schopf und Stadtrat Thomas Fauser, den Vorsitzenden des Obst-, Wein- und Gartenbauvereins, bei der Bewirtschaftung ihrer Weinberge. Die von einstmals 140 ha Weinlagen verbliebenen 6 ha in Lettlenberg, Rote Halde und Tal werden unter Gerlinger Bopser vermarktet, während als Großlage Gerlinger Weinsteige auch Weine aus Bad Cannstatt oder Feuerbach verkauft werden dürfen. Am Ende des Forchenrains Richtung Leonberg kurz vor dem Anwesen des ehemaligen Brauereibesitzers Carl Dinkelacker kam als letzte Sehenswürdigkeit die 1948 vom Baltendeutschen Siegfried Herrmann eröffnete erste Sauna in Württemberg, die inzwischen nicht mehr betrieben wird. Lebhafter Beifall dankte Klaus Herrmann für seine hochinteressante Führung und das vom Verein für Heimatpflege Gerlingen e.V. angebotene Heimatblatt zur Geologie in Gerlingen fand gute Nachfrage.

Die Stadtführung wird wiederholt am Samstag, 19., und Sonntag, 20. Oktober 2024, ab 14:00 Uhr.

Text/Bild: J. Wöhler

Erscheinung
exklusiv online
von Stadt Gerlingen
30.08.2024
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